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DOMINIK JOSEF PETERLINI

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„Musik in Wien“, da? heißt nicht nur Oper, Walzer oder Konzert, sondern auch Kirche. Die Musira sacra hat in Wien seit Jahrhunderten eine weltberühmte Heimstätte. Sie in ihrer Geltung weiter zu fördern' ist Aufgabe der Kirchenmusiker unserer Tage; schon auch deshalb, weil in der Kirche dem gesamten Volk, allen Schichten, Kunst im edelsten Sinn des Wortes ohne Entgelt geboten wird- Die Musik bei der Messe ist Gottesdienst und Kunst zugleich. Diese bedeutsame Doppelaufgabe hat Dominik Josef Peterlini in vorbildlicher Weise durch sein Leben und sein Wirken gelöst Er ist so un und kommenden Generationen ein leuchtendes Vorbild.

Sein Werk sind vor allem die „Peterlini-Buben“. Seit etwa 1895 bildete er. Jahrzehnt um Jahrzehnt mit unermüdlicher Geduld Knabenstimmen für den Kirchengesang. Er verwirklichte damit den von Papst Pius X. 1903 ausgesprochenen Wunsch: „wenigstens an hervorragenden Kirchen die alten Singschulen wieder ins Leben zu rufen“ (Motu proprio, VIII, 27). Wer Gelegenheit hatte, diese Ausbildung mitzumachen, der mußte immer von neuem erstaunen über seine grenzenlose Hingabe, Geduld und Sachkenntnis, m;t der Peterlini jeden einzelnen Knaben unterrichtete. Nach zweijähriger Übung in der Singschule kam der dadurch treffsichere Blatrsänge'r zum Chor, der täglich von 7 bis 9 Uhr abends probte; dies war mit geringen Unterbrechungen das ganze Jahr hindurch so. Dabei wurden schwierige Stellen langsam, geradezu im Zeitlupentempo, durchgenommen, so daß dann im geforderten Tempo selbst die schnellste Sechzehntelpassage mit vollkommener Klarheit zur Geltung kam. Außer dem rein musikalisch Technischen wurde auch dem Inhaltsproblem der jeweiligen Komposition gründliches Augenmerk geschenkt. Künstlerische und vor allem liturgische Exegese des Gesungenen war eine der ganz großen Besonderheiten Peterlinis. Jedes Hochamt wurde mit vollständigem Proprium aufgeführt, daher mußten auch die entsprechenden Stücke entweder chora-liter oder mehrstimmig gesungen werden. Das Studium daran ging nie ohne die entsprechenden Hinweis auf Sinn und Bedeutung im Rahmen des Kirchenjahres vor1 über. Peterlini hat dadurch seinem Chor nicht nur die Musik, sondern auch die Liturgie nahegebracht.

Jeder der Buben mußte, soweit' die Eignung es nur überhaupt zuließ, ein Instrument lernen, so wurde aus dem Knabenchor mit der Mutation der Stimmen ganz organisch ein Orchester. Damit wuchs von selbst ein musikalischer Körper heran, in dem die Instrumerjtalisten, da sie die gesungenen Partien ja aus eigener Praxis kannten, dem Chor in vollkommener Anpassung folgten. Nach Beendigung des

Stimmbruchs kehrten mancher der Sänger wieder in den Chor zurück, bildeten den Grundstock der Männerstimmen und waren auch in dieser Sphäre mit den Absichten ihres Dirigenten vertraut. Da vor dem ersten Weltkrieg auch ein Blasorchester bestand, konnte Peterlini so manche dieser Instrumente bei Aufführung ebenfalls mit eigenen Kräften bestreiten.

Die Basis für diese organisatorische Schöpfung bildete der Katholische Jünglingsverein „Maria-Hilf'. in dessen Haus im 7. Bezirk der größte Teil der musikalischen Arbeit geleistet wurde. Sie geht auf kleinere Anfänge in der Kaiserstraße zurück, wo Peterlini auch die Freundschaft mit jenen Menschen schloß, die dann später als Philharmoniker ihm treues Weggeleit gaben bis zum Tod: Alexander Wunderer, Madenski, Stiegler und andere.

