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Die „OstudavarScJiokoIade

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Eines Tages, nachdem es uns wieder einmal gelang, den dazugehörigen Schlüssel zu ergattern, spielten wir auf dem Dachboden. Es war sehr heiß und der Staub roch anders als unten auf der Straße. Auch die Wärme roch anders. Das Licht kam schräg von einer Dachluke herein. Wir stießen auf eine braune Truhe, die auf dem Deckel, weiß aufgemalt, „k. u. k. Oblt.“ trug und daneben den Namen des Vaters, aber umgekehrt, mit dem Vornamen zuerst! „Das ist also deutsch geschrieben“, verkündete unsere älteste Schwester. Was tun? An der Truhe hing ein Schloß. Wir gingen hinunter und brachten ganze Bündel von rostigen Schlüsseln und Werkzeugen mit herauf aus der großen Werkzeugkiste. Die Schwester arbeitete den ganzen Vormittag. Dann war die Truhe offen und roch gewaltig. Es kamen seltsame Dinge zum Vorschein. Wir schleppten alles mit und verstauten es unter den Betten, bevor wir uns noch der gewöhnlichen Prozedur, genannt „Hände waschen, sich zum Tisch setzen, sich bekreuzigen, still sitzen“, unterwarfen.

Abends baten wir Vater, er möge doch aus seiner Militärzeit erzählen. (Er hatte, nein, nicht bei den Husaren, sondern bei dem „Train“ gedient, doch ebenfalls zu Pferd: lediglich sein Waffenrock war statt hellblau braun gewesen. Nun — er machte sich nichts daraus. Nicht so aber Onkel Zoitän, dem wir nie und nimmer merken lassen durften, daß wir es wußten! Onkel Zoitän war einst zusammen mit Vater Einjährigfreiwilliger beim „Train“ in der Kaserne auf dem Arena-ut gewesen, in Budapest. Beide wollten sie ursprünglich zu den Husaren einrücken, doch hatte es an Geld, an Protektion oder an sonst etwas gemangelt. Aber die späteren Bekannten von Onkel Zoitän mußten an sein ehemaliges glänz- und ruhmvolles Husarendasein glauben!)

Wir fragten also, wie es bei der Parade zum Geburtstag des Königs gewesen war. Das war immer die Hauptfrage.

Sie waren schon seit fünf Uhr früh auf dem Paradeplatz gestanden, alle, mit den Pferden. Vater zeigte uns, wie sie dann in breiten Reihen an dem König vorbeidefiliert waren. Er zeigte uns, wie der Oberst mit dem Säbel furchtbar herumgefuchtelt und dazu unartikulierte Kommandoworte gebrüllt hatte, während sie alle das Pferd ganz kurz gehalten und auch sonst schrecklich achtgegeben hätten, um ja nicht aus der Reihe zu

tanzen. Das wäre nämlich eine fürchterliche Blamage gewesen, für den ganzen „Train“. Die Musik hatte den „Prinz Eugen“ geblasen. Wir kannten das alles schon gut und wußten auch, daß er den König nur einen Augenblick gesehen hatte, weil er sonst auf seinen Nachbarn von rechts hatte achtgeben müssen. Nun hielt ich aber die Zeit für gekommen und verschwand, um bald mit einem schwarzgoldenen Tschako zu erscheinen. Um den Tschako ging ein schwarzer Roßschweif herum. Die eine Schwester schleppte einen Säbel herbei, die andere eine kleine Tasche aus Silberblech mit goldenem Träger, die „Kartusche“. Der Geruch des Dachbodens breitete sich aus.

Wie hießen Vater diese Dinge anzulegen. Er wunderte sich nicht wenig, aber wir auch, weil er doch gar nicht böse wurde. Und so bekamen wir ein vollständigeres Bild von jener Parade zum Geburtstag des Königs.

Dann unterhielten wir uns eingehend über den schwarzgoldenen Tschako mit dem Lackschild und dem Roßhaarschweif, und da sagte Vater auf einmal, er hatte so einen Tschako erstmals auf dem „Millennium“ gesehen.

Wir forderten ihn auf, über das Millennium“ zu sprechen, Da erzählte er, daß das „Millennium“ eine große Ausstellung und ein großes Fest gewesen war, aus dem denkwürdigen Anlaß, daß wir Ungarn unser Land vor Schlag tausend Jahren erobert hatten. Sein Väter hatte ihm alles gezeigt, auch die, wie er zuerst glaubte, „uralte“ Burg „Vajda-Hunyad“ am Seeufer im Stadtwäldchen, kurzum alles, was zu sehen gewesen war. Am stärksten hätten ihn zwei Dinge beeindruckt: die Tschakos auf den Köpfen der Offiziere und — ja, und die „ösbudavär“-Schoko-lade...

