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Die Sprachen im römischen Österreich

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Mit Immer größerer Klarheit ersteht durch die jüngsten Forschungen die Geschichte des römischen Österreichs (seit 15 v. Chr.) bi zum Ende des Altertums vor unseren Augen, dunkel und schwierig aber sind die Probleme über die Fortdauer der vorrömischen einheimischen Sprachen. Es handelt sich vor allem um das Festlandkeltische, das als Sprache Galliens auch früher kurz gallisch genannt wurde, und um die Fortdauer des Illyrischen, das in Tirol und Vorarlberg sich erhalten hatte, dem rätischen Gebiete. Die Räter selbst sind wohl als ein Mischvolk von Etruskern, Illyrern, Kelten mit alten vorindogermanischen Resten aufzufassen.

Gewiß gibt es zahlreiche mehr oder weniger korrekte lateinische Inschriften, freilich mehr aus dem keltischen Osten als dem illyrischen Westen, aber bisher wurde noch keine einzige Inschrift in keltischer oder illyrischer Sprache auf österreichischem Gebiete gefunden. Es wäre aber der Schluß falsch, daß diese Sprachen eben sehr bald verdrängt wurden und daß nur mehr lateinisch gesprochen wurde.

Die Ergebnisse einer umfangreichen Untersuchung seien im folgenden kurz zusammengefaßt. Ortsnamen und Personennamen sind nicht voll beweiskräftig. Vielmehr kann das Problem der Volkssprachen Österreichs im Altertum nur im Zusammenhang mit den anderen römischen Provinzen betrachtet werden. Wenn nun der Nachweis, daß auch dort in Provinzen von gleicher und ähnlicher volklicher und kultureller Beschaffenheit die alten Volkssprachen fortdauerten, ja vielfach das Römische Reich überlebten, so ist der Beweis auch für unsere Heimat mit ergänzenden Argumenten gesichert.

Die Amts-, Verkehrs- und Literatursprache im Imperium Romanum war im Westen das Lateinische, im Osten hatte das Griechische seine hervorragende Stellung zu erhalten gewußt, und Erlässe, Gesetze usw. wurden zweisprachig publiziert. Die unterworfenen Völker waren mif der Zeit romanisiert worden, römische Schulen wurden gegründet, aber die Sprachen waren nicht ausgestorben. Es gab auf der Pyrenäenhalbinsel Iberer und Kelten; iberisches Idiom setzt sich in dem nie erloschenen und heute noch rätselhaften Baskisch fort. Balkansprachen, wie das Thrakische und Illyrische, erhielten sich lange, ebenso in Kleinasien, Vorderasien und Ägypten Landessprachen mit alten Kulten; mit dem Beginn des Christentums entstanden Bibelübersetzungen und liturgische Gebete und Gesänge in syrischer und koptischer Sprache, ebenso ist (unter anderem durch Augustinus) die Fortdauer des Punischen und Libyschen für Afrika bezeugt. Die germanischen Sprachen blühen und entwickeln sich, wenn sich auch außer der Bibelübersetzung Ulfilas nur wenige Reste vom Fränkischen, Langobardischen, Burgundischen usw. erhalten haben. Alle diese Sprachen erweisen klar, daß die alten scheinbar verschwundenen Volkssprachen fortdauern, ja das Römische Reich vielfach überleben. Freilich ist die antike Kultur zunächst eine Großstadtkultur, und das Interesse für die Kultur und die Lebensweise, vor allem aber für die Sprache der als barbarisch angesehenen Völkerschaften ist sehr gering. Damit erklärt sich auch die äußerst geringe Zahl der direkten und indirekten Zeugnisse für diese Volkssprachen; kein lateinischer oder griechischer, Grammatiker studiert sie, da ihnen nur an der Reinhaltung der eigenen Sprache gelegen ist. Aber mit der Erhaltung der alten heidnischen Religion auf dem Lande, in abgelegenen Gegenden, geht die Erhaltung der alten Volkssprache Hand in Hand. Nach ausdrücklichen Zeugnissen können auch Privaturkunden in diesen Sprachen rechtsgültig abgefaßt werden.

