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Dom Sunol O. S. B,

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Aus Rom kommt eine Trauerbotschaft: Dom Sunol, der Präsident des Pontificio Istituto di Musica Sacra, der päpstlichen Hochschule für Kirchenmusik, ist verschieden. Mit ihm ist nicht nur ein hervorragender Vertreter der Musikerziehung dahingegangen, der immerhin die erste Stelle innehatte, die die Kirche auf einem gewiß wichtigen Gebiet zu vergaben hat, und der zugleich als einer der maßgebendsten Berater der Ritenkongregation in allen die Kirchenmusik betreffenden Fragen galt. Sunol hat vor allem als Organisator und Wissenschaftler des gregorianischen und ambrosianisdien Chorals seinem Namen derart internationale Geltung zu verschaffen gewußt, daß sein Andenken weit über den Kreis seiner näheren Berufskollegen hinaus in Ehren gehalten zu werden verdient. Dieser Absicht wollen auch die folgenden Zeilen entsprechen Sie wenden sich im besonderen an die große Gemeinde der Freunde des liturgischen Gesanges.

Gregorio Maria Sunol y Baulenas, 1879 zu Barcelona geboren, stammte aus einem edlen katalanischen Geschlecht. Sdion früh trat er in die Benedikrinerabtei am nahen Montserrat ein. Es ist dies jenes kühn in die Felsen des zerklüfteten, „zersägten“ Berges (mons serratus) hinaufgebaute Kloster, in dem man vielfach die Gralsburg des Mittelalters lokalisiert (Montsalvat) und in dem einst ein Ignatius von Loyola vor dem berühmten Heiligtum der Gottesmutter sein Schwert aufhing, ehe er sich in die Höhle von Manresa zurückzog, um der Welt für immer zu entsagen. Die Abtei am Montserrat ist auch hejte noch eine der bedeutendsten Stätten spanischkatalanischer Geistigkeit. Sie hat die Wirren des letzten Bürgerkrieges verhältnismäßig gut überstanden. Auf kirchenmusikalischem Gebiete besitzt das Kloster eine nach Jahrhunderten zählende Tradition, die auch tonschöpferisch von großer Bedeutung ist, wie die bisher erschienenen Denkmälerbände beweisen. Ein eigenes Sängerknabcnkonvikt, die Escolania, dient ausschließlich Kultzwecken und ermöglicht mehrstimmigen gemischten Chor, der mit und ohne Orgelbegleitung auftritt, neben einer bedeutend gesteigerten Pflege des gregorianischen Chorals. Den neueren Ordensbestimmungen^entsprechend, wurde erst vor wenigen Jahrzehnten die instrumentale Kirchenmusik ausgeschaltet. Diese Entwicklung fällt in die Zeit der Jugend Sunols und wurde von dem jungen Mönch, der es bald bis zum Prior brachte, bewußt gefördert. Durchaus nicht im Sinne einer kunstfeindlichen Einseitigkeit, was allein schon aus seiner ständigen Freundschaft mit Pablo Casals, dem berühmten katalanischen Instrumentalisten, hervorgeht, sondern allein aus den Bedürfnissen der inneren Entwicklung des Benediktinerordens. Es ist ja jener Orden, der seit Dom Prosper Gu^ranger, dem Gründer (1837) und ersten Abt von Solesmes in Frankreich, die Führung auf dem Gebiete der Liturgie und des liturgischen Gesanges für die Gesamtkirche erlangt hat Sunol hat nicht wenig dazu beigetragen, daß der Benediktinerorden diese Führung auch heute noch — 70 Jahre nach Guerangers Tod — unbestritten besitzt.

Dom Sunol gehört ohne Zweifel zu den bedeutendsten Choristen unseres Jahrhunderts. Überzeugter Anhänger der rhythmischen Grundsätze Dom Andr£ Mocquereans, dem wir neben Dom Pothier und anderen in der Hauptsache die Wiederbelebung des Choralgesanges nach der Editio Vaticana zu danken haben, betätigte er sich zuerst als Verbreiter des solosmenser Choralvortrages in seiner engeren Heimat. In der „Gregorianischen Vereinigung von Barcelona“, deren Ortsgruppen sich über ganz Katalanien erstrecken, schuf er sich den notwendigen organisatorischen Rückhalt. Er hatte solchen Erfolg, daß er bei einem Hochamt aus Anlaß eines großen Katholikenkongresses im Stadion von Barcelona 30.000 Sänger dirigieren konnte, die das Ordinarium choraliter sangen. Von der Schlagkraft dieser Organisation konnte ich mich gelegentlich des Kongresses der Internationalen Gesellschaft für Musikwissenschaft in Barcelona im April 1936 persönlich überzeugen. Das erste Credo, gesungen von der Choralvereinigung in der uralten Taufkirche von Tarasa, wird mir immer “in Erinnerung bleiben.

Eine wesentlich größere Resonanz erhielt das Wirken Sunols für den Choral durch sein Schulwerk: Metodo completo para tres cursos de Canto Gregoriano segun la escuela de Solesves. Das Werk ist bereits 1905 erschienen und seitdem in zahlreichen Auflagen in der ganzen Welt verbreitet und unter dem Titel „Gregorianischer Choral nach der Schule von Solesmes“ auch ins Deutsche übersetzt worden. (Desclee-Tournai 1932.)

Als Wissenschaftler hat Dom Sunol zuerst durch eine große Arbeit über das katalanische Volkslied des 14. Jahrhunderts: „Eis Cants dels Romens“ von sich reden gemacht. Sie füllt einen der Foliobände der Analecta Montscrratensia. Eine überragende Leistung ist jedoch das Antiphonale Mis-sarum juxta ritum Sanctae Ecclesiae Me-diolanensis. Es ist dies nichts weniger als das Graduale des ambrosianischeh Ritus von Mailand, dessen Gesänge wesentlich verschieden sind von den Melodien des Graduale Romanum. Dom Sunol, der mittlerweile (1931) von Kardinal Schuster zum Leiter der Kirchenmusikschule von Mailand berufen worden war, gelang es in knapp vier Jahren, diese Melodien auf Grund einer vergleichenden Forschung der besten Quellen unter ständiger Kontrolle durch die Praxis in ihrer ursprünglichen Form wiederherzustellen. Diese Rijsenarbeit war wohl nur dadurch möglich, daß er die wissenschaftliche Methode, die sich die Mönche von Solesmes zur Erneuerung des Graduale Romanum und der übrigen liturgischen Bücher des römischen Ritus erarbeitet hatten, sich völlig anzueignen wußte. Den Nachweis dafür erbrachte sein 1925 in katalanischer Sprache erschienenes großes Werk: Introducci6 a la Paleografia Musical Gregoriana, das seit 1935 auch in französisdier Ubersetzung vorliegt und von dem eine deutsdie Bearbeitung dringend nötig wäre. Mit dem Erscheinen des Mailänder Graduale, das gleichfalls 1935 (bei Desclee in Tournai) erfolgce, stand Dom Sunol auf der Höhe seines Schaffens und seines Ruhms und es konnte nicht mehr überraschen, daß ihn Papst Pius XI. nach dem Ableben Abt Ferretis, des Präsidenten des Pontificio Istituto, der 1938 auf der Fahrt nach Budapest zum Eucharistischen Weltkongreß plötzlich starb, zu dessen Nachfolger ernannte.

Dom Sufiol war auch in Österreich keineswegs üi bekannt. Nicht nur durch seine Choralsdiule, die in unserem Lande weite Verbreitung fand. Mit Egon Wellesz, dem verdienten Forscher auf dem verwandten Gebiete des byzantinischen Chorals, verband ihn persönliche Freundschaft. Im Sommer 1937 hielt er auf einer liturgischen Tagung in Salzburg ein großes Referat über die Mailänder Liturgie und noch im Jänner 1938 nahm er in Wien an dem Hochfest der Liturgien persönlich teil und zelebrierte in der Paulanerkirche ein ambrosianisches Hochamt, bei dem die Schola Gregoriana des Wiener Priesterseminars den Gesang besorgte. Er besuchte damals auch die Abteilung für Kirchenmusik der Staatsakademie sowie die drei großen Priesterseminarien und hatte überall ein aufmunterndes Wort bereit. Ich veiß, ftr weilte gerne in Österreich und fühlte sich von unserer Art sehr angesprochen. Besonders fiel ihm auf, wie sehr bei uns das tägliche Leben mit religiösem, christlichem Brauchtum durchsetzt ist. Unser „Grüß Gott!“ hatte es ihm besonders angetan. Dies waren auch die einzigen Worte, die er in deutscher Sprache hervorzubringen sich redlich bemühte.

Sufiol war ein echter Sohn des heiligen Benedikt gemäß dem uralten Ordensspruch: „Ora et labora“, an den er sich auch in jenen Jahren genau hielt, in denen ihm ein sdiweres, anhaltendes Kopfleiden arg zusetzte. Er war kein Zelot, sondern voll Achtung für fremde Art und andere Überzeugung, weltoffen und aufgeschlossen für alles Schöne. Auch als Mönch strengster Observanz blieb er Mensch in de Wortes edelster Bedeutung. Vielleicht gehört das .mit zum Schönsten, was ich über ihn aussagen kann. Als ihm Pius XII. die Würde eines Abtes verlieh, wählte er als Wappen-bild neben der Taube (pax) den Berg mit der Säge, ein Zeichen, wie sehr er an seiner Heimat hing. Nun ist er in die ewige Gralsburg eingegangen.

Wer immer das Glück hatte, diesen kleinen, energischer: Mann ausgesprochen spanischen Typs mit seinen klugen, lebhaften Augen und seinem warmen Herzen kennenzulernen, wird ihn nk' vergessen. Wer ihn Freund nennen durfte, für den ist sein Tod ein unersetzlicher Verlust.

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