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Die Tschechen und Österreich

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Kaum je ist ein edler Entschluß eines Herrschers weniger verstanden und ärger mißdeutet worden als die Amnestie, die Kaiser Karl am 2. Juli 1917 den Personen zuteil werden ließ, die im sogenannten Hochverratsprozeß Kramaf, Klofac und Seiner verurteilt worden waren. Eine kaiserliche Entschließung, die aus dem Bestreben des jungen Monarchen, den Frieden in und um seinen Staaten wieder herzustellen und einen Krieg zu beenden, den er bei seiner Thronbesteigung in vollem Gang fand, und ap dessen Ausbruch sicherlich er nicht die geringste Schuld trug, stammte, sollte nach dem Willen seines Urhebers die Grundlage für eine dauernde Verständigung eines großen Volksstarrrmes der Monarchie mit dem Staat, der Krone und der Dynastie abgeben. Durch Jahrzehnte ist selten eine andere Deutung des Geschichtsablaufes gehört oder gelesen worden als eine solche, die diesen Schritt des Kaisers nicht als einen schweren Fehler und, wie es die gesamte alldeutsche Presse und Literatur tat, als einen „Verrat am Deutschtum“ hingestellt hatte. Wenn sich der Hallenser Professor Richard Fester noch 1925, also in einem Zeitpunkt, in dem schon reichlich Muße war, den Sachverhalt genauer zu überprüfen, noch äußert: „Nur ein Herrscher, der das Steuer verloren hatte, konnte Straferlaß für Hochverrat und Aufruhr verfügen“, so war dies nur das unmaßgebliche Urteil eines durch Wissen um österreichische Verhältnisse nicht beschwerten Mannes. Aber auch in Österreich blieb die Behandlung des kaiserlichen Gnadenaktes zumeist an der Oberfläche. Keiner der namhaften Historiker dieser Zeit fand ein Wort der Anerkennung oder gab nur ein Zeichen des Verständnisses. Nur der- Altmeister katholischer, österreichischer Geschichtsdeutung, Richard von Kralik, hatte den Mut, das kaiserliche Manifest zu zitieren und es als „hochherzigen Akt, der ohnegleichen in der Geschichte dasteht“, zu feiern. Viktor Bibl spricht von „Dekadenz“ und schwärzestem „Pessimismus“, den der Kaiser von seinen engeren Beratern, den Polzers und Lammasch bezogen habe. Glaise-Horstenau knüpfte an die im Manifest enthaltene Anspielung des Kaisers auf „die Hand eines Kindes“, nämlich des Kronprinzen Otto, an dessen Namenstag die Amnestie beschlossen wurde, die Worte: „Es war das Mildeste an Spott, wenn man unter den Deutschen - das Wort von der Hand de' Kindes auf den jugendlichen Herrscher selbst bezog.“

Vergleicht man diese Stimmen mit dem Ernst der Begründung des Gnadenerlasses und der damaligen Haltung weiter Kreise der tschechischen Führerschaft im Inland, so bietet sich ein anderes Bild:

„Die Politik des Hasses und der Vergeltung, die, durch unklare Verhältnisse genährt, den Weltkrieg auslöste — sagte das Mani-, fest —, wird nach dessen Beendigung unter allen Umständen und überall ersetzt werden müssen durch eine Politik der Versöhnlichkeit. Dieser Geist muß auch im Innern des Staates vorwalten. Es gilt mit Mut und Einsicht und in wechselseitigem Entgegenkommen Völkerwünsche zu befriedigen. In diesem Zeichen der Versöhnlichkeit will ich mit Gottes mächtigem Beistand meine Regentenpflichten üben und will, a 1 s Ersterden Weg milder Nachsicht betretend, über alle jene bedauernswerten politischen Verirrungen, die sich vor und während des Krieget ereigneten und die zu strafrechtlichen Verfolgungen führten, den Schleier des Vergessens breiten.“

Wäre Österreich jener „Völkerkäfig“, jener Zwangsstaat gewesen, als den ihn di im Verlag Librairie Delagrave in Paris erschiene Schrift „Detruisez l'Autriche-Hongrie, Le Martyre des Tscheco-Slovaques a travers l'histoire“ hinstellt, hätte der gewaltige Anprall der russischen Militärmacht ihn schon 1914 erschüttern müssen. Aber es verwirklichte sich vielmehr die Voraussage Otto von Bismarcks: „Wenn Kaiser Franz Josef aufs Pferd steigt, dann reiten alle seine Völker mit.“ Und tatsächlich fanden sich stets bedeutende und besonnene tschechische Politiker, di den Willen bekundeten, mit Staat und Dynastie in ein Verhältnis der Ruhe, der Zusammenarbeit und des Vertrauens zu kommen.

