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DIE GESCHICHTE SEINES RUHMES

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Wenn in diesen Wochen die ganze Welt des vor 700 Jahren geborenen Dichters Dante Alighieri gedenkt, so verdankt sie die Anhaltspunkte für den Zeitpunkt dieser Feiern ausschließlich dem Werk selbst, das Dante unsterblichen Nachruhm sicherte.

In der Mitte des Menschenlebens, das heidnische und jüdisch-christliche Tradition 70 Jahre währen lassen, setzt, wohl auf das Jubeljahr 1300 zurückverlegt, die große Wanderung durch die drei Jenseitsreiche ein und weist uns demnach auf das Jahr 1265, in welchem der Dichter, als die Sonne in den „ruhmreichen Sternen“ der Zwillinge stand, vielleicht am 30. Mai, dem Fest der seligen Lucia Ubaldini, das Licht der Welt erblickte.

Das ruhmreiche Gestirn der Zwillinge, das der Himmelspilger bei seinem Aufstieg in den Fixsternhimmel als sein Geburtszeichen und Symbol seines Wesens und seiner Geistesart feierlich begrüßt, hat nicht getrogen: durch seine Jenseitsdichtung ist Dante zu einem der größten Poeten aller Zeiten geworden.

Von Geheimnis umwoben wie Tag und Jahr seiner Geburt sind auch die ersten Zeugnisse seines Werkes. Keine Zeile von eigener Hand ist auf uns gekommen. Auch der Urkodex der Komödie, den wir dem Sohne, Jacopo di Dante, verdanken, ist verschollen. Dennoch waren von dem Werk schon bald nach dem Erscheinen hunderte Abschriften verbreitet. Einige dieser wertvollen Kodizes besitzt auch Österreich in der Nationalbibliothek und in der Rossiana in Wien-Lainz.

Schon 1472 erschien die Göttliche Komödie erstmals im Druck und bis zum Ende des 16. Jahrhunderts lagen bereits 45 verschiedene Druckausgaben vor.

Die Kommentare setzten noch zu Dantes Lebzeiten ein. Bereits in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts lagen mehrere Gesamtkommentare vor; zur gleichen Zeit wurde Boccaccio in Florenz mit Dante-Vorlesungen beauftragt, als deren Frucht ein wertvoller Kommentar zu den ersten siebzehn Höllengesängen vorliegt. Ein Verzeichnis der bis auf den heutigen Tag in der Welt veröffentlichten Kommentare würde Bände füllen.

Früh schon sorgten lateinische Ubersetzungen für die Verbreitung der Komödie außerhalb Italiens. Ihnen folgten zu Beginn der Neuzeit Übertragungen ins Spanische und ins Französische. Im englischen Sprachraum hatte bereits Geof-frey Chaucer Teile der Komödie übertragen; die klassische Übersetzung verdankt dieses Sprachgebiet dem Dichter Henry Wadsworth Longfellow.

Besonders zahlreich sind die Übertragungen ins Deutsche. Seit 1769 erfolgt Nachdichtung um Nachdichtung, und mit Recht kann Vezin in seinem Dante-Buch sagen, daß der Deutsche „um keines anderen fremdsprachlichen Werkes Eindeutschung — von der Bibel einzig abgesehen —“ so unablässig gerungen hat wie um die Göttliche Komödie.

Die wissenschaftliche Erforschung der Dichtung Dantes setzte in der Romantik mit den Arbeiten Karl Wittes ein. Als erste aller Dante-Gesellschaften der verschiedenen Nationen wurde vor hundert Jahren die heute noch bestehende Deutsche Dante-Gesellschaft ins Leben gerufen, an deren Gründung neben Karl Witte auch der erste Romanist der Wiener Universität, Adolf Mussafla, maßgebend beteiligt war. Zahlreiche Romanisten des deutschen Sprachraums waren schon in den ersten Dezennien der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als Dante-Forscher tätig, unter ihnen in Österreich Adolf Mussafla in Wien und Antonio Lubin an der Universität in Graz. Erst 23 Jahre nach der Gründung der Deutschen Dante-Gesellschaft entstand die Societä dantesca italiana (1888), und eine Reihe hervorragender italienischer Gelehrter, sichert seit dieser Zeit dem Vaterland des Dichters den ihm gebührenden Platz in der Dante-Forschung.

