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Die Fanarioten

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Fanar ist der Name eines Stadtviertels von Koastantinopel. Dort hatte sich nach der Eroberung der Stadt durch die Türken im Jahre 1453 das ökumenische Patriarchat niedergelassen, und mit ihm als ihrem natürlichen Mittelpunkt die in dem nunmehrigen „Stambul“ verbleibenden retchen und vornehmen Griechen. Ihre Nachkommen verliehen dem Stadtteil ein eigentümliches Gepräge, bis der Beginn des griechischen Freiheitskampfes und die Entstehung des König-aetchs der Hellenen zu Beginn des vorigen Jahrhunderts viele von ihnen auswandern fiefi.

Das 'Wort „Fanarioten“, womit man eBe Griechenfamilien des Fanar bezeichnete, hat in der Geschichte des südöstlichen Europa eine nicht unwesentliche Bedeutung erlangt. Diese Menschen bildeten in ihrer ghettoartigen Geschlossenheit im Lauf der Jahrhunderte eine Reihe von Eigenschaften aus, die für ihre zu historischer Geltung gelangten Mitglieder kennzeichnend geworden sind; und durch ihre gehobene Stellung wirkten diese Männer des Fanar auch auf den Gang der großen Politik ein. Regsamkeit des Geistes, ausgesprochene Begabung für kleine und vor allem große Geschäfte und ein lebhafter Drang nach Reichtum und Luxus zeichneten sie ebenso aus wie ein ungebrochenes griechisches Nationalgefühl und die damit zusammenhängende Pflege der literarischen und künstlerischen Tradition des klassischen Altertums. Als natürliche Begleiterscheinungen machten sich unverkennbare Leichtfertigkeit und oft auch Unbedenklichkeit in der “Wahl der Mittel geltend. Die Fanarioten waren wie geschaffen, in den unruhigen Zeitläuften des 17. und 18. Jahrhunderts im Fahrwasser der „hohen Pforte“ von Stambul zu deren und — oft noch mehr — zum eigenen Nutzen Politik zu treiben.

Dieser Weg in die Politik ergab sich von selbst aus der Zweisprachigkeit und allgemeinen Sprachbegabung dieser türkischen Untertanen griechischer Nationalität. Sie betätigten sich als Dolmetscher im Staatsdienst, und als im Jahre 1661 das eigene Amt des „Pfortendolmetsch“ geschaffen wurde, in dessen Händen nunmehr der diplomatische Verkehr mit den europäischen Staaten lag, war sein erster Inhaber ganz natürlich ein Fanariot — Panagiotes Nikusios mit Namen. Ihm folgte nach und nach eine stattlidae Reihe seiner Landsleute, an der Spitze der geistig Hervorragendste unter ihnen, Alex-andros Maurokordatos.

Nicht lange nachher eröffnete sich noch ein zweites, äußerlich noch glänzenderes Wirkungsfeld den strebsamen Griechen. Auch die beiden Fürstentümer, aus denen erst 1859 der geeinte Staat Rumänien erwachsen ist, Muntenia und Moldova, bei uns bekannt unter den Namen Walachei und Moldau, waren im 15. Jahrhundert unter die Oberherrschaft der Türken geraten. Diese hatten den beiden Ländern ihre „Domni“ (Herren) oder „Voevoden“ (Fürsten) belassen, sie allerding mehr und mehr zum Spielball ihrer Willkür entwürdigt. Die Nachfolger volksberühmter Helden wie des Moldoveners Stefan des Großen, des Munteniers Michael des Tapferen (Mihai Viteazul). der als erster alle Länder rumänischer Zunge kurze Zeit unter seiner Herrschaft vereint, harren mit diesen nicht viel mehr gemein alr den Fürstentitel mit seinen äußeren Emblemen. EHe Würde des Voevoden wurde zum Amt, das die Pforte jenen Anwärtern verlieh, die ihr als getreue Vasallen und pünktliche Ein-heber der ständigen Abgaben am zuverlässigsten schienen, um sie bei erstbester Gelegenheit wieder fallen zu lassen, nicht selten auch dem Henker zu überliefern.

