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Die Schlacht am Kahlenberg

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Es war höchste Zeit, daß die Befreier kamen. Starhemberg hielt in Wien straffe Zucht. Mit eiserner Strenge, die nicht davor zurückschreckte, des Verrats überwiesene Kinder hinzurichten, wurde der Kampfgeist der Verteidiger vor Erschütterung behütet. Doch der stahlharte Kommandant wußte gar wohl, daß auch die größte Tapferkeit nicht endlos die drei Feinde abwehren konnte, die Wien heimsuchten: die Türken, die Seuchen und den Hunger. Vom 8. August an schickte Starhemberg Briefe an Jan III. und an Lothringen; immer dringender klangen die Notrufe. Es war ein Glück, daß wagemutige Männer die Verbindung zwischen der Stadt und der Außenwelt aufrechterhielten. Sonst wäre die belagerte Festung, auf sich selbst angewiesen und ohne Hoffnung, weil ohne Nachrichten, bald der Mutlosigkeit verfallen. Zwei Polen, Kulczycki und dessen Diener Michajlowicz, dann ein dritter Held, Stefan Seradly, machten mehrmals den gefährlichen Weg durch die Reihen der Osmanen und wieder zurück, jedesmal fürstlich durch Hunderte von Dukaten belohnt

Kara Mustafas Streitkräfte waren bei weitem nicht so imposant, wie es nach der Zahl von 140.000 scheinen möchte. 25.000 Christen sind ohne weiteres von dieser Zahl abzuziehen; es war schon viel, wenn sie nicht als Gegner anzusetzen waren. Von den verbleibenden 115.000 blieben etwa 25.000 zur Belagerung Wiens zurück. Unter den 90.000, die an der Schlacht gegen die Entsatzarmee teilnahmen, sind indes nicht alle vollwertige Kombattanten gewesen. Sobieski befehligte dagegen ein Heer von 76.000 Mann, das zumeist aus hochwertigen Kämpfern bestand. Davon waren etwa 25.000 Polen unter ihrem König und 3000 Mann vom Hilfskorps Hieronim Lubomirskis, das in die kaiserlichen Truppen eingegliedert war, also zusammen ungefähr 40 Prozent des Gesamtheeres. Aus dem Reich waren etwa 10.000 Bayern und ebenso viele Sachsen, 8000 Franken und Schwaben, also ungefähr ebenso viele Streiter wie aus Polen gekommen. Ungefähr 20.000 Mann aus den kaiserlichen Erblanden stellen eine beträchtliche militärische Leistung dar, wenn man bedenkt, daß mehr als 11.000 Mann der besten Soldaten in Wien eingeschlossen waren, daß andere Truppen am Rhein und in den Niederlanden unentbehrlich schienen und daß viele tausend Mann Landsturmformationen in den Provinzen zum Schutz gegen die Streifungen der Türken und Tataren auf der Wacht lagen. Den Waffengattungen nach gehörten etwa

35.000 Mann der Infanterie an, zumeist Reichstruppen, während die Polen den Löwenanteil an der etwas zahlreicheren Kavallerie hatten. Die Angaben über die mitgeführten Geschütze schwanken zwischen 130 und 168. Über die Truppenanzahl gehen die Nachrichten nur unwesentlich auseinander; sie bewegen sich von

70.000 bis 78.000.

Mit dieser vortrefflich ausgerüsteten und wohldisziplinierten Streitmacht konnte um so eher ein voller Triumph erfochten werden, als die Stimmung gehoben, kampffreudig und voft religiöser Siegeszuversicht getragen war. „Bei allen herrscht große Begeisterung für diesen Krieg. Wir haben die festgegründete Hoffnung zu GoVt, daß Er die christlichen Heere segnen werde“, so be richtet ein junger polnischer Magnat, der in der Schlacht zum Blutzeugen seines Glaubenseifers wurde.

Noch eine Nacht unter freiem Himmel. Sobieski ist von kaum mehr eindämmbarer Kampfbegierde erfüllt. Wie ein edles Rennpferd das Zeichen erwartet, um seine höchsten Kräfte zu entfalten, so verbarg der Herrscher unter der ruhigen Oberfläche die Stürme seines Innern. Seine eindrucksame Natur empfand bei Beginn einer Schlacht nicht nur den Mut des Soldaten und die Anspannung des Staatsmanns, der Politik mit den üblichen Mitteln, mit Blut und mit Eisen, betreibt, sondern auch die Emotionen des Künstlers. Wenn er einst vor Zörawno, in fast verzweifelter Bedrängnis, sein Auge am Umzug des Seraskiers und des Chans erfreut hatte, so genoß er jetzt, von der Höhe des Wienerwal- des, die großartige Fernsicht über die belagerte Kaiserstadt und weithin über die Ebene, in der sich das silberne Band des Donaustromes hinschlängelte, bis an die in blauer Ferne verdämmernden Karpathen und zum Leithagebirge. Soweit man blicken konnte, ein Zeltmeer...

Sechs Uhr fünf Minuten. Kanonenschüsse geben vom Kahlenberg her das verabredete Zeichen zum Angriff. Als hätten sie sich zum Stelldichein begeben, stürzen sich in diesem Augenblick die Türken auf zwei sächsische Bataillone, die am Vorsprung des Kahlenbergs halten. Die Sonne geht auf. Sonntag, der 12. September 1683. Das gesamte osmanische Heer setzt sich in Bewegung. Die Christen stehen ihm in folgender Ordnung gegenüber: Am linken Flügel, längs der Straße, die an der Donau abwärts von Klosterneuburg nach Wien führt, kaiserliche und sächsische Kavallerie unter General der Kavallerie Graf Caprara, das polnische ilfskorps unter Feldmarschalleutnant Fürst Lubomirski dahinter. Anschließend daran kaiserliche und sächsische Infanterie, unter dem Markgrafen von Baden und dem Herzog von Croy, dem Kurfürsten Johann Georg, dem Herzog von Sachsen-Weißen- fels und Feldmarschall v. d. Goltz. Diese linke Gruppe, die den ersten Stoß wagt, wird vom Herzog von Lothringen geleitet. Im Zentrum,

das von den Bergen herab mehrmals Hügel überwinden muß, kämpft die bayerische, die fränkische und die sächsische Infanterie, drei Treffen tief. Es kommandieren der Kurfürst Max Emmanuel von Bayern, Feldmarschall Markgraf von Baden und Feldmarschall Graf Degenfeld. An die Infanterie lehnt sich die kaiserliche, die bayerische und die fränkische Kavallerie unter dem Herzog von Sachsen-Lauenburg und Feldmarschall Fürst Waldeck an. Der linke Flügel hat etwa 26.000, das Zentrum bei 22.000 Mann den Türken entgegengestellt. Rechts, auf den von Wien am weitesten entfernten Bergen, war die gesamte polnische Armee, verstärkt durch etwas kaiserliche Infanterie, ebenfalls in drei Treffen, im Anmarsch, die Infanterie in der Mitte, Kavallerie an beiden Flanken. Es befehligten die Hetmane Jablonowski und Sieniaw- ski, der Wojwode Denhoff, der Artilleriegeneral Katski, die bewährten Kriegskameraden Sobieskis aus ungezählten Schlachten und Scharmützeln wider die Muselmanen, Bidzinski, Zbrozek, Rzewu- ski, der Schwager des Herrschers Comte de Maligny. Der König übernahm im Laufe der Schlacht das Oberkommando über seine Armee, nachdem er die ersten Phasen der Schlacht beim linken Flügel und beim Zentrum beobachtet hatte.

Ein vorzüglich organisierter Dienst von Adjutanten und Stafetten sorgte während des ganzen Tages für engen Zusammenhang aller Abteilungen und für rasche Übermittlung der Befehle der obersten Heeresleitung. Die vorzügliche Sicht gestattete dem König eine gute Überschau des gesamten Schlachtfeldes. Die einzelnen Abteilungen griffen wie ein Räderwerk ineinander. Dort unten an der Donau zwischen den Weinbergen sich vorarbeitend, in weißen Röcken und schwarzen Filzhüten, die kaiserliche Infanterie. Weiter, nach Nußdorf zu, in braunen, grünen und roten Röcken, die Dragoner. Dazwischen eine Farbensymphonie von blau, grau, grün und rot, die Truppen der Reichsfürsten. Dann Kavallerie, Kürassiere in braunem Rock und roter Hose, mit schimmernden, in der Sonne blitzenden Kürassen. Diese Masse, vom Berg aus einem Ameisengewimmel ähnlich, ist in steter Bewegung, nur selten flutet sie ein wenig zurück, doch sie gewinnt unablässig Raum.

