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Ein Gedenkblaii für Josef Lechihaler

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Es war um die Jahrhundertwende, als wir uns erstmalig begegneten. Ich hatte es damals zum Sopransolisten auf dem Franziskaner- Kirchenchor in Solbad Hall gebracht, als eines Tages, wie sich bald zeigte, ein gefährlicher Konkurrent erschien. Nach meiner Rückkehr von einer mehrwöchigen Abwesenheit hatte der Neuling bereits meine Stelle als Sopransolist derart übernommen, daß die Solis nunmehr von uns beiden abwechselnd gesungen wurden. Nur sein baldiges Scheiden aus dem Städtchen hat mich vor dem Sinken meines kleinen Sängersternes bewahrt. Die prophetischen Worte jedoch sind in der Folge reichlich in Erfüllung gegangen.

Lechthaler hat seine Gymnasialstudien in Meran beendet und schon dort tüchtigen Musikunterricht des Paters Magnus Ortwein genossen. Jahre später trafen wir uns wieder in Innsbruck, wo er als Dirigent eine seiner ersten Chorkompositionen zur Aufführung brachte und nebst stürmischem Publikumsapplaus ein Ehrengeschenk von Erzherzog Eugen in Empfang nehmen konnte. Das Innsbrucker Debüt war von kurzer Dauer, da Lechthaler zur Vollendung seiner Hochschulstudien nach Wien übersiedelte. Wieder vergingen mehr als zehn Jahre, die den ersten Weltkrieg und das traurige Ende unseres alten Oesterreich umschlossen, bis wir uns in Wien wiedersahen. — Bald nach Vollendung seiner Universitäts- und Akademiestudien gehörte er dem Professorenkollegium der Akademie für Kirchenmusik an. Nach Jahren wurde er zum Leiter dieser Abteilung bestellt, die er als hervorragender Fachmann und Organisator zur Abteilung für Kirchen- und Schulmusik ausgebaut hat. Richtungweisend waren auch seine Referate auf verschiedenen Tagungen und seine schriftstellerische Tätigkeit in Fachzeitschriften des In- und Auslandes.

Neben seiner überaus fruchtbaren Wirksamkeit als Lehrer und Erzieher, Organisator und Musikschriftsteller sind aber vor allem die schöpferischen Früchte seiner genialen Begabung und unermüdlichen Schaffensfreude, die keineswegs etwa nur auf kirchenmusikalisches Gebiet beschränkt geblieben sind, von bleibender Bedeutung. Um nur einige der bekanntesten Werke zu nennen, sei auf den Mannerchor-Zyklus „Der Bauer" mit dem wirkungsstarken Spingeser Schlachtlied (unter anderem aufgeführt vom Wiener Männergesangverein und vom Schubertbund), weiter auf das Wächterlied, Männerchor mit Sopransolo und großem Orchester, uraufgeführt von den Ghibellinen unter Leitung des Universitätsmusikdirektors Pawlikofsky mit dem akademischen Orchesterverein, hingewiesen. Zu den häufiger aufgeführten Werken zählen vier Messen, zum Teil a cappella oder mit Orgel beziehungsweise Streicher- oder Blechbläser- und Paukenbegleitung. Die Mannigfaltigkeit seiner Werke erwiesen zwei Streichquartette, die großartige Orgelphantasie, eine Klaviersonate, Lieder für eine Singstimme, darunter ein entzückendes Wiegenlied, eine Festfanfare, für den Wiener Trompetenchor komponiert, eine Cellosonate mit Klavierbegleitung, verschiedene Stücke für diverse Instrumente, darunter auch Gitarre und Flöte und noch manche andere.

Wenn sich auch namhafte Wiener Dirigenten wie Ferd. Großmann, Dr. Gillesberger, Leo Lehner und eine Reihe strebsamer, besonders jugendlicher Kirchenchorleiter in verschiedenen Wiener und Provinz-Kirchenchören in unserer eng gewordenen Heimat um die Pflege seiner Werke schon sehr verdient gemacht haben, so ist doch trotz gewisser technischer Schwierigkeiten besonders seiner späten Werke, dringend zu wünschen, daß mit zunehmender Schulung und steigender /Aufgeschlossenheit auch für neuere gute Musik die Werke dieses hervorragenden heimischen Künstlers mehr und mehr an Boden gewinnen.

