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EIN HEILIGES EXPERIMENT

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In der Geschichte Indiens sind Musik und Tanz aufs engste miteinander verbunden. Über beide Kunstrichtungen existiert eine reiche Literatur in Sanskrit wie in den einzelnen Volkssprachen. Während die indische Musik all die Jahrhunderte hindurch sich ungestört entwickeln konnte und durch die politischen Invasionen, vor allem durch die Moghulenherr- schaft, wertvolle Anregungen empfing, hatte der klassische Tanz, besonders im vergangenen Jahrhundert, empfindliche Rückschläge erlitten. Privatpersonen sowie ganze Organi-

sationen fühlten sich berufen, gegen den klassischen indischen Tanz aufzutreten und ihn als unmoralisch zu verurteilen. Leider hatte diese Art von Propaganda nur zu gründlichen Erfolg, was wohl durch das Eingreifen der Regierung zu erklären ist. Abgesehen von wenigen Gurus (Lehrmeistern), welche die alte Kunstform weiterpflegten, und einigen Künstlern, die es auf sich nahmen, von der Öffentlichkeit als Personen minderen Charakters betrachtet zu werden, verschwand der Tanz fast völlig aus dem sozialen Leben Indiens. Erst in den letzten Jahrzehnten trat eine merkliche Wandlung ein. Die alten Sanskritwerke wurden neu übersetzt, und aus den Miniaturmalereien Nordiridiens und den Tempelskulpturen Südindiens mußten die alten Tanzstile wieder mühsam rekonstruiert werden.

Der Inder betrachtet Tanz und Musik als etwas Heiliges. Sie haben nicht nur ihren Ursprung in Gott, sondern sollen auch Mittel und Weg zu Gott sein. Aus dem nämlichen Grunde wird jeder orthodoxe Hindu seine Schuhe ausziehen, sobald er zu musizieren beginnt, weil er darin eine Begegnung mit der Göttin der Musik sieht. Die enge Verbindung von Musik und Tanz mit der Hindureligion veranlaßte die Christen Indiens, diese Kunstrichtungen ohne jeden Kompromiß abzulehnen. Der tiefere Grund für eine solche Haltung mag in der Furcht vor der Gefahr liegen, der sie all die Jahrhunderte tatsächlich auch ausgesetzt waren, nämlich von den Hindus kulturell erdrückt zu werden. Dem Steyler Pater Georg Proksch kommt zu einem Großteil das Verdienst zu, die Katholiken Indiens zur indischen Kultur zurückgeführt zu haben, wie auch eine der führenden Tageszeitungen Indiens — der Indian Expreß — in ihrem Kommentar zu den Ereignissen des vergangenen Eucharistischen Kongresses hervorhob.

Als vor mehr als 30 Jahren Pater Georg Proksch auf seiner ersten Missionsstation tief im Dschungel einzog, hätte niemand geahnt, daß dies der Beginn eines neuen Missionsweges sein würde. Neben Gesundheit und gutem Willen und einigen wenigen Habseligkeiten brachte er nichts mit sich als einen Ochsenkarren, das einzige Verkehrsmittel in dieser verlassenen Gegend. Er selber sagt: „Ich kannte, weder Sprache noch Mentalität der Leute. Um überhaupt mit den

Menschen in Kontakt zu kommen, mußte ich mich eingehend mit medizinischen Fragen beschäftigen. Trotz mühsamer Arbeit gelang mir auch nicht ein einziger Bekehrungsversuch. Da fing ich an, Sadhus und Hindupriester und die ihnen lauschenden Menschen zu beobachten. Dabei erkannte ich ganz klar, ,Ihr Weg zu Gott führt über Spiel und Tanz’.“ Pater Proksch staunte immer wieder über die Scharen von Zuhörern, die begeistert den Worten und Melodien der Wanderprediger folgten und oft trotz schwerer Tagesarbeit noch halbe Nächte opferten, um zu lauschen. In verstärktem Maße kam ihm zu Bewußtsein, daß der Erfolg der Hindupredigt wesentlich von der Art und Weise der Darstellung abhing. Sie besaß ganz indischen Charakter, darum wurde sie gehört. Er entschloß sich nun, seine christliche Predigt - in indisches Gewand zü kleiden. Sprache und Literatur, Gesang und Tanz Indiens sollten in den Dienst des Apostolates gestellt werden.

Zunächst begann er, westliche Lieder in die Landessprache zu übersetzen und sie zu Melodien zu setzen, welche er den Leuten abgelauscht hatte. Bald aber fing er an, selber Texte und Melodien zu dichten. Einige dieser Lieder wie „Dildą pyare Jesu“ (Jesus, Liebhaber der Seelen), wurden so volkstümlich, daß sie zu den verschiedensten Anlässen gesungen wurden, bei Beerdigungen ebenso wie bei Hochzeiten.

