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Die neuguelfisdie Tradition in Italien

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Der chiistlicheHumanist ist ein Mensch des hellen, klaren Tages und der nüchternen Wirklichkeit, das unterscheidet ihn von allen Romantikern und Mystikern der Nacht und des Unbewußten. Auch er hat einen Traum, den Traum eines Abendlandes als Offenbarung der ewigen Formen der Antike und des Christentums. Ein Europa, in dem Raum ist für die Sonderheit seiner Völker, die sich ergänzen und bereichern, aber nicht sich selbst verengen sollen. Ein Europa, in dem der Schatz der Vergangenheit aufgegriffen wird von der freudigen Kralt der Gegenwart. Ein Europa, in dem die Willkür gefesselt, in*dem das Objektive über das Subjektive, die Form über die Seele, die Tradition über das Geniale herrschen soll, in dem aber trotzdem der Geist reich Und frei sein soll. H. W- R ü s s e ] : „Gestalt eines christlichen Humanismus“

Die Stellungnahme der italienischen Kommunisten zu den Lateranverträgen, für deren Aufnahme in die Verfassung sie gemeinsam mit den Christlichen Demokraten gegen die Liberalen und Sozialisten stimmten, lenkte den Blick über ein Jahrhundert zurück zu einem ähnlich eigenartigen Bündnis, zum neuguelfischen Zwischenspiel von 1846 bis 1848. Über die geänderte politische Konstellation und alle tiefgreifende Zeitwandlung hinweg treten durch diesen Vergleich die beständigen, nach wie vor wirksamen elementaren Kräfte der italienischen Geschichte besonders deutlich hervor.

Zugleich offenbart der gescheiterte Versuch der damaligen italienischen Revolutionspartei, das Papsttum als Bannerträger der nationalen Einigungsbewegung einzusetzen, bereits im Keime die ganze Problematik der aus dem Nationalstaatsgedanken erwachsenden Tragödie, die das folgende Jahrhundert europäischer Geschichte beherrschen sollte. Kein Wunder, daß diese weltgeschichtliche Episode auch Österreich in Mitleidenschaft zog, als jenes Staatsgebilde, das von allen großen Mächten am beharrlichsten an dem Gedanken einer übernationalen Ordnung festhielt und an dessen Krisen und schließlichem Untergang sich die auflösende Kraft des Nationalstaatsgedankens zuerst beispielhaft zu aller Unglück erweisen sollte.

Es ist nun gerade hundert Jahre her, daß in dem Habsburgerreich die Drucklegung aller Lieder und Hymnen auf den neugewählten Papst Pius IX. verboten wurde. Unmittelbaren Anlaß zu dieser Maßnahme boten die antiösterreichischen Kundgebungen, zu denen die von Rossini vertonte Papsthymne „Pio Nono“ in Welschtirol verwendet worden war. Die bald darauf über Nacht am Kreisamtsgebäude in Trient angebrachte Inschrift „Viva Pio Nono, Morte ai Tedes-chi!“ beleuchtet drastisch die eigenartige religiös-politische Situation, die sich aus der Begeisterung der italienischen Nationalbewegung für das Oberhaupt der katholischen Kirche, darüber hinaus aus den Beziehungen zwischen dem jungen streitbaren Nationalismus und den alten übernationalen Glaubensmächten ergab.

Gewiß waren aus der doppelten Stellung des Papstes, als Haupt der Christenheit und Herr des Kirchenstaats, als Statthalter Christi und als italienischer Territorialfürst, seit Jahrhunderten öfter schwere Spannungen erwachsen. Mit dem Problem, wie der Traum eines geeinten Italiens mit der päpstlichen Herrschaft in der Mitte der Halbinsel zu vereinen sei, hatten seit Dante und Machiavelli die italienischen Patrioten immer wieder gerungen. Seit dem Wiener Kongreß allerdings schienen die Fronten klar und die Verbindung der konservativen, umsturz-feindlichen Gewalten mit der Kirche, das

Bündnis von Thron und Altar, • besiegelt; einmal durch die konservative europäische wie italienische Politjik des Heiligen Stuhls, sodann aber auch durch die Förderung, die Metternichs Politik den erhaltenden Kräften der Kirche bewußt angedeihen ließ. Dementsprechend stand auf der anderen Seite die nationale und liberale Bewegung des „jungen Italiens“, die ihre Hoffnung teils auf die Errichtung einer Republik, teils auf Piemont-Sardinien setzte und deshalb dem Papsttum, zumindest aber dessen territorialer Herrschaft, sich feindlich zeigte.

