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Die Sikhs

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Die schweren Unruhen, in welche die Teilung der nordindischen Provinz Pandschab die neuen Dominions Indien und Pakistan gestürzt hat, erhielten ihren stärksten Anstoß durch den Ieidenschaftl'chen Widerstand der Shiks, deren Gebiet durch die Grenzziehung zum Teil an ihre stets mit Erbitterung bekämpften Feinde — die Moslims von Pakistan — gefallen ist *.

Eine eigenartige Religionsgemeinschaft des an Merkwürdigkeiten und Kontrasten reichen Indiens stellen die Sikhs dar, jenes tüchtige, fast vier Millionen zählende Bauernvolk im östlichen Pandschab, dessen bärtige, hochgewachsene Männer, die „Ein-geborenengentlemen“, wie sie oft bezeichnet wurden, zu den besten Soldaten der anglo-indischen Armee zählten. Diese Sihks {Jünger“) standen und stehen zu den Moslims, weniger zu den Hindus, aus denen sie einst als eine der vielen Sekten hervorgegangen waren, in betontem religiösen und sozialen Gegensatz. Ihre Religion, ein dem pantheistischen Brahmanismus widersprechender Monotheismus, verband sich mit einem eroberischen Machtstreben; eine militärische Organisation wurde Trägerin eines eigenständigen Gottesglaubens.

Der S:khismus ist eine verhältnismäßig späte Bildung. Sein Stifter, Baba Nanak, geboren 1469 in einem Dorfe bei Lahore, Angehöriger der Händlerkaste der Khatri, war keine soldatische Natur. Schon in früher Jugend zeigte der Hochbegabte Neigung zu religiösen Spekulationen und zum Meditieren, sehr zum Leidwesen seines auf praktische Dinge eingestellten Vaters. Die Lehren und Praktiken der Brahmanen befriedigten ihn nicht. Baba Nanak verließ schließlich Frau und Kinder, um sich ganz seinen Betrachtungen hinzugeben. In einer Vision während eines rituellen Morgenbades glaubte er die göttliche Berufung zur Begründung einer neuen rel;giösen Richtung zu empfangen. Sein Glaubenssätze trug er in Gesängen vor, die ein mit ihm ziehender Musikant auf einem Saiteninstrument begleitete. In der Rolle eines geistlichen Lehrers, eines Guru, unternahm er allegorische Pilgerfahrten nach den „vier Weltgegenden“ und zu einem hinduistischen Heiligen; auf seinen weiten Reisen, die ihn nach Kaschmir, Ceylon, sogar nach Tur-kestan und Mekka führten, wurde er mit verschiedenen Religionen bekannt.

Nanak wollte zunächst nur Reformer sein. Er lehnte das dem Atheismus zustrebende oder ihm bereits verfallene brahmanistische System der Weltseele ab und warb für den Glauben an einen persönlichen Gott. Eine Verbindung von Islam und Hinduismus schwebte ihm vor. Er predigte Nächstenliebe, Toleranz und Gleichheit aller Menschen, entgegen dem alles beherrschenden indischen Kastenwesen.

Während Nanaks und seiner unmittelbaren Nachfolger. Wirken ein religiöses und .oziales war. kam mit dem Gu-u Arjan Dev fgeb. 15S1) eine Wendung, die in die Politik führte und auch in der Folgezeit von den Sikhführern nie wieder verlassen wurde. Damit begannen schwere Kämpfe mit der mohammedanischen Herrschaftsmacht. Arjan würde zum Verschwörer gegen das mongolische, islamische Mogulregime Nordwestindiens und endete schließlich als Rebell. Ein ähnliches Schicksal erlitt auch mancher seiner Nachfolger. Die Konflikte mit den Mogulkaisern in Delhi wurden immer schärfer, es kam zu blutigen Verfolgungen der Sikh-Gläubigen, die sich kriegerisch zur Wehr setzten, zur höchsten Leidensch ift angestachelt durch die Verfolgungen unter dem unduldsamen Mogul Aurangsib.

