6566944-1950_01_14.jpg
Digital In Arbeit

Die Magna Charta der christlichen Erziehungskunde

Werbung
Werbung
Werbung

Zum Unvergänglichen aus dem Schrifttum der Zwischenkriegszeit 1918 bis 1938 gehören die Weltrundbriefe Pius' XL Sie stellen die klarste Deutung des heutigen Weltbefundes dar, zeigen einer richtungslos gewordenen Menschheit den Weg zur Selbsterneuerung, rufen ein an sich verzweifelndes Geschlecht zu neuem Hoffen und neuer Tat auf. Andere Worte, andere Schriften werden vergessen werden; das Wegweisende und Erlösende der päpstlichen Botschaften wird um so mehr erkannt und gewertet werden, je weiter wir in die Zukunft hineinschreiwn.

Die Aussendungen Pius' XI. sind fast alle Ausstrahlungen des großen Leitgedankens seines Pontifikats, der Verwirklichung oder Wiederherstellung des Gottkönigtums Christi. Es kündigt sich hierin Anbruch und Aufgabe eines neuen christlichen Zeitraums an. Die einzelnen Rundsdireiben besondern diese Jahrhundertaufgabe auf die verschiedenen Gebiete des kirchlichen und des menschlichen Lebens überhaupt: auf die Geisteserneuerung (Exerzitienbewegung), auf den Priesterstand, auf das Ehe- und Familienleben, auf Erziehung und Schule, auf die Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung, auf die Ausweitung des Königtums Christi (Missionen). Die letzten zwei Papstworte wenden sich wider die Hauptgegner der Königsherrschaft Christi, den Nationalsozialismus und den atheistischen Kommunismus.

Freilich war auch dieser mächtige und mutige Künder des Wahren zum Teil nur ein Rufer in der Wüste. Die vorausgehenden allgemeinen Feststellungen treffen insbesondere für das Rundschreiben „Divini illius Magistri“ zu, das Pius XI. am 31. Dezember 1929, vor gerade 20 Jahren, an den katholischen Erdkreis richtete. Dieses Papstwort — „ein Ausfluß seiner liebevollen Sorge um das Wohl der Jugend“ — stellt die Hauptgrundsätze zusammen, die für die christliche Erziehung maßgebend und wegweisend sind, und leitet daraus die wichtigsten Folgerungen und Anwendungen für das Tatleben ab. Notrufe aus aller Welt, die weltanschauliche Verwirrung, grundstürzende neue Erziehungsformen, vor allem der pädagogische Naturalismus, der geistige Nihilismus, dem unsere Gesellschaft zutreibt, das waren die Gründe, die zur Veröffentlichung dieser Magna Charta der christlichen Erziehung gedrängt haben. Die gleichen Gründe machen es uns heute nach 20 Jahren zur Pflicht, diese bedeutsamste, grundsätzliche katholische Äußerung über die Erziehung sich wieder vorzuhalten. Die zwei Jahrzehnte, die seit dem Erscheinen der Enzyklika verflossen sind, haben ihre Bedeutung erst recht verstehen lassen und ihre Notwendigkeit erwiesen. Die Verheerungen, die jene neuei Lehren im Jugendland angerichtet haben, sprechen ja eine einzigartig deutliche Sprache und überzeugen den sachlich Denkenden von der Richtigkeit jedes Satzes des päpstlichen Rundschreibens. Welch Wohlmeinender möchte nach dem Erleben der jüngsten und zum Teil auch der heutigen Zeit die Behauptungen Pius' XL bestreiten: „Es ist einleuchtend, daß nur eine solche Erziehung diesen Namen verdient, die ganz und gar auf das letzte Ziel des Menschen hingeordnet ist.'“

Im Einklang mit der ganzen christlichen Überlieferung bekennt sich Pius XL zu einem unbeirrbaren Erziehungsoptimismus. Erst aus der christlichen Weltanschauung versteht man ganz, daß der eigentliche Zweck der Erziehung die volle Menschwerdung ist und sie infolgedessen größte Aufgabe und größtes Anliegen einer jeden Generation sein muß. Es gibt denn auch keine bessere elterliche Mitgift, kein wertvolleres von Gesdilecht zu Ge-sdilecht sich fortpflanzendes Erbgut, keine segensvollere Kulturleistung im Dienste von Volk und Menschheit als eine gediegene christliche Erziehung, weil diese eben die persönliche, volkhafte und menschheitlidie Vollendung und Reifung darstellt. Aus solcher Grundauffassung erwächst hohes Berufsethos für die christlichen Erzieher und Lehrer. Auf kaum einem anderen Stand lastet eine solche Verantwortung, kaum einem anderen gebührt solche Adi-tung, kaum ein anderer verlangt eine gewissenhaftere Auswahl und Vorbildung. Und es gibt wohl nichts, das diese Verantwortung so wecken, das diese Hochschätzung so unterbauen, das diese Ausbildung so gewährleisten kann wie die Vertiefung in den Geist der Enzyklika Pius' XL In bewegten Worten spricht der Heilige Vater von der Lehrerschaft und ihren Standesorganisationen: „Es erfüllt darum Unser Herz mit Trost und Dankbarkeit gegen die göttliche Güte der Anblick einer so großen Schar guter Lehrer und Lehrerinnen, die im Verein mit den Mitgliedern der männlichen und weiblichen Lehrorden für die Erziehung der Jugend tätig sind.“ „Auch haben sie sich in besonderen Vereinigungen und Genossenschaften zusammengeschlossen, um ihre Geistesbildung um so besser fördern zu können. Diese verdienen in vorzüglicher Weise Lob und Unterstützung ... Alle arbeiten mit Selbstlosigkeit, Eifer und Ausdauer an dem großen Werke, das der heilige Gregor von Nazianz die Kunst der Künste und die Wissenschaft der Wissenschaften nennt...“

