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Düfte ganz verschiedener Art

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Oder: Zu den besten Inserenten des „Kleinen Volksblattes“ gehörten unter anderen eine bekannte Parfu- meriefirma am Graben in Wien und ein Fleisch- und Wurstgroßunternehmen in Wien-Meidling. In einer Pfingstfestnummer trafen die beiden zusammen — aber wie! Der Zufall, nein, der Druckfehlerteufel wollte es, daß beide Firmen ihr Markenzeichen samt Warenbezeichnung als Strichätzungsklischee lieferten, um das herum je ein längerer Werbetext handgesetzt werden mußte. In der Pfingstnacht vertauschte der Druckfehlerteufel die beiden Klischees. Die Folgen waren verheerend. Um das Klischee des Parfumeriefabrikanten herum leuchteten die Attribute erstklassiger Fleisch- und Wurstwaren, um das der letzteren aber die der Parfümerie. Der Hauptbetroffene war der Fleischhauer; einmal, weil sein Schinken und seine Würste die anzüglichsten Beinamen erhalten hatten, wie Maiglöckchenduft, point vert, Veilchen, Mosehus, Lavendel, und dann, weil der Arme zufällig die Pfingstfeiertage daheim verbringen mußte und sich am unentwegt bimmelnden Telephon die mehr oder minder gutmütigen Gratulationen guter Freunde zu seinen ungewöhnlichen Duftwürsten anhören mußte. Sein Zorn entlud sich am Dienstag nach Pfingsten ungehemmt am Telephon auf uns. Als Inserenten waren wir ihn leider eine ganze Zeit lang los. Ganz anders benahm sich der Parfumeriefabrikant. Geschäfts-

1 Vgl. hierzu „Die Furche" Nummern 4, 5 und 6.

mann durch und durch, sandte er der Redaktion eine erlesene Auswahl von Kölnischwässern und Parfüms und bedankte sich artig: „Ä so ä Reklam krieg ich nie mehr im Leben“.

Wer ist der „Areme Keline“?

Gerührt denke ich noch heute an den alten Chef der Polizeikorrespondenz, Hofrat Wilhelm, dessen starke Seite nicht eben das schnelle und fehlerfreie Maschinschreiben war. Trotzdem gelang es mir, zum Unterschied von Kollegen in anderen Zeitungen einmal seinen Passus „Der Areme Keline“ als „der arme Kleine“ zu dechiffrieren. Auch seine Aussendung über ein feierliches „Te- deum“ im Stephansdom anläßlich des Todes des rumänischen Ministerpräsidenten wurde von mir aufgefangen und richtig als „Requiem“ abgedruckt: Der Druckfehlerteufel hatte das Nachsehen. Ausnahmsweise. \

Von der Hast der Journalistenarbeit zeugt übrigens folgender, dem Laien fast nicht glaublicher Vorfall. Ein älterer Mitarbeiter der „Reichspost“, Dr. L., den ich geliebt habe, arbeitete auch an der christlichsozialen Pressezentrale mit und hatte einmal sehr spät abends der eigens für ihn zurückgehaltenen Stenographin eine längere Rede Dr. Seipels zu diktieren. Er tat es, nach Zensurierung durch den heiklen Autor, gewissenhaft bis zum Schluß. Dann allerdings setzte er, höchst privat, wie im Selbstgespräch dazu: „So, für heute habe ich genug, jetzt könnts mich —!“ Das Unglaubliche geschah: Dieser letzte Satz rutschte als

Schlußsatz der Seipel-Rede in die Ausgabe der christlichsozialen Pressezentrale und wurde prompt von vier Wiener Morgenzeitungen abgedruckt. Das „Kleine Volksblatt“ war gottlob nicht darunter.

Der Grubenhund bellt laut

Ein Milchbruder des Druckfehlerteufels ist der Grubenhund, bekanntlich eine Erfindung des noch nicht lange toten Ingenieurs Schütz aus Wien, der, ein anderer Karl Kraus, die Intelligenz der Zeitungsleute anzweifelte und den Wiener Zeitungen laufend „glaubhaften Unsinn“ zuschickte, das erste Mal „bellende Grubenhunde“ bei einem Bergwerksunglück, was diesem Typus des Zeitungslapsus den Namen gab — und eine spezielle Wiener Note. Das ging so weit, daß er einmal einem Wiener Spätabendblatt gleichzeitig zwei Grubenhunde einsandte. Den einen fing sie auf, sieh stolz in die Brust werfend: „Uns kann keener!“. Genau auf der gegenüberliegenden Seite aber leuchtete der zweite Grubenhund — diesmal unglossiert.

