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Ein „Romagnole aus Irrtum“
In dem Dorf Brisighella in der Romagna lebt „der einzige Cicognani, der nicht Kardinal wurde“. Der ro- magnolische Witz, sonst viel schärfer pointiert, zeigt sich hier von der gutmütigeren Seite. Der dritte der Brüder Cicognani trägt nicht das Priesterkleid und würde niemals aus seiner Anonymität herausgetreten sein, wenn die beiden anderen, der achtzigjährige Gaetano und der „erst“ 78jährige Amleto Giovanni Cicognani nicht den Kardinalspurpur trügen. Amleto, der Jüngste, hat es zugleich am weitesten gebracht: In einem Handschreiben hat ihm Papst Johannes XXIII. kürzlich mitgeteilt, daß er ihn zu seinem Staatssekretär bestimmt habe. Als Amleto Giovanni Cicognani am 15. Dezember des Jahres 1958 Kardinal wurde, bedeutete das eine nicht geringe Überraschung. Nicht etwa, weil Seine Position und sein Ansehen diesem Rang nicht entsprechend gewesen wären, sondern weil die Ernennung dem Kanon 232 des Codex Juris Canonici widerspricht, in dem festgesetzt wird, daß nicht zwei Blutsverwandte ersten und zweiten Grades zu gleicher Zeit dem Heiligen Kollegium angehören dürfen. Natürlich steht dem Papst, von dem das Recht ausgeht, auch zu, eine derartige Bestimmung außer Kraft zu setzen. Im übrigen entspricht sie keineswegs alter Tradition, geht sie doch erst auf den Kardinalstaatssekretär Pietro Gasparri zurück.
Die Aufnahme in die oberste Ratsversammlung der Kirche bedeutete aber auf jeden Fall eine außerordentliche
Gunstbezeugung seitens des Papstes, der die Persönlichkeit und das Werk des langjährigen Delegato Apostolico in den Vereinigten Staaten zu schätzen wußte. Mehr als ein Vierteljahrhundert hat Amleto Giovanni Cicognani den
Papst beim Episkopat der nordamerikanischen Union vertreten, so lange, daß ihn seine Diplomatenkollegen im Staatssekretariat scherzhaft den „Rele- ; gato Apostolico" nannten. Johannes XXIII. hat ihn 1958 an die Kurie gerufen und jetzt an seine Seite, als seinen engsten Mitarbeiter und Helfer. Mit dem Wort „Berater“ muß vorsichtig umgegangen werden; Pius XII. war es so wenig um den Rat seiner Beamten zu tun, daß er nach Magliones Tod keinen Staatssekretär mehr ernennen wollte, vor allem auch, weil er der Verlegenheit ausweichen wollte, daß ein solcher eine andere „Linie"
verfolgen könnte als er selbst. Nicht alle von den höchsten Beamten der Kurie haben jene politische Zurückhaltung gezeigt wie der Kardinalstaatssekretär Eugenio Pacelli, der, solange er den Posten innehatte, keine andere Politik als die des Papstes Pius XI. sekundierte. Nicht immer, wie gesagt, haben sich Staatssekretäre an diese Maxime gehalten, und dann kam es stets zu Konflikten, die manchmal politischer, manchmal auch bloß psychologischer Natür sein konnten: Lambruschini, Rampolla, Merry del Val und Gasparri selbst sind Beispiele dafür, und Papst Pacelli dürfte sie sich vor Augen gehalten haben.
Offensichtlich hat Johannes XXIII. derlei Bedenken nicht; als er Amleto Cicognani berief, tat er dies in dem Bewußtsein, daß dieser Mann ihm am treuesten bei der Erreichung der Ziele behilflich sein würde, die er sich gesetzt hat, voran bei der Vorbereitung des Konzils. Der Posten des Staatssekretärs ist nach dem plötzlichen und tragischen Tod Domenico Tardinis nur einige Tage lang vakant geblieben - ein Zeichen, wie sehr es Papst Ron- calli daran gelegen war, die Lücke zu schließen. Johannes XXIII. ist mit allen seinen Gedanken beim Konzil, und nicht einen Augenblick will er die Mitarbeit seines qualifiziertesten Helfers missen. Daß auch er keinen „Berater“ suchte, zeigen seine wichtigsten Entscheidungen, die immer, wie die Einberufung des Konzils, wie die Ernennung der Staatssekretäre, ganz ohne die Meinung anderer zu hören, getroffen worden sind.
Ein „atlantischer“ Staatssekretär?
Aus diesem Gründe ist die Ernennung Cicognanis in den Kreisen der Kurie ein wenig überraschend gekommen, obwohl sein Name in allen
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