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Drei Achtundvierzig

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Wir stehen am Ende des Jahres 1947, das der Welt und insbesondere unserem Vaterland viel Sorge und Enttäuschungen gebracht hat. Nicht sosehr durch die Ereignisse, die es kennzeichnen, sondern im Gegenteil durch das Ausbleiben der Entwicklungen, die man von ihm erhofft hatte. Der entscheidende Schritt, der Politik und Wirtschaft aus dem Chaos der Kriegszeit in den Aufbau eines gefestigten Friedens hätte hinüberführen sollen, ist noch immer nicht erfolgt, vielversprechende Ansätze zu einer wirklichen Solidarität der vielgeplagten Menschheit stehen noch in den Anfängen und sind schweren Mißdeutungen ausgesetzt, die die vorhandenen Spannungen und Spaltungen eher vermehrt als vermindert haben. Alle Hoffnungen richten sich nun auf das kommende Jahr 1948. Ist es etwa ein günstiges Omen, in das das Achtundvierzigerjahr der letzten drei Jahrhunderte immer eine schicksalhafte Wendung, einen Abschluß und einen Beginn bedeutet hat?

Das Jahr 1848 ist den älteren Jahrgängen der heutigen Generation noch aus zeitgenössischen Schilderungen von Eltern und Großeltern vertraut. Je nach deren Einstellung wurden die Ereignisse jenes Jahres entweder als das Ende der „guten alten Zeit" oder als der Anfang der Entwicklung zum neuzeitlichen Staat dargestellt. Tatsache ist jedenfalls, daß — wenigstens für Mitteleuropa und für östereich im besonderen — das Jahr 1848 das Ende des — von manchen auch als „Nachtwächterstaat" be- zeichneten — alten Obrigkeitsstaates und den endgültigen Niederbruch der vom Wiener Kongreß zum System erhobenen Ablehnung der Ideen der französischen Revolution bedeutet und überall den Weg zur Anerkennung der staatsbürgerlichen Rechte und zur Teilnahme der Völker an der Lenkung des Staatsschiffes eröffnet hat. Für Österreich wird die Bedeutung dieses Jahres noch dadurch erhöht, daß die damals einsetzende neue Entwicklung naturgemäß auch das Sonderleben der in der alten Monarchie wohnenden Nationalitäten zur Entfaltung gebracht und damit den Keim zu deren Eigenstaatlichkeit gelegt hat, endlich auch dadurch, daß mit diesem Jahre die franzisko- josephinische Ära begann, die — von den Zeitgenossen vielfach verlästert und angefeindet — im Lichte der späteren Ereignisse als eine Zeit der Ruhe, der Ordnung, des Wohlstands und vor allem der Rechtssicherheit erscheinen muß. Die Prinzipien,

denen das Jahr 1848 zum DurJibruch ver holfen hat, waren durch Jahrzehnte ein schon fast als selbstverständlich angesehenes Gemeingut aller zivilisierten Nationen, bis der kaum mehr für möglich gehaltene Rückschlag einsetzte. Wenn dieser auch durch den Niederbruch der faschistischen und autoritären Regime heute überwunden ist und die Losungsworte von 1848 mehr denn je in aller Munde geführt werden, so finden sie doch eine so verschiedene und vielfach eigenartige Ausdeutung, daß es eine offene Frage ist, ob sie je wieder zu so allgemeiner Geltung gelangen werden, wie im zweiten Teil des 19. Jahrhunderts.