Trotz dieses nicht eben beneidenswert zu nennenden Zustandes besaß die Würde eines moldauischen oder walachischen „Domn' immer noch besondere Reize; wäre dies nicht gewesen, so hätten sich die schlauen Fanarioten gewiß nicht mit solchem Eifer darum bemüht, wie sie es tatsächlich taten. Was ihnen — wohlverstanden jenen unter ihnen, deren Wunschziel sich nicht auf die Füllung ihrer leergewordenen Kasse beschränkte — eine solch unsichere Würde begehrenswert erscheinen ließ, mag im Grunde das gleiche gewesen sein, das uns heute noch die Beschäftigung mit der sonst so fernliegenden Fanarioten-geschichte reizvoll gestaltet. Männer aus alten griechischen Gesdilechtern, die im Dienste des osmanischen Sultans rumänische Untertanen beherrschten; vornehme Sklaven ihrer Gebieter, in Pelze und Seide gehüllt, stets umwittert von der Gefahr unversehenen Sturze und schimpflichen Todes; unumschränkte Gebieter über Leben und Tod ihrer Landeskinder — und ebenso unumschränkte Geschöpfe der Regierung in Stambul, die ihr Wohl und Wehe in Händen hielt; mitten hineingestellt ins Kreuzfeuer des politischen Ränkespiels im Südosten, gesucht, umworben von der Diplomatie des mittleren und östlichen Europas, oftmals das Zünglein an der Waage des Gleichgewichts zwischen Österreich, Rußland und den osmanischen Herren; selbst Herren der Entwicklung ihres eigenen Geschicks wie dessen der ihnen anvertrauten Länder und Menschen im Wirbelsturm einer Zeit, da die Gegensätze eben in jenem Teil Europas zur Entscheidung drängten, da Peter und Katharina, die Großen, von der Herrschaft des Zarentums über Konstantinopel träumten, da Polen, der große Nachbar im Norden, unter dem Zugriff der erbgierigen Großmächte zerfiel, da das Habsburgerreich von Ungarn her weiter nach Osten strebte, selbst mit der Bukowina und, für kurze Zeit, der „kleinen Walachei“ Teile altrumänischen Landes an sich brachte, wäh-Rußland sich Bessarabiens bemächtigte und die Türkei Schritt um Schritt dem vorwärtsdrängenden Abendland wich — wer könnte sich dem eigentümlich prickelnden Reiz dieser Verhältnisse verschließen? War es nicht ein Meisterstück diplomatischer Schlauheit, sich in ihnen zu behaupten, Gegner erfolgreich gegeneinander auszuspielen, im blitzschnellen Erfassen wechselnder Situationen das zu erreichen, was — je nach der Eigenart des betreffenden „Voda“ — diesem selbst und seinen Getreuen oder aber seinem Land und Volk zum Nutzen gereichte? Es waren Zeiten und Umstände, gerade recht für Männer, wie diese Nachkommen der alten byzantinischen Adelsgeschlechter es waren, diese Männer vom Fanar, geboren und erzogen in einem Geist aus Händ-lertum und Überlieferung klassischer Größe...

Verschiedenartige Schicksale sind ihnen geworden. Mandie haben sich Wesen und Ziele des Volkes, das sie regierten, zu eigen gemacht, haben das Griedientum mit dem Rumänentum vertauscht, ohne doch ihrer ursprünglichen Art untreu zu werden: So die Kantakuzinen, der größte unter ihnen jener Scherban Kantakuzinos, der 1683 im Heer der Türken als Führer seines walachischen Kontingents mit vor Wien zog, nachher dann hinter dem Rücken des osmanischen Gebieters mit Österreich geheime Unterhandlungen pflog, inmitten deren ihn der Tod ereilte; der, im romantischen Vollbewußtsein seiner kaiserlich-oströmischen Abkunft, seinem Namenszug ein „T. T.“ hinzuzufügen pflegte — „Tzar tzarigradei“, Kaiser der Kaiserstadt. . . So auch sein Verwandter Konstantin, Student in Padua, Verfasser einer Geschichte des rumänischen Volks, die ein Torso blieb, weil ihr gelehrter Verfasser nicht nur Schriftsteller und Wissenschafter war, sondern auch Politiker, und als solcher mit seinem auf den walachischen Fürstenstuhl erhobenen Sohn den Tod der seidenen Schnur starb. Andere wußten ihr Griechentum zu bewahren und doch auch rechte rumänische Herrscher zu sein, wie vor allen Nikolaus Maurokordatos, jenes großen Dolmetschers Alexandros Sohn, der die geschichtlichen Werke der Walachei •n der Landessprache las und sie fortsetzen ließ, wie er zugleich den griechischen Kulturstätten sein Augenmerk schenkte und selbst ein Buch in der Sprache seiner Väter schrieb. Konstantin, sein Sohn, hat dann einen seltsamen Rekord errungen: Zehnmal wurde er zum Voevoden ernannt und wieder entthront, sechsmal in der Walachei und viermal in der Moldau: Philosoph und Praktiker zugleich, hat er die Jahre seiner verschiedenen Regierungen genützt, indem er in die verworrenen Finanzverhältnisse der beiden Länder Ordnung brachte und der bedrückten Bauernschafr ein Befreier wurde. Noch sei der Ghica gedacht, eines ursprünglich albanesischen Hauses, das den Fürstentümern bis in die Mitte des vorigen Jahrhunderts hinein eine Reihe von Regenten gab — Gregor Alexander unter ihnen, ein Mann mit schönem, wallendem Bart und nachtdunklen Augen, gewissenhafter Verwalter beider Länder, Urheber öffentlicher Bauten und Fabriken namentlich in der Moldau, jahrelang schlau das Gleichgewicht haltend zwischen Morgen- und Abendland — und zuletzt doch das Opfer türkischen Mißtrauens, abgesetzt und, „damit keine weiteren Verwickelungen entstünden“, unmittelbar darauf in seiner Hauptstadt Jassy ermordet ... Edle, tatkräftige Naturen sind unter diesen Fanarioten geweisen, wie Alexander Ipsilanti, der persönlich das erste praktische Gesetzbuch der Rumänen bearbeitete, dann sich freiwillig den in die Moldau einmarschierenden Russen gefangen gab, in Brünn gefangen saß und schließlich nochmals in der Walachei zur Regierung kam; seltsame auch wie Nikolaus Mavrogheni, theatralischwichtigtuerisch und vielgeschäftig, durch Glück Sieger über die Österreicher in deren letztem Türkenkrieg und schließlich dennoch ein Opfer des türkischen Henkers ... Schattenhaft muten sie uns an, wie sie kommen und gehen, diese Träger klangvoller Namen, diese stolzen Herren und armseligen Sklaven, Schachfiguren nur — und trotzdem fast durchweg Persönlichkeiten besonderer Prägung, Träger seltsamer Geschicke, von denen wir nicht lesen können, ohne eigentümlich berührt, wohl gar auch ergriffen zu sein.

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