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Die vergessene Unterkirdie am Stephansplatz

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Schon der bekannte Altertumsforscher Dr. Karl Lind hat bedauert, daß der mittelalterlichen Kirchenarchäologie zu wenig Beachtung gewidmet werde. Während man den für die Geschichte der Heimat gewiß äußerst wichtigen römischen Grabungen und Funden das größte Interesse entgegenbringt, läßt man mittelalterliche Forschungsergebnisse oft unbeachtet, so daß sie nicht selten der Vergessenheit anheimfallen. Im Jahre 1939 wurde am Stephansplatz durch einen Zufall die noch gut erhaltene Krypta der lokalhistorisch beachtenswerten Magda- lenenkirche zum zweiten-, wenn nicht zum drittenmal wiederentdeckt. Maßgebende Kreise haben sich damals vergebens bemüht, diese noch wohl erhaltenen Baureste zu retten; man fand es aber nicht der Mühe wert, die Krypta nach dem Muster der römischen Katakomben zugänglich zu machen, das Bauwerk wurde vielmehr einfach mit Schutt ausgefüllt und wieder verdeckt.

Diese archäologische Entdeckung hat ihre eigentümliche Vorgeschichte. Als im Jahre 1884 die Gasröhren auf dem südlichen Teil des Stephansplatzes gelegt wurden, kamen zur allgemeinen Überraschung die Mauerzüge der 1781 durch eine Feuersbrunst zerstörten Magdalenenkirche zum Vorschein. Leider unterzog man diese Reste keiner archäologischen Untersuchung. Es waren eben keine Römerfunde! Im Jahre 1939 erforderte der Wasserrohrbruch eines Hydranten eine tiefere Bodenausgrabung, wobei sich an einer Stelle eine Senkung ergab. Der Boden stürzte ein und man entdeckte überraschenweise ein etwa vier Meter tiefes Rippengewölbe, das zum großen Teil noch gut erhaltene Fresken aufwies. An der Hinterwand des unterirdischen Gewölbes fiel unter anderem in einem Zackenkreis ein größeres gleichschenkeliges Kreuz im üblichen Katakombenstil auf und an den Rippen fand man Ornamentalfresken. Man nahm an, es handle sich um Reste noch unbekannter Katakombenpartien, was schon deswegen ein Irrtum war, weil an der Südseite des Domes niemals Katakomben angelegt wurden; dort befand sich lediglich ein Teil des Freydhofes. Aus der Lage des Gewölbes geht vielmehr einwandfrei hervor, daß mit dem Fund von 1939 die Krypta der Magdalenenkirche wiederentdeckt worden war. Es wär daher übereilt, diesen noch gut erhaltenen Raum sofort zu verschütten, zumal die Gründung dieser Kirche noch nicht recht erforscht werden konnte.

Um die Geschichte dieser kleinen Kirche haben sich schon P. Fischer, Ogesser, Albert v. Camesina und schließlich Prof. W. A. Neumann im Wiener Dombauvereinsblatt bemüht. Nach Hirschvogls Plan (1547) lag das Kirchlein in derselben Baulinie wie die damaligen Häuser am Anfang der Kärntner Straße. Zwischen der Kirche, dem Kärntnef-Straße-Eckhaus und dem Churhaus war ein kleiner Sackraum, nordwärts war ein Teil der Freydhofsmauer angebaut, in deren Mitte ungefähr sich der interessante Heil- thumsstuhl, eine einstöckige Galerie für die Reliquienschau, erhob. Diese Lage der Kirche stimmt mit dem Kryptafund vollkommen überein. Die Oberkirche dürfte bei 12 Meter lang und im Querschiff etwa 10 Meter breit gewesen sein. Nach der einzigen Abbildung der in ihren Grundformen gotischen Kirche, von Baumeister Continelli (um 1550), befand sich an der Nordseite unter einem zierlichen viereckigen Turm eine wohl später angebrachte Pfortenhalle. Diese Anlage dürfte in der Folge wiederholt umgebaut worden sein. Unter Baldachinen, selbst am Turm, befanden eich Steinbilder, später kamen barocke Zutaten hinzu. Aus den Urkunden erfährt man, daß die Krypta drei Altäre hatte und daß der Bau gewöhnlich der Karner genannt wurde. Dem Oberbau wurde um 1473 ein westlicher Vorbau angefügt, an welchem sich wahrscheinlich die Vorkirche, der Chor, befand, der auch als Altarraum benützt wurde. Diese Choranlage diente oft als Betraum der Frauen. An der Außenmauer der Kirche befanden sich zahlreiche Grabsteine mit Inschriften, die zum großen Teil in Chroniken gerettet wurden. Über der Pforte war ein Erasmus- Relief angebracht, das an die gleichnamige Kapelle erinnert. Im Jahre 1509 wurde eine St.-Magdalenen-Pforte errichtet. Die daneben 1732 aufgestellte Nepomuk-Statue spielte liturgisch im alten Wien ‘eine besondere Rolle.

Bei der im März 1939 aufgedeckten Krypta handelte es sich ohne Zweifel um die erste Anlage der Kirche, die man nach den kräftig ausgebildeten Rippen und dem gedrückten Nischenspitzbogen um die Mitte des 13. Jahrhunderts ansetzen kann. Das Katakombenkreuz hat sich im Mittelalter traditionell lange erhalten; ein ähnliches Kreuz fand sich bei der auf Veranlassung des Kirchendirektors Prälat Jakob Fried vorgenommenen Restaurierung der Ruprechts-Kirche über dem ersten nördlichen Schiffenster, das leider übertüncht wurde. Nach einer dunklen Überlieferung, die Testarello della Massa in seiner St.-Stephans- Chronik andeutet, soll die Unterkirche von der Salzburger Pfarre noch vor dem großen Dom erbaut worden sein. Die Richtigkeit dieser Angabe läßt sich freilich bezweifeln. Dieser Anlage wurde eine Oberkirche übergebaut. Historisch wird der Bau erst 1304 anläßlich einer Messestiftung der Schreiber (Notare) erwähnt; drei Jahre darauf wird er in einem Ablaß Virgilius-Kapelle genannt und 1320 heißt er der „neue Chamer”. Wahrscheinlich stand er seitdem als Beinhaus in Verwendung. Erst 1331 wird hier ein Kaplan genannt. Um 1338 wird die noch erhaltene Krypta „unter dem neuen Karner”, später, um 1372, St. Vingilius sub Camario bezeichnet. Nach ihren Altären hatte diese Unterkirche noch folgende Namen: „in der Gruft dasz fand Erasme” (1347) und „St. Elena in Carnario S. Erasmi” (1376).

Auf Kosten der Schreiberbruderschaft wurde im 14. Jahrhundert über die Krypta eine weit größere neue gotische Kirche er- • baut, die seit 1398 Maria-Magdalena-Kapelle heißt. Della Massa erwähnt in seiner Chronik den uralten Brauch der Johannisfeier. Alljährlich fand nämlich von dieser Kapelle aus eine Prozession zur Maltheserkapelle in der Kärntnerstraße statt. Nach der Rückkehr wurde den Teilnehmern süßer ausländischer Wein und Konfekt dargereicht. Zu erwähnen wäre auch die Bruderschaft der 72 Jünger Christi, die hier ihren Gottesdienst abhielten. Eine am 12. September 1781 am Hochaltar entstandene Feuersbrunst zerstörte diesen lokalhistorisch äußerst interessanten Bau, nach der man die erhaltengebliebene Krypta einfach überdeckte und in Vergessenheit geraten ließ.

Nach der Restaurierung des Doms bestünde die Möglichkeit, die Magdalenen- Krypta wieder zugänglich zu machen. Man könnte entweder einen unterirdischen Gang vom Churhaus aus anlegen oder über der Krypta, nach dem Vorbilde der römischen Katakomben, einen kleinen stilgerechten Abstiegbau errichten, der wohl kaum auf dem Stephansplatz ein Verkehrshindernis bilden würde. Damit wäre der Dom, der ohnehin durch den Krieg eine Reihe bedeutender Kunstwerke eingebüßt hat, um eine lokalhistorische Sehenswürdigkeit reicher. Dię Restaurierung böte keine Schwierigkeiten, da das solide Gewölbe noch gut erhalten ist und auch die Fresken leicht auszubessern sind.

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