In dieser Drangsal ging Govind Singh, der zehnte und letzte der „geistlichen Führer“ der Sikh (geb. 1666), nun daran, eine Art militärischer Theokratie zu schaffen. Er gründete die streitbare Gläubigengemeinde der Khalsa, der „Reinen“, die für die Sicherung und Verbreitung der Religion zu sorgen hatten. Die Aufnahme in diese „Armee“ erfolgte in einem besonderen Weiheritus: der Kandidat wurde mit Zuckerwasser, dem Amrit („Nektar“), das in einem Eisenbecken mit einem Dolch verrührt wurde, besprengt, erhielt davon zu trinken, gelobte die Regeln des Khalsa-bundes zu halten und empfing den kriegerischen Titel „Singh“ (Löwe), den das Sikhoberhaupt bis heute führt. Der Amrit-trank sollte Unverwundbarkeit im Kriege verleihen (eine unverkennbare Beziehung zu dem berühmten Unsterblichkeitstrank, dem Sorna, der alten Inder), der Dolch militärische Tüchtigkeit. Als für die Sikhs verpflichtende formale Gebote bestimmte Govind Sinrrh, das Haar nicht zu schneiden, keinen Tabak zu rauchen, kurze Kniehosen, Seil wert, Eisenarmring und Kamm zu tragen.

Die militärisch-religiöse Organisation der Sikhs erfuhr später verschiedene Umformungen, Daß es an zahlreichen Sektenbildungen auf dem Boden des Sikhglaubens nicht fehlte, ist für indische Verhältnisse ja nicht überraschend. Im Laufe der wechselvollen Kämpfe mit den Mohammedanern fiel der Erfolg schließlich den Sikhs zu, die dann unter dem autokratischen Mahandja Rangit Singh (geb. 1808) die Alleinherrschaft im Pandschab errangen. Der Islam wurde toleriert, der Sikhglaube zur Staatsreligion erhoben. Erst den Engländern gelang es (1849), dieses stolze, schwertgewaltige Kriegervolk zu unterwerfen.

Die Lehren und Glaubenssätze des Stifters Baba Nanak und verschiedener anderer Lehrer sind als Gesänge, Hymnen und Sprüche in dem berühmten heiligen Buch der Sikhs, dem „Granth“, niedergelegt. Es geht auf den fünften Guru, Arjan, zurück, der es um 1600 zusammenstellte, ist in verschiedenen Sprachen abgefaßt (Hindi, Pan-dschabi, Persisch), beinhaltet aber kein geschlossenes Lehrgebäude. Ähnlich wie bei den Hindus die Veden, so genießt auch der Granth große Verehrung, ja er gilt beim Volke sogar als ein persönliches Wesen und wird mit Sahib, „Herr“, angesprochen. In Amritsar, der heiligen Stadt der Sikh, hat dieses Buch seinen Tempel, einen einräumigen Bau mit vergoldetem Kupferdach und vier Eingängen, errichtet auf einer Insel in dem heiligen Teich. Jeden Morgen wird das Buch unter feierlichen Riten in den Tempel gebracht und priesterliche Tempelführer rezitieren aus ihm; es nimmt gleichsam wie ein Herrscher in Audienz die Besuche der Gläubigen entgegen.