Mit einem Male zeigten sich die Leute aufgeschlossen. Als der Missionsobere nach Jahren auf die Missionsstation zu Besuch kam, wunderte er sich, beim Sonntagsgottesdienst mehr Hindus als Katholiken vorzufinden, die mit Begeisterung die christlichen Lieder sangen. Hindus höherer Kasten fingen an, Pater Proksch einzuladen, um zu ihnen von Christus in indischer Liederform zu sprechen. Selbst in die Großstädte fand diese Predigtform Eingang. In der Kathedrale von Lucknow machte er den ersten Versuch einer Missionswoche mit gesanglicher Predigt. Zu seiner Überraschung kamen viele prominente Inder der Stadt. Auf Einladung der Bischöfe von Nagpur und Jubbulpore führte er auch ähnliche Liedermissionen in deren Diözesen durch. Doch einstweilen verblieb alles noch eine Angelegenheit persönlicher Initiative. Der Bischof von Bangalore riet ihm: „Gehen Sie in dieser Sache mutig voran, aber erwarten Sie vorläufig keine Stellungnahme der Bischöfe!“

Nicht nur indische Melodien sollten dem Evangelium dienstbar gemacht werden, sondern auch der sakrale Tanz. Zur ersten größeren Darstellung biblischer Themen in indischer Tanzform in Bombay kam es anläßlich der Hundertjahrfeier der Erscheinung der Mutter Gottes in Lourdes. Das große Publikum, das sich meist aus Hindus zusammensetzte, nahm das Weihespiel, mit Begeisterung auf. Ein protestantischer Studiendirektor beglückwünschte nachher Pater Proksch zu diesem Werk: „Der Versuch deutet auf einen neuen Weg im christlichen Apostolat hin!“ Von katholischer Seite zeigte man große Zurückhaltung. Es gab sogar Priester und Bischöfe, die solche Anpassungsversuche ablehnten, weil Sie zu einer Verwässerung und Verfälschung der christlichen Religion führen könnten. Andere urteilten positiver.

Einen Umschwung brachte der indische Marianische Nationalkongreß 1959. Kardinal Gracias hatte schon seit langem die Arbeit von Pater Proksch mit Interesse verfolgt und ihre Wirkung auf das Volk beobachtet. Er beauftragte ihn nun, ein marianisches Weihespiel zu verfassen. Das Geheimnis der Gottesmutter sollte auf indische Weise in Musik und Tanz dargestellt werden. Mehrere hundert Tänzer und Sänger boten die biblischen Marienszenen dar und sangen das Lob der Gottesmutter in der indischen Nationalsprache. Unter den Zuschauern befanden sich neben Vertretern der Staatsregierung von Maharashtra (Bombay) auch der heutige Staatspräsident der indischen Union, Dr. S. Radhakrishnan. Nachdem der tosende Beifall verklungen war, trat Kardinal Gracias auf die Bühne und erklärte in tiefer Bewegung: „Es ist einer der stolzesten Augenblicke meines Episkopates, zu erleben, daß wir katholischen Inder christliche Geheimnisse in indischer Form so eindrucksvoll darstellen können. Die begeisterte Aufnahme dieser Aufführung zeigt, wie viele Tausende darüber denken..

Nun war der Zeitpunkt gekommen, systematisch zu planen. Es entstand ein Institut für missionarische Anpassung, ein Ashram nach altem indischen Vorbild, dessen Protektorat Kardinal Gracias übernahm. Neben der Veröffentlichung von christlichen Liedern und christlicher Literatur stellt sich der Ashram die besondere Aufgabe, biblische Inhalte in indischen Tanzdramen zur Darstellung zu bringen.

In der Stille dieses Ashrams, der in einem Vorort Bombays liegt, umgeben von einem Wald von Mangobäumen und Palmen und mit einem großartigen Blick auf die See, entstanden Liederbücher, Dramen, Novellen und Schriften religiösen Inhaltes. Mit der Veröffentlichung eines Liederwerkes „Songs of India“ im April dieses Jahres stieg die Gesamtzahl der Publikationen von Pater Georg Proksch auf mehr als dreißig an. Alle Werke sind in Hindi, der Nationalsprache des Landes, verfaßt. Im gleichen Ashram wurde auch das Eucharistische Weihespiel geschaffen, das auf dem Eucharistischen Kongreß in München zur Aufführung kam und in vielen Städten Europas wiederholt wurde.

Schon bald nach seiner Rückkehr aus Europa, das er als junger Missionar vor 30 Jahren verlassen und seitdem nicht wieder gesehen hatte, trat Kardinal Gracias mit dem Auftrag an Pater Proksch heran, für den Eucharistischen Weltkongreß in Bombay ein großes Weihespiel zu schaffen. Im Gegensatz zu München sollten diesmal alle Künstler von den Katholiken des Landes gestellt werden. Nahezu vier Jahre harter Vorbereitung waren nötig, das gewaltige Ballett zu dichten, die Musik zu komponieren, die 300 Tänzer auszubilden und die Chorstücke mit dem Massenchor von 1000 Sängern einzuüben. Ohne die bereitwillige Mitarbeit hinduistischer Fachleute, die selbst dann treu zur christlichen Sache standen, als sich Proteststimmen von Seiten fanatischer Gruppen gegen den Kongreß und den Besuch des Heiligen Vaters erhoben, wäre diese gigantische Leistung nicht möglich gewesen. Dreimal kam dann das Weihespiel während der Kongreßwoche zur Aufführung, an einer von denen auch der Heilige Vater teilnahm. Nach Abschluß des ersten Teiles kam er begeistert auf die Bühne, um Pater Proksch zu diesem großen Werk zu beglückwünschen. Vor den Augen der nahezu 60.000 Zuschauer überreichte er ihm eine große Medaille, und beim Segen sprach er in Englisch die ermutigenden Worte: „Wir geben Ihnen Unseren ganzen Segen zu allem, was Sie leisten!“

Damit dürften nun die Zeiten vorüber sein, da man diese Form missionarischer Verkündigung als kulturelles Abenteuer belächelte oder gar bekämpfte. Trotz der zunehmenden Aufgeschlossenheit von Seiten der indischen Katholiken für diese Art von Apostolat, kommt es doch immer wieder zu unerwarteten Kritiken. So veröffentlichte vor zwei Jahren ein Missionsbischof hier in Indien ein Büchlein, in welchem er indische Musik und Tanz im Dienste der Verkündigung mit scharfen Worten verurteilt, da man seiner Ansicht nach diese beiden Kunstrichtungen nicht von ihrem hinduistischen Hintergrund lostrennen könne. Der Bischof aber hat die Ehrlichkeit, offen einzugestehen, daß er weder für Musik noch für Tanz Experte ist und ih dieser Arbeit keine Erfahrung besitzt.

Auch wenn die vergangenen Jahre viel an Arbeit, Sorgen und oft auch Enttäuschungen mit sich gebracht hatten, fehlte es doch nicht an freudigen Augenblicken, so anläßlich des 60. Geburtstages im vergangenen Jahr. Unter dem Vorsitz des damaligen Gouverneurs von Bombay, Frau Vijayalakshmi Pandit, der älteren Schwester des verstorbenen Ministerpräsidenten Pandit Nehru, veranstalteten Hindufreunde eine öffentliche Feier, bei der der Gouverneur Pater Proksch in Anerkennung seines literarischen Schaffens in der Nationalsprache Hindi und in indischer Musik eine Festschrift überreichte. zu der bekannte Hindiliteraten Bombays beigetragen hatten.

Immer wieder kann man in indischen Veröffentlichungen die Tatsache betont finden, daß alle großen Religionen der Menschheit in Asien ihren Anlang genommen haben, das Christentum nicht ausgenommen. Manche Autoren gehen sogar so weit, Christus den großen „Yogi“ von Nazareth zu nennen. Für westliche Ohren mag diese Ausdrucksweise befremdend klingen, doch bringt sie einen tiefen Gedanken zum Ausdruck. Christus war zwar nicht Inder, aber das Christentum muß in indisches Gewand gekleidet werden. Die Arbeit von Pater Georg Proksch stellt im Grunde nichts anderes dar als einen Versuch, das Christentum in einer fremden Kultur zu vergegenwärtigen. Bisher blieb das Christentum fast ausschließlich auf westliche Kulturelemente beschränkt, denen man auf Grund der langen Tradition absoluten .Wert beizumessen versucht ist, doch wenn wir zum „Pieroma Christi“ gelangen wollen, von dem der heilige Paulus so ausdrücklich spricht, muß Christus in allen Kultu ren der Erde geboren werden, müssen alle Kulturen der Erde zur Erlösung durch Christus gelangen. Die Offenbarung erging an das jüdische Volk. Die Verkündigung in der griechisch-römischen Welt bedeutete die erste „Inkarnation“ in einer anderen Kultur. Vielleicht ist es notwendig, daß gerade heute Christus in der indischen Kultur „wiedergeboren“ wird, in einer Kultur, die auf eine jahrtausendealte Tradition zurückblicken kann und zu zahlreichen religiösen Bewegungen Anregung gab, welche das Antlitz Asiens grundlegend veränderten. Nach Ansicht des verstorbenen Pater Monchanin, der lange Jahre in Südindien als christlicher Sadhu gelebt hatte, dürfte durch eine solche „Inkarnation“ des Christentums in Indien ein ähnlicher Impuls für Asien zu erwarten sein, wie die Bekehrung Griechenlands ihn für das Geistesleben Europas bedeutete.

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