Die Reiterei Capraras und Lubomirskis jagt die Türken am Donauufer vor sich her; parallel zu ihr schieben die Kaiserlichen des Markgrafen Hermann und die Sachsen v. d. Goltz’ die Infanterie Oglu Paschas und Mehmeds Paschas zurück. Bis zur Mittagsstunde hat der linke Flügel Nußdorf und den Nußberg erobert. Der rasche Vormarsch bringt einen gefährlichen Moment: Zwischen den Sachsen und dem Zentrum, wo die Franken als nächstes Glied in die Kette eingefügt sein sollen, klafft eine Lücke. Die Osmanen erspähen den Vorteil und werfen sich regel los in die Bresche. Kaiserliche Infanterie und Sachsen stellen die Verbindung und damit die Lage wieder her. Das Zentrum ist inzwischen nachgerückt, ohne starkem Widerstand zu begegnen. Das Terrain bietet größere Hindernisse, als das die Türken tun. So erklärt sich die Langsamkeit des Tempos, in dem die Bayern und die Franken nach sechsstündigem Marsch in eine Linie mit den schwer und blutig ringenden Sachsen und Österreichern des linken Flügels gelangen. Nun sind die Truppen der Reiohsfürsten und Lothringens in eine Linie vorgedrungen, die von Sievering und Grinzing bis nach Heiligenstadt reicht, in das die Sachsen unter v. d. Goltz nunmehr einfallen. Die Sonne strahlt vom Himmel; sie scheint zur Mittagsrast zu laden. Und wirklich (lassen wir dem Markgrafen Hermann von Baden das Wort): „Man hielt mehr als eine gute halbe Stunde ein, mit viel Ungeduld, jedermann hatte das Antlitz nach dieser einen Seite — westwärts gelenkt. Da sah man plötzlich die kleinen Fähnchen blinken, welche die polnische Kavallerie an ihren Lanzen trug. Bei unseren Truppen ertönte nun ein so furchtbarer Sohrei, daß sogar die uns gegenüber stehenden Türken davon erschüttert schienen.“

Drei Uhr nachmittag. Siebzigtausend Mann, soviel ihrer noch im Entsatzheer kampffähig sind, haben sich neugeordnet. Links, von der Donau bis nach Döbling Kaiserliche und Sachsen, im Zentrum, von da bis Gersthof, Bayern, Reichskontingente, infolge der verkürzten Linien nunmehr in tiefe Kolonnen gegliedert und mit verstärkter Durchstoßkraft begabt. Rechts harrt die bisher noch kaum als Ganzes in das Gemenge hineingezogene polnische Reiterei des Befehls zur Attacke. Rund

20.000 Mann sind zu diesem Angriff, einem der großartigsten, den die Kriegsgeschichte kennt, bereit. Polen, Kaiserliche und Reichstruppen. Die Front der Kavallerie ist gegen Süden gerichtet, geradeaus auf das Zelt des Großwetsirs zu, das etwa vier Kilometer entfernt in der Wiener Vorstadt St. Ulrich aufgeschlagen worden war.

Dies ist die Stunde, nach der sich das Herz des Helden gesehnt hat, die Stunde, in der er für Glauben und Heimat kämpfen und siegen wird. Der Polenkönig, Künstler selbst in dem Moment, der sein letzter werden konnte, berauscht sich an den Eindrücken, den nimmer wiederkehrenden, die auf Auge und Ohr einströmen. Dort zur Rechten die polnischen Dragoner. In den roten Röcken, mit blauen Hüten und hohen gelben Stulpenstiefeln, drüben die Kaiserlichen in einem bunten Farbenmeer, Reiter nach dem Geschmack der Zeit. Doch hinter dem Herrscher ist die Zeit der Kreuzfahrer lebendig geworden. Da halten, in flimmerndem Harnisch, eisenbebandschuht, den Sturmhelm auf dem Haupt, den Bogen und den Köcher am Sattel, die Lanze in der Rechten, die Panzerreiter. Da thronen regungslos auf ihren schweren Rossen die in ganz Europa berühmten Husaren. Auch sie in Panzer mit Helm, ein Tierfell über die Rüstung geworfen, mit langen, dicken Lanzen bewehrt, eine Feder am Helm und auf dem Rücken die legendären Flügel, die bei der Attacke vom Wind getrieben werden und den Husarenregimentern das schreckhafte Aussehen verleihen, das den Gegner zur Flucht zwingt, ehe er mit diesen Dämonen ins Handgemenge gekommen ist.