Das alles aber hätte nicht ausgereicht, jene beispiellose Pionierarbeit in der Wie-

her Kirchenmusik zu leisten, wenn D. J. Peterlini selbst nicht jene mitreißende Künstlerpersönlichkeit gewesen wäre. Eine alles durchdringende Musikalität gestattete ihm die bestimmenden Wesenszüge der einzelnen Stile restlos zu erlassen. Sein Entwicklungsweg über die Schule F. X. Haberls in Regensburg und die Choralpflege des 'Prager Stiftes Emaus zu den Wiener Klassikern und Bruckner befähigte ihn besonders für die Kirchenmusik. Ihre drei großen Stilarten: Choral, Palestrinastil und Wiener Klassiker (Instrumentalstil) waren ihm in allen Einzelheiten vertraut.' Auch nach dieser Richtung verwirklichte er die Forderung des Motu proprio, das in Teil TI diese drei Arten als hauptsächlichste Stile der Kirchen-' musik anführt. Wer, wie der Verfasser, dieser Zeilen, Gelegenheit hatte unter seiner Anleitung etwa ein Choralproprium zu studieren — ein Teil der Buben hatte zu bestimmten Zeiten in der Hauskapelle des genannten Vereines ein Choralamt zu singen —, der weiß, mit welcher nicht nur musikalischen,- sondern auch liturgischen Intensität jede einzelne Phrase ausgefeilt wurde.

Dieser reichen musikalischen Probenarbeit entsprach auch eine dementsprechend ausgedehnte Praxis. Neben den beiden Hauptkirchen, Lazaristen (Wien VII.) und Laimgrube, gibt es wohl keine Kirche in Wien, an der die „Peterlini-Buben“ nicht irgendeinmal gesungen haben. An hohen Feiertagen hatte der Chor für drei oder vier Kirchen den musikalischen Teil der Hochämter zu bestreiten Die günstigen Verhältnisse vor 1914 und selbst noch bis etwa 1917 ließen dies bei der großen Zahl der jugendlichen Sänger und Musiker ohne weiteres zu. Dabei konnte leicht der Fall eintreten, daß, da an zwei Kirchen je eine Haydn-Messe aufgeführt wurde, an der dritten Stelle, etwa in der Universitätskirche Mozarts Krönungsmesse in rein solistischer Besetzung erklang. Die vollkommene Sicherheit der Knaben und aller übrigen Ausübenden gewährleistete eine absolut künstlerische, einwandfreie Wiedergabe.

Die Möglichkeiten zu solchem Überfluß lagen allerdings auch in der finanziellen Unabhängigkeit Peterlinis. Man kann ohne Übertreibung sagen, daß er sein ganzes, durchaus nicht unbedeutendes Vermögen seinen Buben, der Musik, uid vor allem der Wiener Kirchenmusik geopfert hat. Die Inflation der Nachkriegszeit setzte dann seinem Wirken von dieser Seite her große Hindernisse entgegen und hatte ein Zerbröckeln seines Lebenswerkes zur Folge.

Die musikalische Tätigkeit Peterlinis außerhalb der Kirche, die ebenfalls sehr bedeutend war, muß in diesem Zusammenhang unerwähnt bleiben. Es mag richtig sein, wie manchmal bemerkt wurde, daß andere Chordirektoren mit einem Bruchteil jener Summen auskommen mußten, die Peterlini für seine Aufführungen verwenden konnte; es mag richtig sein, aber ebenso richtig ist, daß er der Wiener Kirchenmusik sein eigenes persönliches Vermögen zum Opfer gebracht hat Es wird immer so sein, daß Kirchenmusik, die ja ein Werk im Dienste Gottes ist, von ihren Trägern Hingabe an Geist und Materie verlangt und daß solches auch von vielen in treuer Selbstlosigkeit gebracht wird. Sie alle gehören damit jenem Charaktertypus an, der in Peterlini eine seiner stärksten Erscheinungen aufzuweisen hatte.

Wenn es sein Vermögen war, das ihm diese manchmal geradezu schrankenlose Größe erlaubte, er unterstützte viele seiner Buben auch in Schule und Haus mit größter Selbstlosigkeit, so war es in noch größerem Maß sein Geist und da ganz besonders sein starker, lebendiger Glaube, der viele seiner Schüler in das Reich des Guten mit sich fortriß.

