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Ein Republikaner lobt seinen Monarchen

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Der berühmte Nationalökonom und Soziologe Albert S c h ä f f 1 e hat, fern seiner Heimat Württemberg, in Österreich eine bedeutende Rolle gespielt. Er hat nach dreijähriger erfolgreicher Lehrtätigkeit an der Wiener Universität nicht nur acht Monate die beiden Ministerportefeuilles für Handel und Ackerbau als Mitglied der zwar nur kurz amtierenden, aber großzügigen Regierung Hohenwart in einer Hand vereinigt, sondern war auch die Seele des von dieser Regierung bis zur Vollendung ausgearbeiteten, denkwürdigen Ausgleichswerkes mit Böhmen; unter dem Namen der „Fundamentalartikel“ ist dieses bedeutsame Konzept in die Geschichte eingegangen, wenn es auch im letzten Augenblick an der Übermacht der ausgleichsgegnerischen Elemente gescheitert ist.

Schäffle war theoretisch eher republikanisch eingestellt, vertrat jedoch die Ansicht, daß speziell für die mitteleuropäischen Länder und Völker die monarchische Staatsform besser geeignet sei und namentlich die österreichische Dynastie eine besondere, völkerversöhnende Mission zu erfüllen habe.

Trotz seiner sehr reservierten Haltung gegenüber der monarchischen Staatsform und trotz der Enttäuschungen, die er hier durch die Intrigen seiner übermächtigen Gegner erlebte, äußerte er doch große Bewunderung und Verehrung für die Herrschertugenden und den vornehmen Charakter Kaiser Franz Josephs, ohne gewisse Hemmungen zu verkennen, die sich zum Leidwesen des Monarchen selber und seiner Völker in kritischen Momenten bei ihm geltend machten.

Schäffles Gesamturteil bleibt so ehrenvoll und inhaltsschwer, daß wir glauben, angesichts der in den letzten Jahren neu veröffentlichten Literatur, die markantesten Stellen über die Person Franz Josephs aus Schäffles Buch „Mein Leben“ in Erinnerung bringen zu dürfen.

Im Herbst 1868, nach seiner Berufung an die Wiener Universität, schreibt er: „Den gewinnendsten Eindruck erhielt ich in der kurzen Meldungsaudienz jetzt schon von Kaiser Franz Joseph, der mit wenigen Worten meiner für Österreich bewährten Gesinnung schlicht, aber wohlwollend gedachte.“ (Seite 153.)

Im Frühjahr 1871 schreibt er am Beginne seiner Ministertätigkeit: „In diesen ersten schweren Wochen war das Verhalten des Kaisers bezaubernd. Bei jeder amtlichen Audienz ermunterte er und bezeugte er sein unbedingtes Vertrauen zum Ministerium. Jede Stunde konnte man das Ohr des Monarchen haben, für einen Minister die erste Vorbedingung der Schaffensfreude und des sicheren Auftretens.“ (Seite 229.)

Eingehender äußert er sich auf Seite 237 des ersten Bandes seiner Erinnerungen: „Wahrhaft erquickend war namentlich der gerufene, ordentliche, wie der er betene, auch stets sofort gewährte außerordentliche Vortrag bei dem Kaiser und dann ganz besonders die Spezialberatung mit ihm. Sein Ohr war für bedeutende Sachen immer zu haben, und namentlich gegen andrängende Korruption in großen Konzessionsangelegenheiten konnte man seiner sicher sein. Er prüfte gewissenhaft, sprach auch über Kleines, namentlich wenn es militärische Dinge betraf, aber nie pedantisch; immer aber war er sachlich und wohlwollend. Den Einzelvortrag nahm er stehend im einfachen Militärüberrock entgegen. Dem Minis'--rat präsidierte er in Generalsuniform. Y.'ar er über irgend etwas bewegt, konnte man es stets daran merken, daß er die Unterbeine gegeneinander schlug. Franz Joseph war eine vornehme und doch wieder überaus einfache, fast bescheidene Persönlichkeit. Zog sich eine Konferenz länger bis in den tiefen Abend hin, so nahm er zwischen-hinein wohl ein Souper auf dem Arbeitstisch ein und trieb seinen Sohn Rudolf, wenn dieser es nicht erwarten konnte und eindrang, liebkosend ins Vorzimmer hinaus.

