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Ein Jubilaum der Kurzschrift

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Die Stenographie hat in den letzten Jahrzehnten einen ungeahnten Aufschwung genommen. Eine Reihe von Berufen ist ohne sie heute nicht mehr denkbar, in der Schule, im Büro, in der Kanzlei ist sie eine bewährte Helferin und Mittlerin geworden, und selbst in der Gelehrtenstube hilft sie, bei wissenschaftlichen Forschungsarbeiten den Weg zwisdien den Erkenntnissen und ihrer Festlegung zu verkürzen. Ihre Ausübung und Verwertung ist heute von großer volkswirtschaftlicher Bedeutung.

Interessant ist es, dem Werden der Kurzschrift nadizuspüren, denn es herrsdien darüber vielfach völlig falsche Vorstellungen. Man hält die Stenographie für eine Erfindung der letzten Jahrzehnte; daß sie sich aber bis in einige Jahrhunderte vor Christus verfolgen läßt, ist nicht allgemein bekannt.

Ein Bruchstück einer Marmortafel, das 1883 auf der Akropolis gefunden wurde und aus dem vierten vordiristlichen Jahrhundert stammt, enthält die Anleitung zu einer hochentwickelten griediischen Silbenkürzungsschrift auf geometrischer Grundlage. Eine Reihe anderer Fundstücke, wie die „Delphische Konsonantentafel“, der „Grabstein von Asteris“, Papyrusblätter, Wachstafeln (Rainersammlung in Wien) und weiter die Codices vaticanus, parisinus, laurentia-nus, die „Nonnus-Glosse“ und andere mehr, sind uns Quellen für die damals weitverbreitete griechische Tachygraphie. Von den Griechen hat T i r o, ein römischer Freigelassener und Begleiter Ciceros, die Idee ler Kürzungsschrift übernommen. Er hat ien römischen Majuskeln Abkürzungen für :anze Wörter geschaffen — man nennt sie iie „Tironischen Noten“ — und diese feststehenden Zeichen — es moditen einige Pausende gewesen sein — bei der Nieder-xhrift von Reden und Sdiriften Ciceros verwendet. 63 vor Christi ist er mit seiner “vurzschrift bei der Senatsverhandlung anläßlich der catilinarischen Verschwörung zum erstenmal vor die Öffentlichkeit getreten. Im Mittelalter scheint die kurz-schriftliche Betätigung gering gewesen zu sein. Wir wissen nur von den „Geschwindeschreibern“ Curziger, Roth und Rörer, die in der Reformationszeit die Tischreden und Predigten Luthers und dessen Streitgespräche mit Dr. Eck mitschrieben. Reste lieses ' damaligen Abkürzungsverfahrens .'können wir in heute noch gebräuchlichen Abkürzungen tikennen, wie R. I. P.!, sen., jün., Dr., ca., m. p., etc. In England hatten die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse eine weite Verbreiterung der Stenographie schon im 16. Jahrhunden ermög-üdit. Ihren Ursprung fand sie in den „charactery“ (das heißt den „Zeichen“) des Londoner Arztes Thimoty Bright, die dieser 1588, dem glanzvollen Jahr englirdier Ge-chichte, erscheinen ließ. Durch diese Steno-gtaphie sind uns die Dramen Shakespeares erhalten geblieben. Fleute herrscht in England das System von Pitman vor, in Frankreich das System Duploye\

Im deutschen Sprachgebiet hat die Stenographie erst durch das System Gabelsbergers Bedeutung und Verbreitung gefunden. Dieser schlichte Münchner Beamte (Franz Xaver Gabelsberger lebte von 1789 bis 1849) hat durch seine intensive Beschäftigung mit Kalligraphie, Lithographie, Sprachwissenschaft, Mnemotechnik und mit der Aufstellung und Dechiffrierung von Geheimschriften gefunden, was dem Wesen einer deutschen Kurzschrift am meisten entspricht. Alle nach ihm erfundenen Systeme ruhen auf diesem Fundament. Seine Kurzschriftmethode ist außerdem auf fast alle Sprachen übertragen worden. Wer Gabelsbergers umfangreiches Buch „Anleitung zur Deutschen Redezeichenkunst oder Stenographie“, das er 1817, also vor nunmehr 130 Jahren, begann und 1834 vollendete, durchblättert, ist ergriffen von der Hingabe des Meisters an sein Werk. Von den 420 Seiten des Buches sind 366 von Gabelsberger eigenhändig geschrieben und lithographiert. Die Ausgeglichenheit und Regelmäßigkeit, kurz die Schönheit seiner Handschrift, ist bestechend. Gabelsbergers Stenographie ist die erste kursive Kurzschrift überhaupt. Er führte geniale Grundsätze, wie Verbindung aller Schriftzüge im Wortbild, Pendelbewegung der Hand beim Schreiben, einheitliche Richtung aller Schriftzüge und anderes in die Kurzschrift ein.