Relativ am zahlreichsten sind nun die Zeugnisse für das Fortleben des Festlandkeltischen in Gallien. Weiter haben in den letzten Jahren schweizerische Forscher nachgewiesen (Wartburg, Hubschmied), daß in ihrem Gebiete sich das Keltische über die Ankunft der Alemannen erhalten hat, sicher bis in das achte Jahrhundert, vielleicht stellenweise noch länger; wieder ist in der Schweiz zwischen der inschrütenreicheren röma-nisierten Westschweiz und der inschriftenärmeren, sprachlich konservativeren

Ostschweiz zu unterscheiden. Hier ist auch das altertümliche Rätoromanisch als eigene romanische Sprache in den Nebentälern des Inn und Rhein erhalten, und trotz der geringen Zahl der Sprechenden wurde diese romanische Sprache durch Volksabstimmung 1938 zur vierten schweizerischen Staatssprache erklärt.

Wenn nun alle behandelten römischen Provinzialgebiete nachweisbar die alten Volkssprachen erhalten haben, wenn gerade für das keltische Gebiet diese Beweise sich häufen, dann wäre es sehr erstaunlich, wenn die Ostalpengebiettf nicht ebenfalls ihre nachgewiesene Kon-servativität in der Religion (wie neue Forschungen des Archäologischen Instituts noch für das vierte Jahrhundert beweisen) auch in der Erhaltung der Sprache, des Illyrischen (Tirol, Vorarlberg) und des Keltischen (übriges Österreich), aufweisen. Wichtig ist auch die Tatsache, daß beim Einbruch der Germanen nicht alle Romanen das Land räumten, sondern viele im Lande blieben, so daß in Tirol in Nebentälern des Inntals nachweisbar über 1000, in Vorarlberg am Bodensee bis 800 in germanischer Umgebung romanisch gesprochen wurde. So scheint diese konservative Haltung gerade bei der Bergbevölkerung der einzelnen abgeschlossenen und verkehrsarmen Täler auch schon früher, zur Zeit der römischen Okkupation (die übrigens im Noricum friedlich verlief), bestanden zu haben und erweist dann auch in sprachlicher Hinsicht eine zumindest weitgehende Beibehaltung der alten keltischen oder illyrischen Volkssprache. Es ist eine besondere Aufgabe der Erforschung der österreichischen Dialekte, sorgsam nachzuprüfen, ob nicht manches unerklärte Wort hier seine Deutung findet, wie die alemannische Wortforschung in der Schweiz es schon für manche Wörter, zum Beispiel Fachausdrücke der Milchwirtschaft, erwiesen hat.' Freilich ist jedes dilettantische Etymologisieren strenge zu vermeiden.

Mit diesem hier angedeuteten methodischen Vorgehen fällt aber auch neues Licht auf die Entstehung der romanischen Sprachen aus dem Latein und ihre Differenzierung (darüber jetzt in .Die Sprache“, II, 1). Auch weitere Probleme der Sprachforschung, wie die Fragen von Sprachwechsel, Lautwandel, Fortleben der verdrängten Sprache in der verdrängenden, werden durch Klärung des Verhältnisses der Sprachen im Imperium Romanum neu beleuchtet. Schließlich darf nicht übersehen werden, daß, im Laufe von Jahrhunderten, Millionen römischer Provinzbewohner verschiedener Volkszugehörigkeit und Sprache in Betracht kommen, daß auch ihr geistiger und kultureller Habitus aus vielen Quellen zu erschließen und zu berücksichtigen ist. Es bedarf weiterer Forschungen, um diese neuen Erkenntnisse — neben den klassischen Sprachen erhielten sich noch lange die alten Landessprachen in allen römischen Gebieten, also auch in den österreichischen Gegenden — den verschiedenen Geisteswissenschaften, wie Geschichte, Religionsgeschichte, Volkskunde, nutzbar zu machen und durch neue Synthesen tiefere Einblicke in die. Geschichte der antiken und frühmittelalterlichen Menschen zu gewinnen und in dert Geist dieser oft nicht genug verstandenen und gewürdigten Epochen. Der Österreicher, aber wird so das Bild seiner Heimat im Altertum auch in sprachlicher Hinsicht richtiger würdigen und erkennen, als es bisher geschehen ist. (Die genaue umfangreiche Untersuchung mit dem umfangreichen Beweismaterial über die Volkssprachen im Römischen Reich konnte bisher infolge der bekannten Schwierigkeiten noch keinen Verleger finden.)

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