Auch das „Kleine Volksblatt“ blieb vom Grubenhund nicht verschont. Sein Verfasser aber war nicht Ingenieur Schütz, sondern ein illegaler Nationalsozialist, der uns knapp vor den hektischen Tagen des Umbruches ein anscheinend unverfängliches Gedicht, das Österreich und die Vaterländische Front feierte, für die Sonntagsbeilage einsandte, dessen Versanfangsbuchstaben „Heil Hitler“ ergaben. Wir fielen hinein, und der Autor ist bis heute unbekannt geblieben.

Die Quellen einer Zeitung

Zurück zuim Anfang. Der Katastrophenwinter ging vorüber, spät und schüchtern rückte der Frühling des Jahres 1929 ein. Der Zeitungsbetrieb spielte sich ein, der Personalstand füllte sich auf, sieben Setzmaschinen und eine „Rodel“ (Rotationspresse) taten ihre Pflicht, und Motorradfahrer Stockner war fast den ganzen Tag unterwegs, für „Reichspost“ und „Kleines Volksblatt“ an bestimmten Stellen die einzelnen Korrespondenzen und Poststücke zusammenzuholen.

Da gab es einmal die Vorgängerin der heutigen Austria-Pfesse-Agen- tur, die damalige Amtliche Nachrichtenstelle, von uns kürzer „Korr- Büro“ genannt, die Grundlage aller politischen und größeren Lokalnachrichten des In- und Auslandes. Aus dem Auslande berichteten noch „Telegraphen-Union“ und „Telegra- phen-Company“, wovon wir die erstere als die teurere nur zeitweise abonniert hatten. Die Parlamentsdebatten gab die offizielle Parlamentskorrespondenz im Wortlaut wieder, hinter die Kulissen der Politik guckten die Korrespondenzen Herwei und Herzog.

Die Grundlage des Wiener Lokalberichtes bildete der wegen seiner Tippfehler schon genannte „Wilhelm“ (Hofrat Wilhelm und Redakteur Driak), der überaus gewissenhaft und ausführlich praktisch den gesamten Polizeirapport ausgab. Für auswärts gab es die Niederösterreichische Landeskorrespondenz, die Korrespondenz des alten Gendarmerieboß Burg, später Niederösterreichische Gendarmeriekorrespondenz, den „ÖPD“ (österreichischer Pressedienst), für die Bezirke Baden und Wiener Neustadt die Korrespondenz Weiß. In die Berichterstattung von Schwur-, Landes- und Bezirksgerichten teilten sich brüderlich „Beck“ und „GPD“ (Gerichtlicher Pressedienst), fast ein Dutzend Bilderagenturen lieferten regelmäßig hunderte von Aktualitäten. Über Sport berichtete Gnevkov-Blume.

Erinnerung an Leopold Kunschak

Wie die meisten Wiener Zeitungen hatte aber auch das „Kleine Volksblatt“ den Ehrgeiz, darüber hinaus durch ständigen Einsatz von Reportern in Wien und Umgebung das Blatt durch Eigenberichte anzureichern. Das vorne schon erwähnte Netz von ständigen Mitarbeitern in den größeren Städten Österreichs blieb unsere Spezialität, auf die wir mit Recht stolz sein konnten. Aber auch die Recherche und Reportage mit dem Flugzeug bewilligte der hierin sehr großzügige Hermann Mailler. So konnte ich selbst Tagungen in Rom (dreimal), San Remo und viele andere besuchen, aber auch die kontinentale Erstaufführung des denkwürdigen Chaplin-Films „Lichter der Großstadt“ im UFA-Palast am Zoo in Berlin.

An den letzteren Besuch knüpft sich im übrigen ein anekdotisches Nachspiel. Leopold Kunschak hielt den letzteren Exkurs zu dem „Kommunisten“ Chaplin für ganz und gar überflüssig und schrieb an die Redaktion einen erbosten Brief, uns, seinem Temperament entsprechend, des Verrates an Österreich beschuldigend und mit dem Götz-Zitat schließend. Ich bewahrte das „menschliche Dokument“ lange Zeit auf. Und das wurde mir beinahe zum Verhängnis. Ich wohnte damals privat in der Alserstraße. Trotz der sorgfältigen Auswahl der Mitbewohner durch die Quartierfrau geschah es einmal, daß sich ein dunkles Element einer östlichen Spionageorganisation einschlich, und das ausgerechnet in den politisch gespannten Zeiten 1934 bis 1938. Das Unvermeidliche geschah. Durch eine Meldung an die Staatspolizei mußten wir alle eine Hausdurchsuchung über uns ergehen lassen. O Schreck: Hohnlächelnd präsentierte mir einer der Beamten den obigen Brief Leopold Kunschaks und erklärte ihn für beschlagnahmt. Es bedurfte meines Hilferufes an Guido Zernatto und seines persönlichen Einschreitens, um die Staatspolizei von meiner politischen Unbedenklichkeit zu überzeugen.

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