Moritz von Auffenberg-Komarow, der Kriegsminister des Kriegsjahres 1914, schreibt über das Verhältnis d^r Tschechen zum österreichischen Gesamtstaat damals, er habe über den Rahmen seines Ressorts hinaus mit den Politikern der verschiedensten Nationen konferiert:

„Und es kamen auch die Tschechen, vertreten durch den Bürgermeister von Prag Dr. G r o ? und durch die Parteiführer U d r ia 1 und K r i m i 1. Nationale Anliegen, als Endgedanke ein deutsch-tschechischer Ausgleich, dem österreichisch-magyarischen Ausgleich von 1867 ähnelnd. Demnach: Fundamentalartikel, Krönung, böhmisch Staatsrecht. In dieser Form wohl nicht vorgebracht, doch so empfunden. ,Es trennt uns nur eine papierdünne Wand, und wenn einmal alles geregelt ist, wird man staunen, welcher Lapalien wegen wir jahrzehntelang miteinander gestritten haben!' Dies, waren fast wortwörtlich die Äußerungen eines beredten großen Parteiführers. Damals war es ihm wohl weder um die Angliederung der Länder der Wenzelskrone an Rußland noch um eine vollständige staatliche Selbständigkeit dieser Länder zu tu.“

Wir gehen nicht fehl, wenn wir darunter Karel Kramar selbst erkeainen. — Wie durchaus auf Seite der Krone die Verwirk-lichbarkeit dieser Wünsche im Bereiche realpolitischer Erwägung standen, bezeugt uns abermals Richard Kralik, der in Erinnerung seiner Aufsätze in der „Reichspost“, in denen er eine „österreichische Kaiserkrönung“ als Parallele zu der ungarischen Königskrönung anriet, mitteilt, daß er dem Innenminister Freiherrn von Handel nach einer Rücksprache mit Kaiserin Zita eröffnete, das Kaiserpaar sei auch bereit zu einer Prager Krönung. „Als ich das aber dem Minister andeutete, war er ganz dagegen.“ Die deutschnationale Nervosität zitterte im Innenministerium voraus. Bald sollt ihre krampfhafte Verkennung der Staats- und Nationalinteressen deutlicher zum .Ausdruck kommen. Der Deutsche Volksrat in Böhmen gab „seiner Entrüstung Ausdruck“ über die Amnestie, weil „Macht und Kraft der Staatsgewalt durch die Regierung preisgegeben werden. Sie hat ihre Zustimmung gegeben, daß die schwersten Verbrechen am Staate der gerechten Sühne entzogen werden“ usw,

Hans Krebs, sicherlich ein unverfänglicher Zeuge in dieser Hinsicht, schreibt in seinem „Kampf in Böhmen“ über die Haltung der Tschechen in den Jahren 19H bis 1917. „Anläßlich des Sieges von Gorlice beglückwünschten die Bürgermeister aller tschechischen Städte den alten Kaiser in 'Wien; an ihrer Spitze der tschechisch Bürgermeister in Prag. Das Eintreffen der Kriegserklärung Italiens löste auch in tschechischen Kreisen Entrüstung aus, und der tschechische Abgeordnete Dr. ^H r u b a n beeilte sich, in einem Schreiben dem Ministerpräsidenten Grafen Stürkh im Namen Mährens ..die unerschütterliche Treue zu Kaiser und Reich“ zu versichern. Ja, als am 2. Dezember 1915 sich zum siebenundsechzigsten Male der Tag der Thronbesteigung durch den greisen Monarchen jährte, versammelten sich auch die autonomen tschechischen Körperschaften zu einer Huldigungskundgebung' in Prag, und der tschechische sozialdemokratische Abgeordnete und spätere Führer der tschechischen Kommunisten, Dr. S m e r a 1, konnte „namens der tschechischen Arbeiterschaft“ eine spontane .und im In- und Auslande viel Aufsehen erregende Huldigung für den Kaiser ausbringen. Sie klang in ein starkes Bekenntnis zum österreichisch-ungarischen Staitsgedanken aus. ... noch bis in das Jahr 1917 hinein gaben die Tschechen weiter Loyalitätserklärungen ab und versicherten Reich und Herrscherhaus ihrer „unwandelbaren Treue“.

Man wird an der inneren Ehrlichkeit nicht pauschalier zweifeln dürfen. Das eigentliche innere Kriegsziel blieb für die verantwortlichen Kreise der tschechischen Politik noch immer die Sonderstellung der „historischen Länder“ — das „böhmische Staatsrecht“. Die meisten tschechischen Politiker dachten damals noch nicht daran, die Integrität des Gesamtstaates anzutasten.

Wir rufen die Erinnerung an diese Dinge nicht wach, um anzuklagen oder zu verteidigen, nicht ^.um fremde Irrungen zu brandmarken noch eigene Fehler zu beschönigen. Aber eine Frage drängt sich uns auf: Mitteleuropa wird wieder von verschiedenen gegensätzlichen Strömungen, Ideologien und Doktrinen durchzogen, die geeignet sind, die Völkerschaften, die rechts und links der Donau wohnen und in ihrem Bereich ihr Leben fristen und ihre Zukunft gestalten müssen, auseinander und gegeneinander zu bringen. Welcher Aufrichtige und Klarsehende möchte heute nicht zugeben, daß die nationalen Nachbarn im Staate vor 1918 „papierdünn Wände“ trennten? Diese Gemeinschaft war nicht durch die politische Führung dazu gemacht worden, sondern ein Ausdruck der landschaftlichen Gestaltung, die neu als solche nur wieder er- und anerkannt werden muß. Sie trägt wohl auch heute noch ihre politischen Gesetze in sich selbst.

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