Im Hauptteil handelt die Enzyklika vom Erziehungsredit, vom Erziehung.sgegcnstand (dem Zu-Erziehenden), vom Erziehungsziel und Vorbild, von der für die Erziehung günstigen Umwelt. Wir können hier nicht in einzelhafte Erörterung all dieser schwerwiegenden Fragen eingehen. Dieser Aufsatz will ja nur eine Einladung an alle Beteiligten sein, das Rundschreiben selbst wieder zur

Hand zu nehmen. Wir können hier nur einige Grundgedanken herausstellen.

Das Erziehungsrecht wurzelt in der natürlichen und übernatürlichen Seinszuordnung zu dem Zu-Erziehenden. So eignet den Eltern als_ den unmittelbarsten Lebensvermittlern das ursprünglichste Erziehungs recht, der Kirche als der Spenderin der höchsten Lebensform und der gottbestellten Wächterin über das religiössittliche Leben die höchste und umfassendste Erziehungsvollmacht, dem Staat als dem Sachwalter des zeitlichen Gemeinwohles nicht zwar eine väterliche, wohl aber eine zweckbedingte, zweckbegrenzte Erziehung sgewalt. Die vollste Erziehungsleistung wird nur dort erreicht, wo alle drei Erziehungsgewalten einträchtig zusammenwirken. Jedes Auseinanderstreben oder gar Gegeneinanderstreben mindert oder gefährdet den Erfolg dieser wichtigsten menschlichen Tätigkeit, der Erziehung. Das staatliche Schul- und Erziehungsmonopol ist Rechtsvergewaltigung, wie es auch in Rechtsstaaten des öfteren von den obersten weltlichen Gerichtsbehörden erklärt wurde.

Bei der Umgrenzung des Erziehungsgegenstandes offenbart sich die Weite und Wirklidikeitsnähe der katholisdien Denkweise. Der Hauptton wird auf die G a n z-h e i t gelegt. Zu erziehen ist dieser leiblichgeistige, natürlich-übernatürliche Ganze, das der Mensch darstellt. Wir haben es allerdings nicht rnit dem von Natur aus guten Menschen zu tun, sondern mit dem erbsündlich gesdiwächten und zum Teil verderbten Menschen. Zu verwerfen ist daher jedes Lehr- und Schulwesen, das entweder bloß den Nurmenschen in Rechnung zieht oder die Urbelastung übersieht. Besonders ist hier der Naturalismus zu geißeln, der sich vor allem auf dem Gebiet der sexuellen und der Gemeinschaftserziehung der beiden Geschlechter ungünstig auswirkt.

Da es nadi dem Plane Gottes naturhaftes Nurmensdientum nicht gibt, sondern nur das zur Übernatur erhobene Menschentum, da die gnadenhafte Teilhabe am Göttlidien sogar das eigentliche menschliche Ziel ist, diese aber in der neuen Heilsordnung sich durch die Wiedergeburt in Christus und die Angleichung an den menschgewordenen Gottessohn vollzieht, ist das Ziel der Erziehung der Christus gleichförmig gewordene Christ, der vollkommene Christ. Erziehung ist volle Menschwerdung, diese aber in tiefster Auffassung Christuswerdung.

Die Erziehungsumwelt (oder der Erzie-hungsumgrund) ist vierfach: Familie, Kirche, Schule, öffentliches Leben. Der entscheidende Urgrund ist der familienhafte. Alles, was zur Gesundung und Stärkung dieser Urgesellschaft beiträgt, fördert auch die Erziehung; alles, was zur Entfremdung von Kind und Familie führt, unterhöhlt die Grundlage der Erziehung selbst. Als über-natürüdies Wesen kann sich das Kind nur auf dem übernatürlichen Nährboden, nur im übernatürlichen Seelenklima des kirchliehen Umkreises entfalten und reifen. Die Sdiule entspricht nur den katholischen Anforderungen, wenn die christliche Religion Grundlage und Krönung des gesamten Unterrichtes, die innerste Seele des dort herr-sdienden Geistes ist.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung