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Die Papyrussammlung Erzherzog Rainer

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Das geborstene Wrack der Albertina birgt außer der weltberühmten Sammlung von Graphiken auch noch eine zweite, wenn auch weniger bekannte, so doch nicht minder wichtige Kollektion, die für die internationale Wissenschaft einzigartige Bedeutung hat, die „Sammlung von Papyri“, die mit dem Namen des Erzherzogs Rainer immer verknüpft sein wird. Hätte sich dessen hochherzige Mäzenatengesinnung nach seinem Tode noch weiter bewährt, Wien könnte führende Stätte einer ganzen wissenschaftlichen Disziplin geworden sein.

Im Jahre 1778 wurden bei Gizeh einem unbekannten Kaufmann von Fellachen in einer Sykomorentruhe alte Schriftrollen zum Kaufe angeboten. Er wußte nichts mit ihnen anzufangen. Daraufhin verbrannten die Araber ihren Fund, „um sich am angenehmen Gerüche zu erfreuen“. Das ist die erste Kunde von größeren Handschriftenfunden in Ägypten. Manches war schon vereinzelt nach Europa gekommen und kam dann noch dorthin. Man warf in Ägypten makulierte Schriftstücke, die auf dem Mark der im Nil wachsenden Papyrusstaude, auf Holztäfelchen und Tonscherben geschrieben waren,, auf die Komposthaufen, Köms genannt; das trockene Klima konservierte die Abfallstoffe, zu denen sich organisdie Substanzen (Ammoniak) gesellten. Der Boden war arm, diese Köms gaben guten Dünger, der abgebaut wurde. Die „Sebbach“gräber stellten eine eigene Zunft dar. Erst spät kam man darauf, daß es Schätze waren, die so durch ihre Hände gingen. Besonders reich war ihr Ertrag in der Landschaft Fajjüm.

Das Gros dieser Funde aus der zweiten Hälfte der siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts wurde von dem Wiener Kaufmann Theodor Graf erworben und nach Wien gebracht, wo es in den Jahren 1881 bis 1896 von Erzherzog Rainer gekauft, auf diese Art für Wien gerettet und 1899 der Wiener Hofbibliothek geschenkt wurde. Vom ägyptischen Totenbuch angefangen, setzt sich die Reihe über die Zeit der Griechenherrschaft bis in die arabische Ära fort. Die orientalische Abteilung weist fund 60.000 Stück auf, von denen ungefähr 1400 altägyptische, darunter Hieroglyphen, hieratische und demotische, bearbeitet sind. Daneben finden sich unter anderem altpersische, syrisch-hebräische und in unbekannten Sprachen abgefaßte Papyri; rund 30.000 arabische und 5000 koptische Stücke, nur zum Teil erfaßt und publiziert, liegen bereit. Der Schreibstoff, so mannigfaltig wie der Inhalt, ist meist Papyrus, doch finden sich darunter auch Holztäfelchen, Tonscherben, Linnenfetzen, Pergament und zuletzt die ersten Zeugen des von den Arabern von gefangenen Chinesen übernommenen Papiers.

Das ganze Privatleben von dreitausend Jahren hat hier unmittelbaren Niederschlag gefunden; von größter Bedeutung sind die rund 70.000 griechischen Stücke, meist noch nicht veröffentlicht, die neben Privaturkunden, Erlässen und Briefen eine Fülle neuer literarischer Texte profanen und christlichen Inhalts darbieten; ein Großteil harrt noch der Behandlung und Publikation.

Zuerst betreute der geniale Leiter der Hofbibliothek Josef Karabecek, von tragischem Schicksal umdüstert, dann der vielseitige Leiter Karl Wessely, der aber ungern Zutritt ließ, die Sammlungen. Im Jahre 1920, nach krisenhaften Auspizien, kam dann die Sammlung aus wenig geeigneten düsteren Räumen ins obere Palais Friedrich, wo sie dank der Fürsorge des hochverdienten Generaldirektors Univ.-Prof. Dr. Josef Bick unter tatkräftiger Unterstützung Prof. Gerstingers in den lichten Räumen des Albertinapalais eine würdige Stätte zu finden begann. Auch die Engherzigkeit, mit der man die Bestände der Allgemeinheit verschlossen hatte, war einer konzilianten Freizügigkeit für ernste Forschung gewichen. Die Sammlung, deren Marke „PER“ weltbekannt wurde, erfreute sich größten Ansehens der gesamten wissenschaftlichen Welt.

Dann kam der unselige Krieg, die bewährten Kustoden mußten weichen; einige Zeit war Bearbeitung noch möglich, schließlich erhob sich das Gebot der „Bergung“ kategorisch. Was geschah, war unzureichend und trug den Charakter der Improvisation. Man hatte die wichtigsten Stücke durch den Meister der Konservierung, Jbscher aus Berlin, unter Glas legen lassen. Nun wurden diese mühsam präparierten Blätter rasch, nur unter Dazwischenlegung eines Blattes Zeitungs papiers, in Kisten verstaut und aufs Land gebradit. Dem Bombenschaden wurden sie so entrückt, aber nun kamen die Kisten, ver- ständlicherweise nicht allzu zart angefaßt, wieder nadi Wien zurück: die Fragmente müssen wohl neuerdings ausgegraben werden, diesmal nicht aus dem immerhin „jungfräu- Ichien“ Wüstensand, sondern aus atomisierten Glassplittern. Die kostbare, seit 1920 immer wieder vervollständigte Handbibliothek war in den durch Bombenschaden verwüsteten Räumen untergebracht, jetzt befindet sie sich in Kellerdepots. Es fehlt an Räumlichkeiten, wo man ordnen und sichten könnte, und an geschulten Kräften, welche neuerdings konservieren könnten. Einer der begabtsten, Peter Sanz, ein treuer Österreicher, auf den sich die Hoffnung aller vereint hatte, fiel am

10. Juni 1942 in Rußland. Wo ist der Nachwuchs, der die Kenntnisse, die Liebe zur Sache, den entsagungsvollen Fleiß mitbrächte? Und doch: es d a r f nicht sein, daß eine Forscherstätte, wie die „Papyrussammlung Erzherzog Rainer“, die den Ruhm österreichischer Arbeit in der ganzen Welt würdevoll repräsentiert, versinkt. Mit Berlin wird nicht mehr zu rechnen sein, London und Paris werden ihren Rang wahren, auch in Belgien und Italien regt sich neues Leben. Möge auch unsere Heimat sich des kostbaren Erbes wert erweisen.

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