Jan III., von Gottes Gnaden König von Polen, Großfürst von Litauen, hält vor der Front des glänzendsten Reiterheeres, das in der neueren Geschichte eine Schlacht entschieden hat. Weithin sichtbar erhebt sich der Falkenflügel an hoher Lanze, das Zeichen, daß der Herrscher der Sar- maten in eigener allerhöchster Person den Befehl führt. Ein Schildträger hält den ehrwürdig-glorreichen Schild der Sobieski mit dem Wappen Janina. Sobieski ist auch jetzt, nicht nur wenn es ans Tafeln geht, wie zur Hochzeit geschmückt Hurra, du Eisenbraut! Er reitet ein fahlbraunes Pferd, dessen märchenhafte Schönheit den Neid aller deutschen Fürsten weckt, reinste, edelste arabische Rasse. Über dem Panzer trägt der Monarch einen dunkelblauen Kontusz, darunter einen Zupan aus weißer chinesischer Seide. Die Hand führt den Streitkolben der polnischen Hetmane, die Bulawa. Das Haupt deckt ein Kal- pak, an dem ein herrlicher Reiher durch einen Edelstein von unschätzbarem Wert befestigt ist. Ernste Würde, vollkommene Ruhe und Selbstbeherrschung sind im männlich schönen Antlitz des Königs zu lesen. Dem Vater zur Seite reitet der sechzehnjährige Prinz Jakob.

Ein Wink des Monarchen. Die Pauken erdröhnen, die Trompeten schmettern, der uralte Schlachtruf der Polen erschallt: „Jezus, Maria, ratuj!“, „Jesus, Maria, hilf!“ Die gewaltige Masse der Reiter hat sich in Bewegung gesetzt. Es ist drei Uhr zwanzig Minuten. Mit bewundernswertem Mut stößt die herrliche türkische Kavallerie der Spahi gegen die besser bewaffneten und zahlenmäßig stärkeren Heerscharen Sobieskis vor. Der Zusammenprall ist mörderisch. Von 2500 Lanzen der die erste Linie bildenden Husaren bleiben nur 20 unzersplittert. Doch die vorderste Reihe der Osmanen fliegt vom Pferd. Das Fähnlein des Prinzen Alexanders durchbricht als erstes die türkische Front. Weiter, weiter! Die zweite türkische Linie zerbirst. Die dritte Linie wirft sich den Giauris entgegen. Selig, wer für den Glauben stirbt; mit rosenfarbigem Kaftan bekleidet, steigt er empor ins Paradies, wo mandeläugige Huris seiner warten.

Kara Mustafa hat das Paradies schon auf Erden; er will es nicht so schnell mit dem himmlischen vertauschen. So entweicht er; die Heilige Fahne des Propheten wird fort- gebraoht. Man tötet alle christlichen Gefangenen, die nicht entweichen können oder deren sich nicht das Mitleid der Geschlagenen erbarmt. Das türkische Zentrum, das bis dahin heldenhaft den Kaiserlichen, den Franken und den Bayern getrotzt hat, muß nun sofort zurück, um nicht umzingelt zu werden. Döbling, Gersthof sind unhaltbar geworden. Während der Reiterattacke hatte die Infanterie wiederum ihre eigenen Kämpfe beinahe vergessen. Vom General-Lieutenant Lothringen angefangen bis zum letzten Fußsoldaten blicken alle wie gebannt auf das schaurig-schöne Schauspiel, da zwei Welten um die Palme des Sieges ringen; die rasche Beweglichkeit, der Lärm und die Wucht der Reitermassen macht den Kampf sinnfälliger, als das die langsame, mühsame und zähe, stillere Heldenarbeit der Infanterie vermöchte. Erst nach vier Uhr leben die Angriffe des Fußvolkes wieder auf- Herzog Karl hat nur mehr lässige Verteidigung zu überwinden. In kaum einer Stunde sind seine Tapferen durch den Alsergrund und durch die Rossau bis ans Schottentor gekommen; auch die Mitte rückt allmählich nach.

Um fünf Uhr müssen die Polen, die sieh nach der großen Attacke neu geordnet haben, nochmals die Türken zersprengen. 20000 Rosse galloppieren gegen die Schmelz und die Vorstadt St. Ulrich. Um halb sechs betritt Sobieski das Zelt Kara Mustafas.

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