Nanak wollte nicht die hinduistischen Götter abschaffen, ebenso dachte er auch nicht daran, das Kastenwesen aufzuheben. Er respektierte jede Religion in ihrer Wesenheit, behielt im allgemeinen auch die für die Hindus typische Verehrung der Kuh bei, er sah vielmehr seine Hauptaufgabe darin, den Glauben an den einen wahren Gott (Hari, Brahm, Paramesur), den Herrn von • unaussprechlicher Liebe, den „Unerreichbaren“, „Unfaßbaren“, zu pflegen, der flieht auf die Zugehörigkeit der Menschen zu Kasten, sondern auf ihre Taten, auf ihr Inneres sehe. Vor ihm seien alle Menschen gleich, ihm sind auch die Hindugottheiten untergeordnet. Streng untersagte Nanak die Bildverehrung, er verwarf auch die Zauberei und das Beobachten von Vorzeichen, die Pilgerfahrten zu den heiligen Stätten der Hindus und verbot den Kindesmord an Mädchen, der unter den Hinduisten erschreckende Formen angenommen hatte. Dem Gefühl seiner Sündhaftigkeit und Un-würdigkeit gibt er bildhaften Ausdruck: „So voll der Ozean mit Wasser ist, so zahlreich sind meine Vergehen.“ Die Folge der Sünde ist für Nanak nicht der ewige Kreislauf der Wiedergeburten, das Samsara, den der Hinduismus lehrt, sondern die Höllenstrafe. Gott ist jedoch der große Verzeiher, von dem es heißt: „Du bist mein Vater, du bist meine Mutter, du bist mein Neffe, du bist mein Bruder, du bist mein Beschützer an allen Orten, was sollte ich mich fürchten unl grämen, o Herr!“ oder: „Du bist ohne Eigenschaften und begabt mit allen Eigenschaften.“ Dieser Gott wohne wohl in jedem Körper, doch wird andererseits gesagt, daß er als Geber der Lebewesen immer von ihnen abgesondert sei. Jeder geistliche Lehrer oder Guru gilt als Wiedergeburt des Stifters Nanak, das eigentliche geistliche Oberhaupt ist hingegen Gott selbst. Mittlertum zwischen der Gottheit und den Menschen, die göttliche Inkarnation und der Gedanke an Gnade und Erlösung stehen damit in Verbindung.

Es ist nicht zu leugnen, daß manches im Glaubensgut der Sikhs an christliche Lehren anklingt, und es wäre nicht ausgeschlossen, daß Nanak auf seinen langen Reisen mit Vertretern des Christentums in Berührung kam. Auch an Verbindungen mit dem Buddhismus wäre zu denken, eindeutiger sind islamische Einflüsse festzustellen. Entscheidend für die richtige Beurteilung des Sikhismus ist jedoch ein religiöses Phänomen besonderer Art. Im Schöße des Hinduismus gab und gibt es Verehrer eines persönlichen Gottes, Gegner der offiziellen panthetstischen Alleinslehre der mächtigen Brahmanenkaste. Dieser Monotheismus, zu dem sich vor allem die „Bhagvata“-Sekte bekennt, reicht, wie neuerdings Wilhelm Koppers zeigen konnte, bis in die älteste Zeit des indischen Arier-tums, die Zeit der Veden zurück und erfreute sich in der indischen Religionsentwicklung viel größerer Bedeutung, als bisher angenommen wurde. Ganz wie Nanak und seine Nachfolger lehnen auch die Bhagvatas Idolatrie, Kastenwesen, die Pantheisicrung und Materialisierung des Gottesbegriffes ab, treten für die Unterdrückten und die Frauenrechte ein (was ja im arischen Indien viel bedeutet) und sprechen sich ebenso für die Notwendigkeit des Mittlers und der Erlösung durch Gottes Liebe aus. Das heilige Buch der Sikhs, der Granth, ist ja in der Tat von Gedanken der Anbeter der hingebenden Gottesliebe (bhakti) durchdrungen und offenbart hierin klar eine Hauptquelle des Sikhglaubens. Von diesem verhältnismäßig reinen Monotheismus der Bhagvatas also erhielt der Sikhismus ohne Zweifel starke Anregungen. Dazu kommt noch, daß die Handelskaste (Khatri), der der Religionsstifter angehörte, mit der berühmten alten Kriegerkaste der Ksatriya in Verbindung stand, und gerade diese ist es, die schon von jeher in religiöser Hinsicht sich gegen die Brahmanen wendete. Angehörige der Kriegerkaste bekämpften zuerst den über-schwenglidien Polytheismus der vedischen Zeit und nachher die pantheistische Allgott-lehre der Hinduisten.

Vielleicht wird der Volks- und Religionsgemeinschaft der Sikhs im gegenwärtigen Kräftespiel des konfliktreichen indischen Raumes noch eine bedeutsame Rolle zufallen.

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