In Österreich unterrichtete schon 1801 bis 1804 Generalmajor Danzer an der Theresianischen Militärakademie in Wiener Neustadt ein eigenes Kurzschriftsystem. Es ist heute bereits gänzlich in Vergessenheit geraten. Die stenographische Betätigung in Österreich wurde erst durch Professor Ignaz Jakob Heger auf eine breite Basis gestellt. Schon 1839 erlernte er das Gabelsbergersystem, von dem er so begeistert war, daß er es bald an unzählige Schüler weitergab. 1842 erhielt er die Erlaubnis, auf dem Bauernmarkt in Wien eine Privatsdiule zu gründen und unterrichtete 1844 zum erstenmal auf dem akademischen Boden der Wiener Universität die Stenographie, 1849 auch am Theresianum in Wien. Mit 16 seiner besten Schüler, darunter Professor Conn und Dr. K r a t k y, gründete er 1849 ein Stenographenbüro zur Aufnahme der Verhandlungen des Reichstages. Auch die Gründung (1S47) des „Zentralvereines der Stenographen des österreichischen Kaiserstaates zu Wien“, der sich dann später „Gabelsberger Stenographenzentralverein“ nannte, ist sein Werk. Der Kreis der Gabelsbcrger-Anhänger in Österreich wurde immer größer. In zahlreichen Städten Österreichs begann man mit dem Stenographieunterricht. Mit der Errichtung ' der Prüfungskommission für das Lehramt der Stenographie 1860 in Wien begann die staatliche Pflege der Kurzschrift in Österreich. Es folgten die Prüfungskommissionen in Lemberg, Prag, Innsbruck und Graz. An den Mittelschulen wurde die Stenographie 1871 als Freigegenstand zugelassen und fand da-'mit offiziell Eingang in die öffentlichen Schulen. Die Gabelsbergerschrift errang das Schulmonopol. An Handelssdiulen erreichte die Stenographie zuerst den Grad eines Pflichtfaches, und zwar schon 1882, schließlich wurde sie auch an den damaligen Bürgerschulen zugelassen (1S88).

Die Entwicklung der Gabelsberger-Schule hatte damit ihren Höhepunkt erreicht. Deutliche Anzeichen verrieten, daß der weitere Weg abwärts führen werde. Im Lager Gabeibergers wurden Stimmen laut, die immer gebieterischer Änderungen am System verlangten. Man schied sich in drei Gruppen, die in München, Dresden und Wien ihren Hauptsitz hatten. Immer höher schlugen die Wogen des Systemkampfes, als auch noch eine Reihe anderer Erfinder mit ihren Schriften auftraten. Die bedeutendsten unter ihnen waren Karl F a u 1 m a n n, der in Wien seine zweite Heimat fand, und die Norddeutschen Stolze und S ch r e y. Nun war es ein Wiener, Professor B r a b b i e, der zur Einigkeit aufrief und 1900 die Schaffung einer. Einheitskurzschrift vorschlug. Zwar wurde sein Antrag mit Entrüstung abgelehnt, aber das Verlangen, mit einer Einheitskurzschrift all den Streitigkeiten endlich ein Ende zu bereiten, wurde stark genug, so daß auf dem allgemeinen Stenographentag 1906 in Eisenach die Einsetzung eines Sachverständigenausschusses, der die Grundlage für eine deutsche Einheitskurzschrift schaffen sollte, genehmigt wurde. Die Verhandlungen zogen sich bis 1924 hin. Endlich, am 17. Oktober 1924, wurden die Regeln der Deutschen Einheitskurzsdirift in einer Urkunde niedergelegt, die aus den Arbeiten der Vertreter der Schulen Gabelsberger, Stolze, Schrey, Faulmann, Arends, Brauns, Roller, der Nationalstenographie und der Steno-taehygraphie hervorgingen. Professor Brab-bee führte die Umstellung auf die DEK in

Österreich 1925 an der Universität und am Pädagogischen, Institut durch und bereits im Schuljahr 1926/27 wurde die DEK an allen österreichischen Schulen eingeführt. Die Urkunde der DEK wurde überarbeitet und ist in der Form vom 30. Jänner 1936 auch heute noch in Österreich vorgeschrieben. Soweit bis jetzt bekannt ist, hat man diese Urkunde auch in Deutsdiland beibehalten.

Durch die Einführung der Einheitskurzschrift (jetzt amtlich nur mit „Kurzschrift“ bezeichnet) wuchs die Zahl der Stenographierenden von Jahr zu Jahr erheblich an. Derzeit wird die Kurzschrift an zahlreichen Schultypen von der Grundschule bis zur Hochschule gelehrt und durch eine besondere Vereinigung, den „Stenographenbund Österreichs“, der Kurse, Wettschreiben, Preisrichtigschreiben und anderes mehr veranstaltet, auf breiter Basis gefördert. Die Stenographie hat aber auch in den anderen Ländern der Erde ihren Siegeszug angetreten, es gibt heute kein Land der zivilisierten Welt ohne Stenographie. Zu dieser Entwicklung hat Österreich einen bedeutenden Beitrag geleistet. Außer Danzer, Heger, Markovits, Faulmann, Leinner, Noe, Engelhard, Posener, Riedl, Riegler, Himmelbauer, Professor Conn, Dr. Kratky und Brabbee wären noch unter den berühmten österreichischen Stenographen Zepliahal, Kühnelt, Dr. Plascller, Professor Schiff, Professor Sdireibcr, Regierungsrat Kramsall, Direktor Weizmann, Bezirksschulinspektor Jahne, Landesschulinspektor Doktor Kummer und Direktor Karl Czerny zu nennen.

Gabelsberger sagte einst:

„Idee und Wort im Flug der Zeit ans Räumliche zu binden, sucht' ich in ernster Tätigkeit ein Mittel zu ergründen ...“ Es ist daraus mehr geworden, als er w^hl selbst ahnen konnte, nämlich: ein Triumph des Geistes über die Materie!

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