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Ein politisch organisierter Kontinent
Die Kommission ist sich dessen besonders bewußt, hat sie doch in ihrer Erklärung vom 1. Juli den Mut gehabt, die Bedeutung für Europa zu betonen, sich baldmöglichst mit Organen zu versehen, die ihm ermöglichen, „ein politisch organisierter Kontinent zu werden“, und zwar mit Hülfe von Institutionen, „die ihm die Handlungsfähigkeit geben“ und ihm gestatten, das zu werden, was die Erklärung Robert Schumans vom 9. Mai 1950 den „europäischen Bund“ nannte. Dazu, fügt die Kommission hinzu, „ist es nicht nur nötig, daß Europa echte Bundesinstitutionen hat, sondern auch, daß es sich vereint und daß zu dem Kern des Europa der Sechs die übrigen Länder Europas kommen, die bereit sind, dieselben Rechte und dieselben Pflichten zu übernehmen“.
Es mangelt nicht an Beispielen, welche die feste und entschlossene Haltung illustrieren,’ die die Kommission in letzter Zeit eingenommen hat. Im europäischen Parlament hat Jean Rey beispielsweise anläßlich emer mündlichen Anfrage von Habtb Deloncle im Namen der gaullistischen Gruppe Wert auf die Feststellung gelegt, daß die europäischen Kommissare ihre Persönlichkeit und ihre Ansichten besitzen und daß sich der Vorsitzende der Kommission nicht als Schulmeister betrachtet, der „die kleinen Jungen zur Ruhe anzuhalten“ hat.
Deutsche Initiative
Die Bundesrepublik Deutschland verfolgt sehr aufmerksam die mögliche Entwicklung der Gemeinschaft auf politischem Gebiet. Das Problem des „politisch geeinten Europa“ wurde mit zwei Tagen Abstand zweimal von Kanzler Kiesinger aufgeworfen. Dieser möchte sich die Begegnung, die ihn im Monat September mit General de Gaulle zu sammenführen soll, zunutze machen, um in dieser Sache zu plädieren. Die Ergebnisse der französischen Wahlen haben die Regierung des General de Gaulle auf mehrere Jahre in ihrer Kontinuität bestätigt. Von einem Regierungswechsel in Frankreich eine Wandlung der Europapolitik zu erwarten, erscheint nunmehr völlig vergeblich.
Deutschland aber gibt sich nicht mit einer gewissen europäischen Stagnation seit dem letzten Treffen der Staats- und Regierungschefs der sechs Länder am 30. und 31. Mai 1967 in Rom zufrieden. Deutschland fürchtet einen großen Handel zwischen der UdSSR und den USA. Es möchte daher, daß sich schrittweise eine Solidarität institutionalisiert, die ihm ermöglicht, in Europa den ernsten Problemen der Nichtweiterverbreitung der Atomwaffen, der Ost-West-Beziehungen und einer friedlichen europäischen Regelung nicht allein gegenüberzutreten.
Gewiß wäre es illusorisch, in einem Dialog mit de Gaulle mit dem Vorschlag einzutreten, neue supranatio nale Organisationen zu akzeptieren, aber Kanzler Kiesinger ist der Meinung, daß unter den Sechs ein Mittel gefunden werden müßte, „sich von Zeit zu Zeit über die Möglichkeit zu verständigen, sich gegenüber den Weltproblemen solidarisch zu verhalten“. Für den Mann, der die Hauptverantwortung für die deutsche Politik trägt, hätte ein erneuter Versuch heute gute Aussichten, sich zu lohnen.
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