Da aber lachte unsere Mutter hellauf. Weil auch sie eine Erinnerung hatte, die „Ösbuda-vär“-Schokolade hieß, obwohl sie selbst zur Zeit des „Millenniums“ noch gar nicht auf der Welt gewesen war. Jedesmal nämlich, wenn sie zu Hause eine etwas antiquierte Schokolade, Geschenke irgendwelcher Tanten, zu verspeisen gehabt hatten, hatte ihr Vater die Bemerkung fallen gelassen: „Genau wie die ,Ösbudavär'-Schokolade!“

„Jawohl“, sagte darauf Vater etwas nachsinnend, „die ,Ösbudavär'-chokolade war eben ihrem Namen würdig gewesen. Nicht nur, daß sie stets ,utalt' war, worauf die erste Silbe in ihrem Namen wohl genügend hinderte,

und hart, wie die Steine jener sagenumwobenen Burg ,Buda' sein mochten, sie schmeckte bei alldem noch nach etwas Ungewöhnlichem, Gekünsteltem, wie ja auch die sonst nie gehörte Zusammensetzung ,Ösbudavär', die auf deutsch etwa mit ,Uralt-Ofenburg' zu übersetzen wäre. Die Vermutung liegt daher nahe“, so ungefähr drückte sich mein Vater aus, „daß dieser etwas allzu romantische, sich gleichsam in Dämmerlicht hüllende Name am Ende demselben Geist der ,Millenniums'-Zeit enstammte wie die fragwürdige Ware selbst, oder wie auch die aus Holz, Leinen und Papiermache zusammengekleisterte stolze Feste ,Vajda-Hunyad' auf dem Ausstellungsgelände ... Nun ja, und trotzdem ... Wieso trotzdem?

Eines Abends, und zwar viele Jahre später, entstieg ich auf dem Prager Wilsonbahnhof einem Zug. Einst hatten wir gelernt, daß die Tschechen uns immer aus dem Hinterhalt angegriffen hätten usw. Kein Wunder, daß die ganze Schulklasse diesen hinterlistigen Tschechen... So war auch ich noch immer ein wenig mißtrauisch. Es war, wie gesagt, Abend und der heilige Wenzel hoch zu Roß hob sich drohend von einem dunkelgelb-bläulich schimmernden Horizont ab.

Gleich bei der Karlsbrücke gab es ein kleines Beisel. Das Pilsrter bestellte ich deutsch, worauf mich der Kellner ungarisch begrüßte. Wir sprachen über die Zeiten. Auf einmal schaut er auf. Dann hebt er den Aufsatz voller „Adria“-Schnitten auf und stellt ihn auf den Nachbartisch, rückt ihn vor einen Herrn älteren Jahrgangs. Dieser aber schüttelt den Kopf und lächelt und ruft mir etwas zu. Nun vernehme ich: „Ösbudavär“-Schoko-lade. Eine fürchterliche Aussprache, wozu nur ein Tscheche imstande ist, und trotzdem ...

Auch ihm hatte einmal sein Vater das „Millennium“ von Budapest gezeigt.

Das alles fiel mir ein, als ich vor kurzem hier in Wien einem bekannten Ehepaar begegnete. Vor Jahren hatte ich den Herrn fast jeden Morgen mit der Aktentasche weggehen gesehen, da ich auf demselben Gang gewohnt hatte. Jetzt kam er mir mit seiner Frau spätabends auf der Schwarzspanierstraße entgegen. Ich erkannte ihn an seinem Steirerhut mit dem mächtigen Gamsbart. Wir blieben stehen und wechselten freundliche Worte. Auf einmal stockt er im Gespräch, schaut auf seine Frau und wieder auf mich. „Wissen Sie“, sagt er und dabei schaut er herum, als ob er mir ein Geheimnis anvertrauen wollte, „ich habe schon immer gedacht, als Sie noch neben uns gewohnt haben, daß ich Sie etwas fragen könnte, es ist aber nie recht dazu gekommen ...“

Ich ermunterte ihn. Ein Straßenpassant ging vorbei.

„Wissen Sie, ich war nämlich auch einmal in Budapest...“

„Während Ihrer Militärzeit?“ erkundigte ich mich und denke an den Tschako sowie an Onkel Zoitän.

„Nein, nein! Während der Militärzeit, da war ich in Böhmen. Auch in Ungarn freilich, bei einem Sommermanöver, aber sonst zumeist in Böhmen und dann in Galizien. Nein, was ich fragen möchte... Budapest hat mir nämlich noch mein Vater gezeigt, Sechsundneunzig, wissen Sie, das war das Jahr des ,Mill-enniurtis'. Ich war damals noch ein kleiner Bub, und wissen Sie“, er lächelt und blickt auf seine Frau, „ich erinnere mich noch so gut an die ,Ösbudavär'-Schokolade! Erinnern Sie sich auch? Ich meine... oder hat es die ,Ös-budavär'-Schokolade auch noch später gegeben, zu Ihrer Zeit?“

Ich mußte verneinen, und trotzdem ...

Wir schweigen und schütteln uns die Hand. Auch seine Frau lächelt und schweigt. Die letzte Straßenbahn rattert stadtwärts die Währinger Straße entlang.

Nun frage ich mich und, da ich, leider, in dieser Sache kein richtiger Zeuge sein kann, frage ich alle, die es noch wissen müßten: Wie war das mit dieser „Ösbudavär“-Scho-kolade? War sie am Ende doch gar nicht so schlecht, oder ...?

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