Blättern wir im Buch der Geschichte noch weitere hundert Jahre zurück, so gelangen wir zum Jahr 1748, das ebenfalls für Europa und zumal für Österreich ein solches des Abschlusses und Neubeginns war. Damals fand durch die Verträge von Aachen der achtjährige österreichische Erbfolgekrieg, in den alle europäischen Mächte mehr oder weniger verstrickt. gewesen waren, seinen Abschluß. Auf dem Gebiet der „großen“ europäischen Politik bedeutete er das Ende des jahrhundertelangen Kampfes zwischen den Häusern Habsburg und Bourbon und die Schaffung der Vorbedingungen für das wenige Jahre später eingetretene „Renversement des alliances", das die europäischen Mächte in völlig veränderter Frontstellung in den „Siebenjährigen Krieg“ eintreten ließ. Für Österreich im besonderen bedeutete der Aachener Friede die siegreiche Überwindung der mit dem Tode Karls VI., des letzten aus dem Habsburger Mannesstamme, ausgebrochenen Krise. Das unerschrockene Herz und der kluge Kopf der jungen Monarchin hatten den Kampf um das väterliche Erbe zum glücklichen Ende geführt und damit den habsburgischen Hausmachtbereich im Donauraum erst zu einem wirklichen einheitlichen Staatswessen verklammert. Im Innern begann nun die Zeit des unter Maria Theresia mit weiser Mäßigung und sanfter mütterlicher Hand ins Werk gesetzten, unter ihrem Sohn Josef II. mit überstürzter und alle alten Traditionen rücksichtslos beiseite schiebender Hast durchgeführten Umbaus der alten patriarchalisch-feudalen Staatseinrichtungen zum modernen Ordnungsstaat. Nach außen setzte damals für Österreich, an. Stelle des säkularen Kampfes gegen Frankreich, das Ringen mit dem im Zuge des Sukzessionskrieges emporgekommenen Preußen um die Vormacht in Deutschland ein. Wenn wir noch in Betracht ziehen, daß dfcr österreichische Erbfolgekrieg die letzte gijoße europäische Auseinandersetzung war, die sich noch ohne aktive Teil-' nähme RußVands vollzogen hat — obwohl sich beim Alachener Friedensschluß das Heranrücken dier russischen Bataillone bereits fühlbar maichte —, und daß von 1748 an das bisherige Gleichgewicht zwischen Großbritannien und Frankreich auf den Ozeanen und über See einem sich immer deutlicher abzeichneriden Übergewicht Albions Platz machte, so muß auch diesem Jahre der Charakter eines großen historischen Wendepunktes ibeigemessen werden.

In noch weit höherem Maße gilt dies natürlich vom Jahre des Westfäli- schen.‘Friedens, der am 2 4. Oktober 164 8, den Dreißigjährigen Krieg abschloß und ein Instrument schuf, das durh Jahrhunderte die Grundlage der europäisdien Politik bildete. Er beendete eine Zeit des Grauens und der Verwüstung im mitteleuropäischen Raume, und versetzte das deutsche Volk in einen Zustand der Mahtlosigkeit, die beide als nicht mehr zu übertreffen angesehen wurden, bis die Ereignisse der jüngsten Zeit sie noh weit in den Schatten gestellt haben. Der Westfälische Friede war ein Shlußpunkt in ideen- politisher Beziehung, indem er das religiöse Element — das seit der Kirhenspaltung die stärkste Triebkraft in der europäishen Politik darstellte ’— endgültig ausshaltete und das Nebeneinander der Konfessionen auf dem Boden der zwischenstaatlichen Beziehungen — wenn auh noh nicht im innerstaatlichen Leben — zum gesicherten Rehtsgut erhob. Andererseits aber war dieser Friede — eben durch den Fortfall des ideenpolitishen Motivs aus der Politik — der Anfangspunkt der ideenarmen, rein auf materielle Interessen abgestellten Kabinettspolitik der folgenden Zeit, die in der shrankenlosen Raffgier des Sonnenkönigtums ihren Höhepunkt erlebte. Für Österreich bedeutete die Aushöhlung der deutschen Kaiseridee zu einem mäht- und wesenlosen Sheingebilde den notgedrungenen Rückzug des habsburgishen Macht- gedankens auf die altösterreichishen und donauländishen Erblande. Erst von dieser Zeit an beginnen diese zu einem, zwar noch mit der deutschen Kaiserwürde verbunde-

nen, sie aber immer mehr an Gewiht übertreffenden Österreich zu verwachsen.

Dreimal also hat in der neueren Geshihte das Jahr 48 eine tiefe Zäsur in der Entwicklung unseres Erdteils und unseres Vaterlandes gebracht. Daß dies auh im zwanzigsten Jahrhundert zutreffen möge, und daß die neu einsetzende Entwicklung zum wahren Frieden, zur Ruhe und zur Rechtssicherheit führen möge, ist wohl der Wunsh aller. Er kann und wird in Erfüllung gehen, wenn dieses Ahtundvierz.igerjahr aus dem Ideengut seiner Vorgänger die '-noh auf unsere Tage anwendbaren Elemente übernimmt: Vom Jahre 1848 das heiße Verlangen nach Sicherung der unveräußerlichen Menschenrechte, nah Menschenwürde und wahrer Demokratie. Vom Jahre 1 7 4 8 den Glauben an den Bestand Österreichs und den frishen Mut zum Wiederaufbau nach schwerer Prüfung. Vom Jahre 1648 endlich den Durhbruh des Gedankens, daß bisher als unvereinbar und zu ewiger Feindschaft verschworen scheinende Ideen friedlich nebeneinander existieren können. Das Letzte will mir fast als das Ausshlaggebende ersheinen, und wenn es gelingt, die Koexistenz verschiedener sozialer Staatsstrukturen ebenso sicherzusteilen wie damals die der verschiedenen Staatsreligionen, so wird 1948 das größte der „Achtundvierzigerjahre“ werden.

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