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Die Spuren eines großen Reiches

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Dem späteren Kaiser Tiberius blieb es Vorbehalten, als Prinz und Feldherr seines Stiefvaters Cäsar Oktavianus Augustus das Land zwischen dein Alpen, der Donau und dem Rhein dem römischen Imperium zu gewinnen. Keinen Widerstand leisteten die seit mehr als einem Jahrhundert mit Rom durch Freundschaftsverträge gebundenen keltischen Noriker. Um so erbitterter aber kämpften die illyrischen Panno- nier im heutigen westlichen Ungarn, die germanischen Stämme der Cherusker im Land rechts des Rheins und die Langobarden an der Elbe. Und auch Marbod, der König der Markomannen im heutigen Böhmen, widersetzte sich Roms Vormachtsanspruch im Herzen Europas.

So wurde und blieb der Lauf des mächtigsten Stromes des Abendlandes, seit den Tagen unserer illyrischen Vorfahren in seinem oberen und mittleren Teil Danubius genannt, zur befestigten und mehr als 500 Jahre erfolgreich verteidigten Nordgrenze des römischen Imperiums. Legionslager und Kastelle, Wachttürme und diese untereinander verbindende Schnellstraßen wurden an den von der Natur vorbestimmten Verkehrsknotenpunkten und Flußübergängen erbaut. Ein bis ins späte 5. Jahrhundert funktionierendes System des Grenzschutzes, Fußtruppen, Reiterei, aber auch die mit Libumariem bemannten Donauflottillen, bewachte und bewahrte die römischen Provinzen Rätien, Vindelicien, Noricum und Pannonien vor den stets drohenden Einbrüchen der unbändigen Nachbarn im Norden des Stromes.

Markomannen und Quaden spielten seit den Tagen des Augustus abwechselnd die Rolle von Feinden und Freunden des Imperiums; so nahm Rom den besiegten Marbod auf und bot ihm zu Ravenna ein ehrenvolles Exil. Vatinius wiederum, der König der Quaden, regierte viele Jahre friedlich sein unter dem Schutz Roms stehendes Land in der heutigen Slowakei.

Ein zunächst 15, dann nur noch sieben Kilometer breiter Streifen Niemandsland am nördlichen Donauufer sollte die norischen Provinzen vor plötzlichen Überfällen schützen.

Darüber hinaus zwangen Wachttürme oder kleinere Kastelle im Feindesland, Frieden zu halten. So wurden am Leiserberg und in Stillfried an der March römische Kastelle festgestellt und Spuren römischer Wachttürme im Waldviertel entdeckt. Römische Ziegel von militärischen Bauten finden sich neben anderen römischen Gebrauchsgütem (wie Keramik, Glas, Schmuck), und nicht zuletzt gibt es römische Münzenfunde an vielen Orten Böhmens, Mährens und der Slowakei.

Nichts hinderte also Markomannen und Quaden, mit den Norikern, Pan- nonikem und Römern in friedlichen Zeiten Handel zu treiben, gemeinsame Markttage abzuhalten und römische Industriegüter in den böhmisch-mährischen Raum zu exportieren. Carnuntum, Vindobona, Lau- reacum und Batavia waren zugleich militärische, aber auch wirtschaftliche und kulturelle Zentren und die gegebenen Treffpunkte der Gegner.

Von diesen römischen Zentren aus fand aber auch der neue Glaube, das Christentum, Eingang in diese noch heidnische Welt. Längst schon gab es Christen in Noricum und Pannonien unter den Militärs, aber auch der Zivilbevölkerung. Bereits im 4. Jahrhundert standen Kirchenbauten im südlichen Noricum-Agunt, Lavant, Teumia, Virunum, Meclaria (Magiern), Juenna (Globasnitz im Jaun- tal), an der Donau in Laureacum. Wohlorganisierte Bischofssitze unterstanden den kirchlichen Metropolen Aquileia und Sirmium, das heutige Mitrovitza. Die Markoman- nenkönlgin Fritieil. vom Wirken und Künden des heiligen Ambrosius tief beeindruckt und zum christlichen Glauben bekehrt, pilgerte auf den römischen Straßen vom Böhmerland über Noricum und Pannonien nach Mailand.