Da schien nun 1846 plötzlich die Wahl des verhältnismäßig jungen Grafen Mastai-Feretti, der als Pius IX. den Stuhl Petri bestieg, die Möglichkeit zu einem Bündnis zwischen Papsttum und italienischer Nationalbewegung zu eröffnen. Die ersten Regierungsmaßnahmen des neuen Papstes waren unter anderem eine großzügige politische Amnestie sowie die Vertrauensstellung des als liberal bekannten französischen Botschafters Graf Rossi. Sie erweckten bei der Fortschrittspartei stürmische Begeisterung und übertriebene Hoffnungen. Das nach der papstfreundlichen Partei des Hochmittelalters benannte „Neuguelfentum“, das in Giobertis berühmter Schrift über den zivilen Primat der Italiener seine klassische Formulierung gefunden hatte und das nun wie einst in den Tagen Julius' II. vom Papsttum die Führung in dem Ringen um die nationale Einigung erhoffte, erhielt in ganz Italien mächtigen Auftrieb. Der Name des Papstes ward als „Pio Nono“ zum Banner

und Schlachtruf der nationalen und liberalen Bewegung. Darüber hinaus aber schien sich ein Bündnis zwischen dem Katholizismus und den Tendenzen des Jahrhunderts abzuzeichnen, wie es sich in Frankreidi bei Lamennais, in Deutschland bei Gruppen, vor allem im rheinischen Katholizismus, bereits angedeutet hatte. Metternichs scharfe Äußerungen über den „liberalisjerenden Papst“ beleuchten die Bestürzung, die diese Gefahr im konservativen Lager hervorrief.

Die stürmischen Ereignisse von 1848 bereiteten der Schilderhebung des Papstes durch die Revolutionspartei ein baldiges Ende, da das Oberhaupt der Kirche sich der ihm zugeschobenen Führerstellung im Kampf gegen die österreichisdie Vorherrichaft naturgemäß versagen mußte. Piemont-Sardinien trat an die freiwerdende Stelle, in Rom selbst aber fiel der Exponent der vorübergehenden Neuorientierung, Graf Rossi, als erstes Opfer einer tumultösen Revolution, die in der Ausrufung der Römischen Republik und der Vertreibung des Papstes gipfelte.

Als Pius IX. nach dem Ende der Revolution nach Rom zurückkehrte, bestand kein Zweifel mehr darüber, daß die doch s^ets mehr einseitige Verbindung von 1846 bis 1848 nur ein kurzes Zwischenspiel bleiben sollte. Das kam in der zunehmenden Annäherung des Papstes an Österreich zum Ausdruck. Auf der anderen Seite gewann nach 1848 die antipäpstliche und antikirchliche Note eine ständig wachsende Bedeutung in der Ideologie des „Risorgimento“. Sein führender Dichter Giosue Carducci machte seinem erbitterten Groll gegen die kirchliche Hierarchie in dröhnenden Versen Luft und hat in seinen Erinnerungen die durch die Ereignisse von 1848 hervorgerufene Wandlung anschaulich geschildert. Sie zeigen die Abkehr einer ganzen Generation von den religiös-sittlichen Idealen, wie sie noch der größte italienische Dichter des Jahrhunderts, Alessandro Manzoni, vertreten hatte.

Pius IX. hat dann im Laufe seines langen Pontifikats noch das Ende des Kirchenstaats und schließlich im Kulturkampf einen weiteren Konflikt mit der anderen, aus der nationalen Bewegung des Jahrhunderts hervorgegangenen Staatsbildung, dem Bismarck-Reich, erlebt. Zugleich erfolgte in dem Maße, in dem die italienisch-territoriale Machtstellung des Papsttums schwand, die Stärkung und Festigung der übernationalen, universalen Seite — eine Entwicklung, die ebenfalls noch .Pius IX. einleiten konnte. Ein Jahrhundert nach dessen Thronbesteigung haben die Kardinalsernennungen des gegenwärtig regierenden Papstes im Vorjahr zum erstenmal in dem höchsten Kollegium der Kirche eine nichtitalienische Mehrheit geschaffen und damit die Weltweite der Kirche sichtbar zum Ausdruck gebracht. Im selben Jahr ist das italienische Königtum, das durch den Raub des Kirchenstaats diese Entwicklung gefördert hatte, dem Wandel der Zeit zum Opfer gefallen.