Josef Lechthaler hat es sich und uns in seinem Schaffen besonders in den letzten Jahren nicht leicht gemacht. Er hat immer den strengsten Maßstab an seine Werke gelegt und ist ohne jedes Zugeständnis an die Hörer den Weg gegangen, den ihm sein reichbegnadeter Genius vorgeschrieben hat. Er gehörte besonders mit seinen Spätwerken keineswegs zu den leichten und vielbejubelten Publikums- lieblingen. Wenn man ihn mit einem bedeutenden Landsmann auf einem benachbarten Kunstgebiet vergleichen darf, so kann man feststellen, daß er eine ähnliche Entwicklung genommen hat, wie der große Meister der Palette, Egger-Lienz. So wie dieser von der naiv-lieblichen Art eines Defregger ausgehend, später seine knorrig-robusten und wuchtigen Gestalten geschaffen hat, ist auch Lechthaler in seinen ersten Schöpfungen von der zu dieser Zeit üblichen Art der Komposition kaum wesentlich abgewichen, wenn auch schon damals der durchaus eigenpersönliche Stil zu erkennen war. Daß er die Technik der Komposition beherrschte und dabei die Form mit wertvollstem Inhalt und hinreißender Ausdruckskraft zu erfüllen wußte, zeigt schon die erste „Clemens-Maria-Hofbauer-Messe" mit ihren schwungvollen Steigerungen in Gloria und Credo, und der glaubenstiefen Innigkeit voll unübertrefflichen Wohllautes im Bened ictus. Es ist bei ihm auch nicht überraschend, daß er ein Meister der Fuge und des Kontrapunktes war, den er in seinen Spätwerken mit unerbittlicher Konsequenz derart ausbaute, daß die Kritik immer wieder von herber Harmonik und eigenwilliger Stimmführung sprach, die es der älteren Generation nicht leicht macht, ihm auf seinen zukunftweisenden neuen Wegen zu folgen. Man muß sich eben ehrlich um das Verständnis des wertvollen Spätwerkes bemühen. Ursprünglich ein enger, im Laufe der Zeit größer werdender Kreis von Verehrern und Förderern seiner Kunst hat bald den Wert und die Bedeutung seiner Schöpfungen erkannt und sich auch um deren Aufführung ehrlich bemüht. Ansonsten war Lechthaler in seinem Leben, besonders in künstlerischer Hinsicht, keineswegs nur auf Rosen gebettet. Mit Ehrungen und Titeln, die ihm und seinem. Werk gebührt hätten, ist er wahrlich nicht überschüttet worden. Der längst weit über die Grenzen seines engeren Heimatlandes hinaus als erstrangiger Fachmann bekannte und geschätzte Musiker wurde im Jahre 1938 seines- Postens als Leiter der Abteilung der Akademie für Kirchen- und Schulmusik enthoben, wobei anerkennenswerterweise die Gemeinde Wien ihm an ihrer Musikschule wenigstens eine Existenzmöglichkeit geboten hat. Es war daher eine Selbstverständlichkeit, daß Lechthaler als der allein berufene Mann im Jahre 1945 wieder mit der Leitung dieser Abteilung betraut worden ist. Durch seinen allzu frühen Tod vor etwas mehr als sechs Jahren hat Oesterreich einen seiner bedeutendsten schöpferischen Musiker verloren.

Die Pflege internationaler Kunstwerke aus vergangenen Jahrhunderten ist gewiß anerkennenswert. Wenn man aber immer wieder in der Oeffentlichkeit schon fast zum Ueberdruß die Bedeutung Oesterreichs als Kulturträger betont, sollen wir es doch nicht nur dabei bewenden lassen, überwiegend Antiquitäten sorgsam zu bewahren. Es wird vielmehr zur Wahrung des Ranges auf diesem Gebiet. Zeit, in verstärktem Maße dem gesunden und wertvollen Fortschritt zum Durchbruch zu verhelfen. Das Werk Lech thalers bietet hierfür reichlich Gelegenheit. Heute, da sein Mund verstummt ist, soll sein Werk um so vernehmlicher für ihn und für uns sprechen. Ein zwar nicht der Zahl — von etwas über 50 Werken —, wohl aber dem Gehalte nach reiches Eibe hat er uns zu beglückender und erhebender Pflege hinterlassen.

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