Germanische Rügen setzten sich im 5. Jahrhundert am nördlichen Ufer der norischen Donau fest. An ihnen ging das Wirken des heiligen Severin spurlos vorüber, und wegen ihrer Frevel rüstete Odoaker zum Vergeltungszug. In der Folgezeit durchzogen germanische und awari- sche Völkerscharen die Donauländer und suchten sie schwer heim. Und doch konsolidierten sich die Verhältnisse unter der 200 Jahre dauernden Herrschaft der Awaren in Zentral- europa. Mit den Awaren aber kamen auch slawische Stämme, die sich in verlassenen Landstrichen friedlich ansiedelten.

Verwehte Spuren Großmährens

Nur grobe, schlecht gebrannte und noch handgeformte Keramik, manchmal schon mit Wellenband- und Kammstrichomamenten verziert, wie sie auch in Österreich anzutreffen sind, aus bescheidenen Brandgräbem geborgen, geben die erste Kunde von diesen bäuerlichen Siedlern (Keramik vom Prager Typus und schönere aus Dolni Vestovice, Pohansko und Mikulcice, 5. bis 7. Jahrhundert). Feuerstellen und Pfostenlöcher, als Spuren von Holzhütten und Palisadenzäunen, im weichen Boden der Thaya- und Marchauen von Pohansko und Mikulcice zeugen von dem kärglichen Dasein der ersten Slawen.

Und doch berichtet die Chronik des Fredegar von Samo, dem ersten großen Führer und Einiger der Donauslawen im Kampf gegen fränkische Eroberer (Schlacht bei Vogastisburg im 7. Jahrhundert), hielten Chronisten das Zusammentreffen der mährischen Fürsten Rostislav, Sva- topluk und Moimir in Mähren, Ludwig des Deutschön und Arnulfs im Ostfränkischen Reich, örtlicher Fürsten in Pannonien und der Kaiser von Konstantinopel sowie der römischen Päpste fest, wo über die Zukunft der Großmährer entschieden werden sollte. Von da reißen die historischen Belege über die mit den Deutschen zusammen in die Geschichte eintretenden Slawen in Mitteleuropa nicht mehr ab.

Beide waren Völker, welche die Hälfte des ersten Jahrtausends nach Christus außerhalb der romanisierten und zivilisierten Länder Europas lebten. Mit Feuer und Schwert mußten die Sachsen, Friesen und Westfalen zum christlichen Glauben bekehrt werden, und mit Feuer und Schwert drangen die nur 100 Jahre früher endgültig christianisierten Bayern zu Beginn des 9. Jahrhunderts in den böhmisch-mährischen Raum vor. Es ging um die Beherrschung der slawischen Fürsten und ihrer Untertanen durch fränkische Kaiser und die Kirchenfürsten von Passau und Regensburg.

Die wie die Deutschen in Stammesorganisationen lebenden Slawen nördlich der Donau — von einem bayrischen Geographen um 900 aufgezeichnet — bildeten einen Machtfaktor, mit dem sowohl die fränkischen Kaiser des Westens als auch die seit 800 herrschende makedonische Dynastie von Byzanz und das römische Papsttum auf der weltpolitischen Bühne rechnen mußten. Von der Ausdehnung des Großmährischen Reiches, im 9. Jahrhundert aus dem Zusammenschluß von elf slawischen Stämmen von der Elbe bis zur unteren Donau und Save, geben uns die Schriften des byzantinischen Kaisers Constantin Porphyrogengtos (912 bis 959) ein anschauliches Bild.

Roms Tradition lebte weiter

Die Einbeziehung ehemals römischer und byzantinischer Provinzen dürfte die Donauslawen mit der noch immer vorhandenen Kulturtradition vertraut gemacht haben. Nicht umsonst überliefert ims die gleiche Quelle — Constantin Porphyrogene- tos —, daß kroatische Slawen von der in den einst byzantinischen und römischen Städten wohnenden Bevölkerung jährliche Tribute verlangten; so zahlte Aspaloto zum Beispiel jährlich 200 Nomismata. Nicht von ungefähr sind es die römischen Städtegründungen an der österreichischen Donau, wie Passau, Lorch an der Enns, Mautern, Traismauer, Tulln, Klosterneuburg und Wien, die ebenfalls dm 9. und 10. Jahrhundert wieder zu Zentren des politischen und wirtschaftlichen Lebens werden.

Alle großmährisohen Kirchenbauten widerspiegeln provinzialrömische Baukunst und Architektur. In solidem Bruchsteinmauerwerk errichtet, mit Mörtelstrich- oder Steinplattenböden, mit farbigen Fresken ausgeschmückt, von Friedhöfen für Gefolgsleute umgeben, mit den Steingrüften der Stifter und Eigentümer, präsentieren sich diese kulturellen Hinterlassenschaften.

