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Die Macht und der Glaube

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Um die religiöse Lage in Mexiko wirklich zu verstehen, muß man zuerst in die Geschichte zurückgreifen.

Die Eroberung Mexikos durch die Spanier ist einer jener Fälle der Weltgeschichte, da eine Nation von einer anderen besiegt, erobert und kolonisiert worden ist. Es gibt jedoch wenige Beispiele, wo eine Kultur so ganz vernichtet wurde, daß nur mehr ein Vakuum übrigblieb, in das die neue Kultur eindrang; in diesem Fall die christlich-abendländische katholisch-spanischer Prägung.

Der Spanier war ein harter und eigenwilliger Kolonialherr. Der indianische Mensch galt ihm nicht mehr als ein Stück Vieh. Er wurde veräußert und ausgebeutet. Dies machte den Spanier zum bestgehaßten Menschen in Mexiko. Noch Jahrhunderte später konnte man nicht übersehen, daß das Christentum durch die Spanier ins Land gebracht worden ist. Es gab jedoch in der spanischen Geistlichkeit oft mutige und beherzte Männer, wie der bekannte Bischof von Coahuila, P. Las Casas, der sich der Indios angenommen hatte und vor dem höchsten Gerichtshof in Spanien sowie vor Philipp II. ihre Menschenrechte vertrat. Bei diesen Priestern gab es für die Indios wohl Trost, doch meistens fanden sie nur Hilfe für ihre Seelen, selten vermochte der Geistliche etwas gegen seine Landsleute, die Grundherren, auszurichten. So verdichtete sich der Haß gegen alles Spanische mehr und mehr.

Daß das Christentum heute noch tief verwurzelt im Volke lebt und nicht mit dem Haß gegen alles Spanische vernichtet wurde, ist sicher der Errichtung des großen Marienheiligtums „Unserer Lieben Frau von Guadalupe“ im 17. Jahrhundert zu verdanken. Nach der Legende erschien die Madonna einem armen Indio, der ihr Bild der „virgen mo-rena“, der. schwarzen Madonna, dem Bischof überbrachte. An der Stelle der Erscheinung wurde eine Basilika zu Ehren der unbefleckten Empfängnis erbaut. Nun hatten die Indios eine Madonna ihrer Hautfarbe. Die Indios und Mestizen, die heute das mexikanische Volk ausmachen, hatten dadurch erst „ihre“ Religion gefunden. Nach Errichtung der Basilika konnte sich die Kirche allmählich vom spanischen Kolonialismus freimachen. Und schließlich waren die ersten Freiheitskämpfer katholische Priester wie Hidalgo und Morelos.

Juärez, der große mexikanische Freiheitsheld, hatte Mitte des 19. Jahrhunderts die enorm angewachsenen Kirchengüter aufgeteilt. Seit Juärez war jeder Revolutionsführer in Mexiko ein Atheist oder Freimaurer, und dies hat sich bis heute nicht geändert. Um in Mexiko überhaupt noch existieren zu können, mußte sich die Kirche vollkommen umstellen. Sie wurde in den vergangenen hundert Jahren, aber vor allem seit der letzten Christenverfolgung um 1920, zu einer ausgesprochenen Nationalkirche. So oft war sie von ausländischen Mächten mißbraucht worden, um fremdländischen Einfluß im Volke durchzusetzen, daß diese neue chauvinistische Einstellung eine Art Notwehr war.

Seit der Christenverfolgung im Jahre 1920 gab es für den Klerus ein Rede-“ und Predigtverbot. Die Lehrtätigkeit wurde, wenn überhaupt, von Laien besorgt. 40 Jahre hindurch war die Tätigkeit der Priester nur auf Messelesen und Sakra-mentenspendung beschränkt. Die Revolutionäre und Freimaurer verachteten alle religiösen und moralischen Ideale. Sie predigten einen extremen Chauvinismus und verbreiteten in allen Schichten des Volkes eine unbeschreibliche Willkür und Verzerrung der öffentlichen und privaten Moralbegriffe.

Die kirchlichen Verhältnisse der vergangenen hundert Jahre, besonders aber der letzten 40 Jahre, trugen zu dieser Entwicklung bei. Das in den zwanziger Jahren verhängte Predigt- und Unterrichtsverbot wirkt sich bis heute aus, da Generationen von Priestern das Predigen nicht mehr gelernt haben und nicht mehr zu predigen wußten. Die Bestimmungen aus dem Jahre 1920 wurden mit der Zeit immer weitherziger gehandhabt. Auf materiellem Gebiet wußte man sie sehr bald zu umgehen. Einmal jedoch der Predigt entwöhnt, wußte der Klerus bald nicht mehr die Stimme zu erheben.

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