Als der Dichter 1321 in Ravenna, der letzten Station seines Exils, starb, dichtete Magister Johannes de Virgilio für das infolge des Sturzes des letzten Gastherrn Dantes nie zur Ausführung gelangte Grabmal eine Inschrift, die mit den Worten begann:

Dante, der Theolog, dem keins der Dogmen verborgen, Das an der heiteren Brust menschlichen Wissens gehegt, Ruhm der Musen, des Volks weitaus geliebtester Dichter, Ruht allhier, doch sein Ruf spannt sich von Pol zu Pol.

(Deutsch von Vezln)

Theologus Dantes, millius dogmatis expers — Gloria musa-rum: wie wahr diese Worte sind, ermessen wir besonders heute, wenn wir einen Blick auf die Redner werfen, die während der großen Dante-Feiern in Florenz, Verona und Ravenna das Wort ergreifen. Der Dichter und Nobelpreisträger Saint-John Perse eröffnet den Kongreß; Bruno Nardi behandelt die Philosophie und Thelogie zur Dante-Zeit in Beziehung auf die Geisteshaltung des Dichters; Etienne Gil-son, der große französische Kenner mittelalterlicher Philosophie, spricht über Dichtung und Theologie iii der Göttlichen Komödie; der Italianist der Pariser Universität, Paul Renucci, über esoterische Forschungen zu Dante in der Gegenwart; August Buck, der bekannte Marburger Romanist, über Dichtung und Dichtungslehren der Dante-Zeit, und der Zürcher Italianist Reto Bezzola über Dantes Werk als dichterische Synthese des Altertums und des Mittelalters, während das Schlußwort der Florentiner Tage abermals ein Dichter, Euge-nio Montale, hat.

In all den Dante-Feiern dieses Jahres kommen so, wie es sein soll, wieder die verschiedensten Disziplinen zu ihrem Recht, die Gegenstand der Dichtung Dantes, aber auch ihrer Größe bilden. Die Zeit einer ausschließlichen Würdigung des Werkes, welche — nach einem langen Versäumnis der Forschung gewiß mit Berechtigung — Croce und Voßler vertraten, weicht wieder einer den Absichten des Dichters besser entsprechenden Würdigung eines Werkes, das Dante selbst zum Spiegelbild der Natur- und Geisteswissenschaft, der Philorophie und Theologie, zum politischen, moralischen und religiösen Bekenntnisbuch seiner Zeit machte.

Das Dauernde der Divina Commedia, ihr Dasein als Dichtung, läßt sich nicht von den Schätzen, die eben die Materie dieser Dichtung ausmachen, ausklammern. Doch selbst wenn wir die Komödie als Nur-Literaturhistoriker sehen wollten, begingen wir wohl einen groben geschichtlichen Irrtum, wenn wir das Heilige Lied unseres Dichters nicht nach den ästhetischen Maßstäben der Symboltheologie seiner Zeit würdigten, für die das ästhetische Anliegen mit dem geistigen und religiösen unzertrennlich verbunden war, wie uns jüngst der französische Theologe Chenu in Erinnerung rief.

Und gerade hier scheint uns ein Schlüssel zur in dieser unsterblichen Dichtung allerorts verspürbaren Aktualität zu liegen. Theophil Spoerri hat es in mehreren seiner Werke über die Göttliche Komödie vortrefflich gezeigt, wie nahe Dante den großen Denkern und Dichtern des Abendlandes steht. Atmet uns nicht tiefste, weiseste Erkenntnis an, wenn er im Geiste des Bibelberichtes über die Königsweisheit Salomons und der Väterlehre über die Trinität Thomas von Aquino im Sonnenhimmel die Worte sprechen läßt:

„Wenn aber heiße Liebe klare Sicht

der höchsten Macht entwirft und ausgestaltet,

dann muß Vollkommenes darin erscheinen.