An byzantinisches Kunstgewerbe erinnern die prächtigen goldenen und silbernen Ohrgehänge und die Schmuckknöpfe, die in erstaunlichen Mengen aus den christlichen Bestattungsgräbern in und um großmährische Kirchen geborgen werden konnten. Noch im 9. Jahrhundert wirkte das handwerkliche Können des provinzialrömischen Töpfergewerbes in den Formen einer kleinen Amphora aus Stare Mesto nach. Nur die bisher als awarisch bezeichnten Gürtelschnallen und Riemenzungen und maskenverzierten Sporen dürfen in Form und Bearbeitung als slawische Schöpfungen angesprochen werden. Klassisch-antike Ornamente auf einer Silberschale aus Zemiansky Vrbovok weisen diese als byzantinisches Erzeugnis aus. Die Ornamente gleichen jenen einer Silberschale des Bischofs Patemus in der Leningrader Eremitage, die in den südrussischen Gebieten der Varäger gefunden wurde. Alljährlich zu Neujahr pflegte der byzantinische Kaiser derartiges kostbares Tafelgerät befreundeten ausländischen Fürstenhöfen überbringen zu lassen.

Aufgedeckte Kirchenbauten

Die bisher aufgedeckten Kirchenbauten in Mödra, Stare Mesto, Pohansko, Mikulcice, Sady bei Uherske Hradiste und Vysoka Zah- rada bei Dolni Vestoniice lassen sich in kein einheitliches Schema einreihen. Ihre vielfältigen Formen, von der einfachen Saalkirche mit viereckigem Presbyterium, mit oder ohne Narthex (Vorraum für Unge- taufte), halbkreisförmigen Apsiden, Rundkirchen mit segmentartigen Vorbauten, Rotunden mit kreuzförmig eingebetteten Nischen, können mit vielen Beispielen in der römischen (Aquileia, Grado, Ravenna, Pola usw.) und auch in der byzantinischen (Sofia, Chersonnes) Reichshälfte belegt werden.

Interessant ist die Entdeckung einer kleinen Kirche in Mikulcice — Kirche VIII — und Modra, deren schematische Grundrisse jenem der vorromandschen Kirche von Sankt Jakob in Wien-Heiligenstadt gleieben. Die Ausmaße der vorromami- schen St.-Jakobs-Kirche waren zirka 12,75 Meter für das Langschiff und 6,25 X 5.70 Meter für das viereckige Presbyterium. Dieser wohl um die Wende vom 8. zum 9. Jahrhundert entstandene Kirchenbau von Sankt Jakob wurde über dem frühchristlichen Grab und der Taufstelle errichtet. Auch bei der Kirche IX in Mikulcice, einer Rotunde mit eingebauten Nischen, war ein aus Steinen geschichtetes großes Taufbecken ohne Boden vorhanden. Es scheint, daß noch andere österreichische Kirchen, wie die von St. Peter in Kam- burg, Kärnten, oder jene von Unter- laa und Aspang, mit den großmährischen Grundriß und wohl auch Entstehungszeit gemein haben.

Eine slawische Großmacht

Die Ergebnisse der Ausgrabungen großmährischer Siedlungszentren in der südlichen Tschechoslowakei zeugen durch archäologisch einmalige Funde von der Bedeutung des ersten Slawenreiches in Mitteleuropa. Seine kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Beziehungen zu Rom und Byzanz waren denen der fränkisch- ottonischen Herrscher ebenbürtig. Und nur so erklärt sich die Entsendung der Slawenapostel Cyrill und Methodius durch Kaiser Michael III. im Jahre 863, wodurch Fürst Rostislav die Pläne zur Errichtung einer deutschen kirchlichen und weltlichen Hegemonie im böhmisch-mährischen Raum zu durchkreuzen suchte. Mit der Ernennung Methods zum ersten mährisch-pannonischen Bischof von Nitra und der Genehmigung der slawischen Liturgie durch Rom war der erste Schritt zu einer definitiven Regelung der Verhältnisse getan.

Madjarische Einfälle aber vernichteten bereits zu Beginn des 10. Jahrhunderts die blühenden Gemeinwesen der großmährischen Fürsten und ihrer Untertanen; sie zerstörten die Kirchen und Wohnhäuser und beraubten die Gräber. Nichts blieb mehr von den einstigen Zentren Großmährens als geheimnisvolle Flurnamen, die ein Jahrtausend später zu ihrer Wiederentdeckung führten.

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