6705912-1963_51_04.jpg
Digital In Arbeit

DR. CHRYSOSTOMOS TSITER / METROPOLIS IM GEIST DER FREIHEIT

Werbung
Werbung
Werbung

„Wir bestimmen hiermit, daß Österreich, Italien, die Schweiz und Ungarn und die Insel Malta von jetzt an eine eigene Metropolis bilden mit dem Namen, Heilige Metropolis von Austria, Ex- archie von Italien, der Schweiz, Ungarn und der Insel Malta', die sich in unmittelbarer Abhängigkeit von Unserem Heiligen apostolischen und ökumenischen patriarchalischen Thron befindet, gleich allen anderen Metropolen des ökumenischen Patriachates; und der Metropolit dieses Gebietes soll seinen ordentlichen Sitz in Wien haben und den Titel tragen: Metropolit von Austria, Exarch von Italien, der Schweiz, Ungarn und der Insel Malta.“

Mit diesen feierlichen Worten erhob der Patriarch von Konstantinopel, Athenagoras, den Bischof der griechisch-orientalischen Kirche in Wien, Dr. Chrysostomos Tsiter, zum Metropoliten. Der neue Metropolit wurde am 1. November 1903 in Triglia, in Kleinasien, geboren. Weltkrieg, Verfolgung der Christen, der Märtyrertod des Onkels, des Bischofs von Smyrna', die bewegte Zeit der Krise in Kleinasien in den zwanziger Jahren nach dem Ende des Krieges — unter diesen Eindrük- ken stand die Schulzeit des jungen Theologiestudenten. Konstantinopel, Smyrna und wieder Konstantinopel — damals allerdings bereits Istanbul —, schließlich die theologische Fakultät der Athener Universität: Stationen einer

Schulzeit, die im Zeichen von Krieg und blutiger Verfolgung stand. 1924 wurde Chrysostomos Tsiter zum Diakon geweiht, im selben Jahr erwarb er das theologische Doktorat.

1936 kam die Wende ins Leben des Gymnasiallehrers: er wurde als Archimandrit nach Wien versetzt. Nach jenem Wien, dessen griechische Gemeinde unter Franz Joseph ungeheuren Zuwachs erhalten hatte, deren Gemeinde reiche und angesehene Familien, wie die Dumba, Sina, Gianellia, angehörten. Neben seiner seelsorgerischen Tätigkeit studierte der junge Geistliche an der Wiener Universität: ein Thema aus dem Bereich der Philosophie war es dann, das ihm schließlich 1939 auch noch den Doktorhut der Wiener Universität einbrachte. Freilich standen schon drohende Zeichen am Horizont. 1941 überrollte dann der Krieg auch Griechenland. Nun war Chrysostomos Tsiter für seine in Wien lebenden Landsleute die einzige erreichbare weltliche Autorität geworden, doch mit sicherer Hand steuerte er sein kleines Schifflein über alle drohenden Untiefen der Kriegs- und Nachkriegszeiten, durch die Jahre, in welchen in seiner Heimat der Bürgerkrieg wütete, hinweg.

Vier Punkte waren es vor allem, die den Patriarchen von Konstantinopel dazu bewogen hatten, Europa im Februar 1962 in vier Metropolen zu teilen und den Auxiliarbischof des Londoner Erzbischofs — Chrysostomos Tsiter bekleidete diesen Rang seit 1955 — zum Oberhaupt einer neuen Metropolis zu machen: geschichtliche Überlegungen, das Problem des immer mehr zunehmenden griechischen Arbeiterstromes in Westeuropa, die Frage der in Westeuropa lebenden griechischen Studenten und schließlich der Einfluß des zweiten Vatikanums, das den Patriarchen tief beeindruckt hat.

Für Übersetzungen und wissenschaftliche Arbeiten, mit denen er sich in der Fachwelt einen Namen gemacht hat, wird der neue Metropolit freilich kaum noch Zeit haben. Zuviel Arbeit wartet, zuviele Sorgen drängen sich auf. Seelsorgerische wie politische Trotzdem ist Seine Eminenz zufrieden. Wien, das ist ihm viel mehr als Sitz der Metropolis, denn hier „wurde die Jahrhunderte hindurch ein Geist der Freiheit und eine verantwortungsbewußte Tradition geschaffen, welche erlaubte, die Eigenart der Völker, die hier lebten, voll zur Entfaltung zu bringen und als selbständige Kulturnationen ihren Weg weitergehen zu lassen“.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung