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Ein Jahr voll Unruhe

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Doch dieser letzte römische Kaiser lebte ja schon in einem gestaltenreichen europäischen Staatensystem. Und hier war das Jahr 1717 voll von Problemen, Schwankungen und Unruhe. Gewiß, der spanische Erbfolgekrieg war 1714 zu Ende gegangen. Es war nicht gelungen, die spanische Krone dem habsburgischen Hause zu erhalten — Ludwigs XIV. Enkel Philipp V. regierte über das Pyrenäenkönigreich und seine überseeischen Besitzungen. Aber die spaniletzte, der sich wirklich als Rechtsund Ideenachfolger der römischen Cäsaren und der mittelalterlichen „Vögte der Kirche“ fühlte. Diese stolzen Erinnerungen waren gewiß auch noch in seinen Nachfolgern lebendig, aber schon vermengt mit den Uberzeugungen moderner Staatsraison. Für ihn selbst spielte jedoch diese Kaiseridee eine noch weit größere Rolle als die fast über Gebühr hervorgehobene Tatsache, daß er den Verlust der spanischen Krone nie völlig verschmerzt hat. Als Reichsoberhaupt hat er stärker als viele seiner unmittelbaren Vorgänger seine Stellung als Rechtswahrer und Schiedsrichter betont. Fast noch deutlicher aber als in seiner Politik zeigt sich der Reichsgedanke Karls VI. in der Kunst seiner Zeit. Diese letzte Form des Barocks hat jeden Überschwang, alles Bewegte und Vordergründige verloren und dafür eine strenge, kühle Sprache von imperialer Herbheit angenommen. Wohl war der Neubau Kloster-neuburgs als Verbindung des Klosters mit dem Palast gedacht, wie es der Escorial war, aber von der Kuppel des nie vollendeten Gebäudes schaut die römische Kaiserkrone über den Sagenreichen Strom, der Österreichs Lebensader ist.sehen Niederlande, Mailand, Mantua, Neapel und Sardinien waren an den Kaiser gekommen, nur die Insel Sizilien hatte zunächst der Herzog von Savoyen-Piemont erhalten. Der Besitz der österreichischen Habsburger hatte seine größte Ausdehnung erreicht, die Vorherrschaft in Italien war stärker als je.

In Frankreich war Ludwig XIV. 1715, kaum betrauert, gestorben. Für seinen kindlichen Urenkel Ludwig XV. regierte der zynische, aber gewandte Herzog Philipp von Orleans. Er mußte sich dem Wiederaufbau nach etwa einem halben Jahrhundert voll kriegerischer Verwicklungen widmen, seine Außenpolitik wandte sich gegen den Verwandten in Madrid, den sein früherer Verzicht auf Frankreich reute, und suchte Anlehnung bei dem England Georgs I., des ersten Weifenkönigs. Dieses Britannien, außenpolitisch geführt von Lord Stanhope, sah die französischen Annäherungen um so lieber, als es sich bemühte, die vordringende Macht Peters des Großen von Rußland zurückzudrängen.

Der große nordische Krieg zerstörte die von dem kriegerischen Dämon Karl XII. vertretene schwedische Großmacht ebenso, wie der spanische Erbfolgekrieg die spanische Großmacht zerstört hatte. Die baltischen Provinzen waren bereits in russischen Händen, Schwedisch-Pommem wurde eben von Preußen erobert, während sich Stanhope anschickte, die britische Flotte in der Ostsee gegen Rußland demonstrieren zu lassen und Karl XII. politisch zu stützen, der jedoch selbst auf einen Ausgleich mit seinem unheimlichen Gegner hinarbeitete. Der britische Minister gewann auch den Kaiser für seine Politik, denn auch Kari VI. fühlte schon die Hand Rußlands bei seinen slawischen Untertanen, obwohl die kaiserlichen Weißröcke eben wieder in siegreichem Vordringen gegen den populärsten ihrer Gegner, die Türken waren.

Die Türkei hatte Venedig den Peloponnes entrissen, der Kaiser hatte eingegriffen, und als Maria Theresia geboren wurde, stand der ruhmvollste Sieg seines größten Feldherrn bevor. Am 18. August 1717 wird der „kleine Abbe“ in einer den Kommentaren Casars abgelauschten Schlacht das türkische Entsatzheer vor Belgrad zerschlagen und am 22. August in die alte Hauptstadt Serbiens einziehen können. Der Friede von Pozarevac am 21. Juli 1718 wird das Banat, einen bosnischen Grenzstrich, Nordserbien und die sogenannte kleine Walachei, also das südrumänische Land westlich des Altflusses, an die Kaisermacht bringen. Auch hier erreichte diese Macht ihre äußerste Grenze.

Sie hätte vielleicht sogar noch weiter hinausgeschoben werden können, wenn nicht eben damals ein Angriff gegen die Ordnung nach dem spanischen Erbfolgekrieg versucht worden wäre. Er ging von Spanien aus, unmittelbar von der ehrgeizigen Königin Elisabeth Farnese, die den passiv gestimmten Philipp V. völlig beherrschte, und ihrem ebenfalls aus Italien stammenden Minister Giulio Alberoni. Der energische Diplomat entfaltete eine den ganzen Erdteil umfassende Tätigkeit, um die verlorenen italienischen Nebenländer zurückgewinnen. Da er in England seinen Hauptgegner erkannte, suchte er Schweden und Rußland für einen Angriff gegen das Inselreich zu versöhnen, trat auch mit den Anhängern der entthronten Stuarts und den ungarischen Unzufriedenen in Verbindung und vereinbarte gemeinsames Vorgehen mit dem Herzog von Savoyen und König von Sizilien Viktor Amadeus, dem er für Sizilien Entschädigung versprach. Die Spanier eroberten 1717 Sardinien und Sizilien, aber der Kaiser, England und Frankreich vereinigten sich zur sogenannten Quadrupelallianz, die kein wirklicher Viererbund war, da Holland den Beitritt nicht vollzog.

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