Schon nach den ersten Konferenzen vor und nach dem Amtsantritt konnte ich nicht umhin, den Kaiser als den g e-wissenhaftesten und fleißigsten Staatsdiener seines ganzen Reiches zu verehren. Der Kaiser bekümmerte sich um alles Bedeutende. Man brauchte nur die Bitte um eine Spezial-audienz in die Hofburg zu senden, so kam gewiß nach höchstens zwei Stunden der Burggendarm angeritten und meldete, der Kaiser lasse ersuchen, sofort im gewöhnlichen Anzug zu erscheinen. Er prüfte ganz selbständig, aber er wollte nie irgend etwas voraus besser verstehen. Er wurde daher selbst nicht betrogen oder hintergangen, und der Minister konnte mit Sicherheit den vom Kaiser gebilligten Zielen nachgehen. Kaiser Franz Joseph hat wenigstens in dieser Hinsicht das persönliche Regime in idealer

Weise geübt. Auch den höchsten Hof Würdenträgern gegenüber behandelte er die Minister als seine ,Diener erster Ordnung“, und lebhaft steht es noch im Gedächtnis vor mir, wie nach dem ersten Ministerrat des Kabinetts Graf Hohenwart ,im Sinne des Kaisers' ein völlig unabhängiges Benehmen den Hofchargen gegenüber empfahl.“ (Seite 237 und 238.)

Im zweiten Band, Seite 69 und 70, entwirft Schäffle noch ein allgemeines Bild über die Persönlichkeit des Kaisers: „Kaiser Franz Joseph lebt, bis heute in meinem Gedächtnis als ein überaus gütiger Herr, als einer der fleißigsten Arbeiter seines Reiches, als einer der wohlwollendsten und persönlich anspruchslosesten Menschen, als liebender, nur nicht immer starker Vater seiner bunten und unvergleichlich schwer zu regierenden Völkerfamilie. Ich zählte die Stunden persönlichen Zusammenarbeitens vor und nach dem Amtsantritt des Ministeriums Hohenwart — Stunden, in welchen ich die leichte Auffassung und die enorme Sach- und Peräonenkenntnis im einzelnen, vor allem die persönliche Liebenswürdigkeit erfahren durfte — nicht bloß zu den interessantesten, sondern zu den gehobensten und schönsten meines Lebens.

Dem Kaiser von Österreich habe ich zwar nicht mit jener .Loyalität' gedient, welche .... nie meine Sache irgendwo und irgendwann gewesen ist, dennoch habe ich nie aufgehört, den Kaiser als Menschen auf das innigste zu verehren. Dem Kaiser Franz Joseph ist von jenem idealistisch-realen Zug zu einem größeren, das einzelne nüchtern in sich fassenden, nach Umständen doch immer auf das Ganze ausschauenden Handeln — nach von mir empfangenen Eindrücken — nicht viel angeboren worden. Bei solchen Anlagen kommt man leicht zum Leben von der Hand in den Mund, zum Sichabfinden mit dem, was jeder Tag bringt, und selbst beim einzelnen, wenn es nicht geht, zum Experimentieren und baldigem Wiedernachlassen nach erstem ungeduldigem Anfassen. Das wurde, wie es scheint, mehr und mehr eine Neigung des Kaisers. Wenn ein Monarch nach seiner Individualität ausdauernden Ehrgeiz für das Große im kleinen und für das Ganze im einzelnen nicht besitzt, war er in Österreich, namentlich im Österreich der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts, dem Arbeiten von Fall zu Fall so stark ausgesetzt, daß er der Gefahr eines Naturells, wie des geschilderten, fast unterliegen mußte. Jeder Tag hat und hatte für dieses Österreich eine besondere und immer wieder eine andere Plage, und auf den Kaiser stürmte alles Besondere ein. Wenn ihm dabei vieles mißlang, so wird es die Folge seiner von jehen Wechseln und vitalen Aufgaben aller Art bedrängten Individualität gewesen sein. Am schwersten litt vielleicht Kaiser Franz Joseph selbst unter dieser Folge. Er hat sich einmal gegen mich halb scherzend und doch bitter ernst geäußert: ,Ich bin ein Pechvogel.' Auch seine Völkerfamilie hat ihm das Leben nicht leicht gemacht!“

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