So ist die Erde würdig einst geworden

für die Vollkommenheit der Lebewesen.“

Bleibt nicht auch gerade in unseren Tagen der welterneuernde Geist, von oben eingegossenes „Geisteslicht, erfüllt von Liebe“ — luce intellettual piena d'amore — der einzige, unverrückbare Standort, von dem aus wir uns richten und retten könnten?

Konnte, was C. G. Jung in seinem Versuch zu einer psychologischen Deutung des Trinitätsdogmas über das Problem der Quaternität der Trinität schrieb, besser und bündiger im christlichen Sinne vorweggenommen werden als durch die heute noch allgemein mißverstandenen Worte des Schlußgesangs der Komödie:

In der Tiefe des ewigen Lichtes sah ich, daß zur Dreiheit wird, was im All als das Geviert des Kreuzes erscheint, Sein und Sosein in ihrer Liebesverbindung.

Und wenn Hugo Rahner, der Verfasser der für die Komödieforschung bedeutsamen Studie über griechische Mythen in christlicher Deutung im Vorwort seines Buches „Symbole der Kirche“ schreibt: „Wo immer die Väter ihre in Bilder gehüllte Theologie entfalten, entdecken wir einen Reichtum an Symbolen und an symbolumkleideten Wahrheiten, die unsere heutigen, vielleicht noch allzu sehr von Apologetik und Kirchenrecht bestimmten dogmatischen Aussagen lebendiger machen könnten“, dürften wir da nicht in einem Atemzug mit diesen Vätern auch Dante nennen? Auch er breitet vor uns die Schätze der Symbole der Kirche aus den tausend Jahren ihres Bestehens aus, verleiht darüber hinaus seiner Dichtung die Sternfrömmigkeit der Antike und läßt sie in der neuplatonisch-christlichen Lichtmetaphysik erstrahlen. Seine Pilgerfahrt zu Gott lebt ebenso von der ethischen Schönheit des Somnium Scipionis und seines neuplatonischen Kommentars wie von Bonaventuras Pilgerfahrt des Geistes zu Gott. Er kennt das christliche Fortleben der Höllenfahrt Vergils, die mittelalterliche Ovid-Auslegung, und macht sie seinen Lesern als Heilsmeditation fruchtbar. So muß zum wahren Verständnis dieser Dichtung allerorts das mittelalterliche Gesicht der Komödie verlebendigt werden. Diese Notwendigkeit erhellt besonders deutlich in Hugo Friedrichs bedeutsamem Buch über die Rechtsmetaphysik der Göttlichen Komödie und aus den Studien des Grazer Romanisten Rudolf Palgen über die Spuren der Höllen- und Paradiestradition in Dantes Komödie den Neuplatonismus der Komödie, die Sterne in der Komödie.

Alle diese Schätze aber werden verklärt durch eine dichterische Form, deren Schönheit bis auf den heutigen Tag in ungewandelter Jugend erstrahlt.

Der gewaltige Aufschwung, den die Dante-Forschung nunmehr seit fast einem Jahrhundert genommen hat, hält unvermindert an. Schier unübersehbar sind die Studien, welche in der ganzen Welt zu Dante erscheinen. Es wäre das schönste Geschenk dieses Dante-Jahres, wenn endlich eine Koordination der in den verschiedensten Sprachen veröffentlichten richtigen Forschungsergebnisse verwirklicht werden könnte und derart die Voraussetzung für einen neuen, die zahlreichen Widersprüche und Irrtümer der bisherigen Erläuterungen beseitigenden Kommentar geschaffen würde.

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