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Die Offiziere und der „Dämon”

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Am 27. September 1962 hatten unzufriedene Offiziere den noch ungekrönten Nachfolger des letzten regierenden Imams, Achmed, den seine Untertanen den Dämon nannten und der sieben Tage früher an den Wunden zahlreicher Attentate verstorben war, gestürzt und die Republik ausgerufen. Der junge Imam entkam in Dienerkleidem aus seinem zerschossenen Palast und sammelte unter den nördlichen Bergstämmen ein abenteuerliches Heer. Der Jemen war binnen weniger Tage in das republikanische Städtedreieck Sanaa-Taiz-Hodeida im Süden und das royalistische Bergland im Norden geteilt. Die Umstürzler riefen, um ihrer Revolution zum Sieg zu verhelfen, nach ägyptischen Truppen. Präsident Abdel Nasser intervenierte gegen den Widerstand seiner Regierung.

20.000 mit modernen Sowjetwaffen ausgerüstete und häufig abgelöste Elitesoldaten befanden sich seitdem ständig im Jemen. Ihre Zahl soll zeitweilig bis auf 41.000 Mann, etwa die Hälfte der ägyptischen Armee, angestiegen sein. Dennoch siegten die Invasoren nicht. Die schlecht ausgerüsteten — mit Geld und Waffen vom benachbarten Saudisch-Arabien unterstützen — royalistischen Banden pflegten keine Gefangenen zu machen; sie schnitten Gegnern, die in ihre Hände fielen, Ohren oder Nasen ab und jagten sie zu ihren Einheiten zurück. Solche Barbarei demoralisierte die Ägypter ebenso wie die nächtlichen Überfälle auf Straßen und Flugplatz der waffenstarrenden republikanischen Hauptstadt Sanaa. Sie erlitten hohe Verluste. Am Ende war der Frontverlauf noch genauso wie am Anfang, und schon zwanzig Kilometer außerhalb der Städte standen die Stammeskrleger.

Das Jemenabenteuer kostete Ägypten täglich eine Million Dollar. Als die dadurch entstandene Wirtschafts- und Versorgungskrise erste Höhepunkte erlebte und sich abzeichnete, daß der Krieg nicht zu gewinnen war, entledigte sich Abdel Nasser der lautstärksten Opponenten. Bei einer „Regierungsumbildung” verschwanden seine schärfsten Kritiker und einstigen Mitkämpfer, die Vizepräsidenten Abdel Latif el-Boghdadi und Kamal Eddin Hussein, in der Versenkung. Seitdem hielt der ägyptische Präsident nach Lösungsmöglichkeiten für den kräftezehrenden Kampf Ausschau. Amerikanische Vermittlungsvorschläge akzeptierte er jedoch ebensowenig wie Lösungspläne der UN.

Die saudische Vorbedingung für Friedensverhandlungen, die gleichberechtigte Teilnahme des Imams, mußte er schließlich hinnehmen.

Das große Dilemma

Das künftige Schicksal des Jemen soll in einer Volksabstimmung entschieden werden, von der einstweilen noch niemand weiß, wie sie in dem mittelalterlichen Land abgehalten werden kann. Für ihren Ausgang sind zwei Möglichkeiten denkbar. Entweder wird die bereits existierende faktische Teilung in republikanischen Süden und royalistischen Norden judifiziert — oder der vertriebene Imam kehrt auf den Thron seiner Väter als konstitutioneller Monarch über einem Regierungschef der Revolutionäre zurück. Beide Lösungen bedürften saudisch-ägyptischer Garantie.

Das Mißlingen der Revolution hat zwei Gründe. Einmal stellte sich heraus, daß eine moderne Republik sich nicht auf das patriarchalische Stammeswesen aufpfropfen ließ. Zum anderen machten die Ägypter schwere Fehler. Sie behandelten das besetzte Gebiet wie eine Kolonie. Der frühere Vizepräsident Abdel Rahman el-Baddani, der später in ägyptischer Haft verschwand, führte sich wie ein ausländischer Statthalter auf und umgab sich mit einer ägyptischen Leibwache. Jemenitische Beamte erhielten ägyptische Aufpasser. Der Haß auf die überheblichen „Helfer” wuchs. Er wurde auch dadurch nicht gedämpft, daß den Ägyptern gar kein anderer Weg blifeb, sofern sie eine funktionsfähige moderne Verwaltung einführen wollten, die es bislang nicht gab und von der die Jemeniten praktisch nichts verstanden.

Leerer Beutel — große Sprünge

So stand Abdel Nasser vor der bitteren Bilanz, daß der opferreiche Krieg verloren zu gehen drohte. Seine panarabischen Expansionspläne gab er allerdings nicht auf. Sie erhielten nur eine neue Stoßrichtung. Das Jemenabenteuer war immerhin eine Bewährungsprobe seiner Armee. Noch bevor die in dem sudanesischen Kurort vereinbarte Feuereinstellung bekannt wurde, griff sein Intimus Mohammed Has- sanan Heikal in die im Sudan fast gleichzeitig ausgebrochenen inneren Unruhen ein und grub seit zehn Jahren vergessen geglaubte Parolen von der „Einheit des Niltales” wieder aus. Ägyptens Expansionshun- ger| braucht ein anderes Ziel (Vergleiche „Die Furche” Nr. 47, 21. November 1964.) In Kairoer Kaffeestuben erzählt man sich unterdessen hinter vorgehaltener Hand einen neuen Witz: Abdel Nasser wolle den Adler, das ägyptische Hoheitszeichen, auf den Geldscheinen durch das Känguruh ersetzen. Damit jeder sehen könne, wie man mit leerem Beptel große Sprünge macht

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