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Drei schwarze Könige in London

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Vor kurzem fand eine mehrwöchige Tagung im Londoner Lancaster House ihren Abschluß, bei der die drei mächtigsten Herrscher Nigerias, der größten britischen Kolonie Westafrikas, an einem Konferenztisch zusammensaßen. Thema der Beratungen: Einigung über den zukünftigen Status der riesigen Kolonie Nigeria und der Weg ' ztfr staatlichen "Selbsttfiidigfeifi \ Nigeria bildet aber noch keinb -Einheit ;' diė öldfiip ist in drei völkisch sehr verschiedene Regionen untergeteilt, die intern mehr oder weniger von eingeborenen Herrschern verwaltet werden.

Wer sind nun diese drei Könige, denen Millionen Schwarze untertan sind? Der mächtigste unter ihnen — er herrscht über 17 Millionen Menschen in Nordnigeria — ist Alhaji A h m a n d u, der Sardauna von Sokoto. Er ist wohl der autokratischeste Herrscher von den dreien, da er aus dem Lande der islamisierten Haussakrieger kommt, in dem ein Mann noch ein „richtiger Mann" sein kann, mit allen seinen althergebrachten Vorrechten. Der 48jährige Sardauna ist strenger Mohammedaner — sein Titel Alhaji bedeutet, daß er als Pilger in Mekka gewesen ist — und er ist anscheinend gar nicht sosehr darauf bedacht, demokratische Spielregeln in seinem Lande einzuführen. Würde das doch früher oder später die Gleichberechtigung der Frau in Nordnigeria bedeuten.

Der zweite in diesem illustren Dreiherrscherkreis ist der bebrillte Häuptling Obafemi Awolowo, dem 7 Millionen Westnigcrier unterstehen. Awolowo ist Protestant, Methodist, gehört zur dünnen Schicht der Intelligenz Negerafrikas, die in England Universitäten besuchte und ist ein eifriger Verfechter der Demokratisierung und Selbständigkeit seines Gebietes.

Und der dritte im Bunde ist der 52jährige Dr. Nnamdi A z i k i w e, Ministerpräsident von 8 Millionen Ostnigeriern, hier in den Zeitungen kurz unter dem Spitznamen „Zik“ bekannt. Dr. Azikiwe, der in Amerika zur Schule ging, ist in England zu einer mehr oder weniger traurigen Berühmtheit geworden, als er von einem königlichen Untersuchungsausschuß, der die Angelegenheiten einer nigerischen Staatsbank prüfte, unlauterer Tätigkeit bezichtigt wurde. Als Protest gegen diese Anschuldigung trat „Zik" mit seiner Partei zurück und erzwang die Ausschreibung von Neuwahlen in Ostnigeria, bei denen er schließlich wieder als Sieger hervorging. Der im politischen Ränkespiel sehr gefinkelte „Zik“ verstand es dabei, sich als unschuldiger Sündenbock hinzustellen, den man nur beiseite schaffen wollte, da er als einziger „ehrlicher" Vertreter des Volkes aufzutreten wagte. Dr. Azikiwe, der augenblicklich katholisch ist, aber schon Protestant und auch ein begeistertes Mitglied der moralischen Auf- rüstungsbewegung war, ist wohl der ehrgeizigste von den drei Staatsmännern, die im dreigeteilten

Nigeria an der Spitze der Macht stehen; und er versteht es auch am besten, sich beim Volk beliebt zu machen.

Der britische Kolonialminister Lennox Boyd hatte es sich bei dieser Konferenz zur Aufgabe gemacht, diese drei Gebiete näher aneinander zu bringen und zu versuchen, sie ?u einer Einheit: zusäämerizüSchweißen, die etnmal’imstande sein ęoll. als selbständiger Staat zu funktionieren. Daß es auch den Engländern damit nicht allzusehr eilt, ist selbstverständlich.

Häuptling Awolowo und Dr. Azikiwe wollen so bald als möglich volle Unabhängigkeit. Die Haussas im Norden dagegen sind gegen jede voreilige Maßnahme. Sie sind ja zahlenmäßig stärker als die Bevölkerung Ost- und Westnigerias zusammengerechnet und können deshalb auch leichter ihrer Ansicht zur nötigen Durchschlagskraft verhelfen. Die Leute aus dem Süden sprechen im allgemeinen sehr geringschätzig vom rückständigen Norden, der sich von den feudalen mohammedanischen Emirs tyrannisieren lasse und den Frauen nicht das Wahlrecht gebe, wie es im Süden geschehe. Die Haussas, Nachkommen eines gefürchteten, kriegerischen Reitervolkes, lassen sich aber durch diese Argumente nicht einschüchtern und bestehen darauf, daß in ihrem Land die alten Gesetze und Traditionen keine wesentlichen Aenderungen erfahren. England hat Nigeria dieselbe Unabhängigkeit zugesagt wie Ghana, der ehemaligen Goldküste, und es liegt an den schwarzen Mohammedanern, Christen und Heiden, die verschiedensten Völkern angehören, ihre Differenzen auszugleichen und ihre Pläne auf einen Nenner zu bringen.

Nigeria ist für England von großer Bedeutung als Absatzmarkt für Textilien und Maschinen und vor allem als Lieferant wichtiger Rohstoffe, insbesondere für die britische Margarine- und Seifenindustrie. Wäre es zu einer Einigung zwischen den großen Drei im Londoner Lancaster House gekommen, so wäre es noch immer unwahrscheinlich gewesen, daß einer von ihnen der erste Ministerpräsident des Vereinigten Nigeria geworden wäre, der Mann, der den Ruhm in Anspruch nehmen könnte, Nigeria zu seiner Unabhängigkeit geführt zu haben. Dr. Azikiwe träumte davon, dieser Mann zu sein, aber der übermächtige Norden ist nicht dafür zu haben. So munkelt man in informierten Kreisen, daß sich der Süden zu einer Kompromißlösung bereit erklären wird, um die stolzen Haussas umzustimmen; man will sich nämlich auf den 46jährigen Abubakar Tafawa Balewe, einem Mohammedaner aus dem Norden, einigen, der wegen seiner rhetorischen Begabung als „die goldene Stimme des Nordens" bezeichnet wird. Dieser Mann ist mit keiner der mächtigen Emirfamilien verwandt, studierte an der Londoner Universität und gilt als eine aufgeschlossene und tatkräftige Persönlichkeit.

Noch ist es aber nicht so weit. — Bei der Konferenz wurde beschlossen, Ost- und Westnigeria in diesem Jahr innere Selbstverwaltung zu geben und einige Maßnahmen zu ergreifen, die einen Zusammenschluß der drei Gebiete erleichtern sollen. Die Haussa im Norden brauchen noch Zeit und sind damit zufrieden, daß für die Vereinigung der drei Regionen kein Datum festgelegt worden ist. Der Süden ist zwar etwas ungeduldig, betrachtet ės aber-als großen Forti schritt,' daß mit dem- „-widerspenstigen" ' Norden fruchtbare Besprechungen geführt werden konnten, die eine Selbständigkeit des gesamten Nigerias vielleicht schon für 1960 erhoffen läßt. Eine Hoffnung, die die Engländer nicht so schnell in die Tat umsetzen werden, wenn es sich nur irgendwie machen läßt.

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