Der Regenschori in Peterlini erzielte damit eine Tiefe der Chorerziehung, wie

sie wohl sehr selten der Fall sein wird. Die gesungenen Texte wurden vollständig erklärt, für die einzelnen Feste, besonders für die Karwoche besorgte er kleine Erläuterungshefte, machte auch selbst auf alles aufmerksam und führte so in den G;ist der Liturgie, des „gesungenen Glaubens“ ein. Das Karwochenoffizium, ausgeführt unter seiner Leitung, ist wohl für viele der Mitwirkenden zu unvergeßlichem Erlebnis geworden. Der Chor stand vorne beim Altar, nahm an der gesamten Liturgie tätigen Anteil und fühlte sich so, wie es ja eigentlich sein soll, als einer ihrer wesentlichen Bestandteile. Man empfand den dramatischen Aufbau alles Geschehens und Peterlini selbst, der gerad für diese Zeit des Kirchenjahres besondere Verehrung hegte — sie sollte für ihn auch der Zeitpunkt seines Heimganges werden —, war allen Nachlässigkeiten ihr gegenüber von fast leidenschaftlicher Strenge. So konnten wir einmal an ihm ein völliges Verlieren seiner Fassung mitmachen, als er erfuhr, daß in einer Wiener Kirche die Passion am Karfreitag gekürzt gesungen werden sollte. Er war nur mit Mühe zu beruhigen und

betonte immer von neuem, daß Kirchenmusik und Liturgie etwas absolut Heiliges seien und immer ganz geschehen müssen, nie halb. Um Gott zu dienen, sei gerade das Beste und Vollkommenste gut genug. Seine Bescheidenheit würde jetzt, wenn er noch lebte, Einspruch dagegen erheben, daß seine Gesinnung so offen in den Tag gebracht wird, aber — „Verba docent, exempla trahunt“: Das Beispiel tut unserer Zeit not. Der Regenschori hat die Pflicht, seinen Chormitgliedern nicht nur die Noten beizubringen, sondern auch den Geist. Wo er es vielleicht nicht imstande ist, dort mag der Klerus helfen, getreu dem Wort: „Gehet hin und lehret alle Völker“ (also auch die Musiker) und lehret sie alles halten, was ich geboten habe.“ (Matth. 28, 19. 20.)

Diese geistige Durchdringung mit ihrem Endziel der Verherrlichung Gottes in der Kirchenmusik fand in vielen der „Peterlini-Buben“ ein Echo. Nicht nur, daß ihnen dadurch die Sonntagspflicht in Fleisch und Blut überging, sie wußten auch, daß eine heilige Messe ganz gesungen oder gebetet werden muß, Ordinarium und Proprium. Sie wußten aber auch, daß Säkramenten-

empfang und Gebet dazu gehören, und daß es der Liturgie gegenüber eine heilige Verpflichtung gibt: sie in allen Teilen, getreu den Erfordernissen auszuführen.

So hat Dominik Josef Peterlini “über das Wesen der musikalischen Kunst hinaus bei allen seinen Schülern, es mögen ihrer wohl viele Hunderte sein, in zahllose Bereiche des Lebens und vor allem in das des Glaubens gewirkt. Er war damit nicht nur ein „Direktor“ seines Chores und seines Orchesters, sondern wirklich ein „Regens“, ein „Regierer“.

Kennzeichnend für ihn waren die Dankesworte, mit denen er bei seinem 60. Geburtstag am 4. April 1935 die Anwesenden bedachte: „Ich wünsche euch allen nur eines: Schauts, daß ihr in den Himmel kommt!“ Und so ist es wohl Fügung, daß diese unermüdlich für die Kirchenmusik Wiens bereite Seele gerade unter dem Läuten der Auferstehungsglocken des Karsamstags 1944, 8. April, zu ihrem Schöpfer heimging, um oben bc ihm, so dürfen wir mit Zuversicht hoffen, den Introitus des Ostersonntags anzustimmen: „Resurrexi, et adhuc tecum sum, alleluja!“

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