Nadidem die italienische Einigungsbewegung ihr Ziel im Kampf gegen die territoriale Herrschaft des Papsttums erreicht hatte, stand die „römische Frage“ auch nach 1870 einer Einigung im Wege. So blieb für die konstitutionelle Monarchie die antikirchliche Frontstellung zunächst ein wesentliches Erbstück aus dem „Risorgimento“. In der architektonischen Opposition des Viktor-Emanuel-Denkmals in Rom, das der Peterskuppel die Herrschaft über das Bild der Ewigen Stadt streitig machen sollte, hat dieser eingeborene .Gegensatz seine sichtbare Verkörperung gefunden.

Der Gedanke einer Versöhnung zwischen Kirche und Nationalbewegung, die positive Grundlage des Versuchs von 1846 bis 1848, lebte gleichsam unterirdisch doch weiter, zumal die politische Geschmeidigkeit und persönliche Konzilianz der Italiener immer wieder den durch das enge Nebeneinander der beiden Mächte im Volks- und Alltagsleben unerläßlichen Modus vivendi zu finden verstand. Selbst der Feuerkopf Carducci bot dem von ihm so leidenschaftlich bekämpften Papst Pius IX. als „Cittadino Mastai“ in einem versöhnlicheren Gedicht schließlich im Geiste ein Glas Wein an.

Daß die großen Parteien der Liberalen und Sozialisten dem im tiefsten Grund der italienischen Volksseele schlummernden Bedürfnis nach einer Versöhnung der beiden, das nationale Leben bestimmenden Mächte nicht Rechnung tragen konnten, hat wesentlich zum Sieg des Faschismus beigetragen. Die Lateranverträge wurden ein unbestreitbarer, gewaltiger Erfolg für Mussolini, wenn auch die Brücken, die der Faschismus immer wieder zwischen der „Romanita della Chiesa“ und der „Universalita del Fascismo“ zu sdilagen suchte, an demselben grundsätzlichen Konstruktionsfehler litten, an dem schon das Neuguelfentum von 1846 bis 1848 gescheitert war, weil es die Kräfte der universalen Kirche im Kampf gegen das doch ebenfalls übernationale Österreich einsetzen wollte. Es war eine Spannung zwischen dem modernen europäisdien Nationalismus und den universalen religiösen Geistesmächten, wovon wir heute mehr als ein Symptom erkennen, nämlich da1?*dieser Nationalismus auch ideell nicht in der Lage war, eine über den Rahmen der einzelnen Nation hinausgehende Ordnung zu begründen.

Die alten Frontstellungen, die vor einem Jahrhundert Europa in ein konservatives und ein liberales Lager spalteten, bestehen heute nicht mehr, und selbst in Frankreich, wo der Gegensatz zwischen einer diristlichen, konservativen Rechten und einer antikirch-' liehen, revolutionären Linken seit der Großen Revolution am tiefsten verwurzelt war, erscheint er überwunden. In dem Weltenbrand unseres Jahrhunderts ist die Hüterin der alten Ordnung, die Habsburgermonarchie, wie auch ihr jüngerer Widersacher, das nationalstaatliche Bismarck-Reich, untergegangen. Der moderne europäische Nationalismus, der mit zukunftsfrohen Fanfaren vor einem Jahrhundert die alten Kirchengesänge zu übertönen hoffte, irrlich-tert gespenstisch verkrampft über dem von ihm geschaffenen Trümmerfeld. Mitten in den Flammen des Weltenbrandes hat das italienisdie Volk, nach dem Zusammenbruch des nationalstaatlichen Imperialismus, in Kirche und Papsttum sein festes Bollwerk gesehen. Nadi einer von den Hoffnungen des Neuguelfentums durdi eine lange leidvolle Entwicklung getrennten, im letzten Grunde doch verwandten Haltung, müßte Italien in dem Oberhaupt der weltumspannenden Kirche zugleich die höchste sittliche Autorität Italiens erkennen.

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