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Ein Tiroler in Rom

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1.

In den ersten Järinertagen war es in Rom geradezu frühlinghaft, und ich wanderte von der Piazza di San Silvestro durch kleine Gäßchen hinüber zur Piazza Navona. Nach wenigen Schritten stand ich dann vor Santa Maria dell’Anima und ihrem Kolleg — mit dem Campo Santo und dem Collegium Germanicum die dritte geistliche Stiftung, an die sich das kirchliche Leben der deutschsprachigen Katholiken in Rom lehnt. Unter Deutschen wird alles Deutsch redende Volk aus den Ländern des alten Heiligen Römischen Reiches verstanden, und so steht diese Stiftung nicht allein unter der Obhut Oesterreichs als Nachfolger des letzten habsburgischen Kaisers, welche Dynastie das deutsche Reichserbe weiter hütete, sondern gehört auch Deutschland, den Niederländern, Belgiern und Schweizern in geistigem Sinn.

Nicht zufällig lenkte ich meine Schritte an diesem schönen Tag zur Anima: Vor 500 Jahren, am 2. März 1459, wurde zu Utrecht der letzte deutsche Papst geboren, Hadrian VI., der in Santa Maria dell’Anima seine , letzte Ruhestätte gefunden hat und dessen Grabmal im Chor die Inschrift trägt: „O Schmerz! Wieviel liegt doch daran, in welche Zeiten auch des trefflichsten Mannes Fähigkeiten fallen!” Noch so manches trefflichen Mannes Erinnerung tritt hier ins Gedächtnis, so des um die Anima verdienten Kardinals Enckevordt aus Maastricht, den Hadrian VI. kreiert hat; des schweizerischen, so deutschbewußten Kardinals Matthäus Schinner, der die päpstliche Schweizergarde begründete; des Brixner Fürstbischofs Kardinal Andreas von Oesterreich, des Kardinals Otto Truchseß von Augsburg und des großen Vorkämpfers der katholischen Restauration im Rheinland, des vor 400 Jahren, 1559, verstorbenen Kardinals Johannes Gropper. Den zahlreichen Grabdenkmälern aus dem 16. Jahrhundert reihen sich viele späterer Zeit an, und alle beweisen, daß Santa Maria dell’Anima wahrhaft Heimstätte der ganzen deutschsprachigen Welt durch die Jahrhunderte gewesen ist. Unter der Orgėl aber ruhen die sterblichen Ueberreste der in Italien im ersten Weltkrieg verstorbenen österreichischen Kriegsgefangenen in einer Krypta. Lange Zeit war hier die Begräbnisstätte der deutschen Zünfte und Brüderschaften zu Rom.

Schließlich stand ich vor dem schlichten Grabmal des letzten Toten, der in der Krypta der Anima seine Ruhestätte gefunden hat, des am 7. März 1859 verstorbenen Rektors’ der deutschen Nationalstiftung Santa Maria dell’Anima, Dr. Alois F1 i r, und ich las an der Platte am letzten linken Pfeiler die Inschrift:

Um an der Grabstätte von Alois. Flir zu stehen, war ich zur Anima gegangen. Ich wollte dort gewesen sein, ehe in der Heimat zum hundertsten Todestag Bild und Leistung dieses großen Tirolers lebendig in Erinnerung gerufqn wird. Die Anima selbst wird am Todestag mit einem Gottesdienst, im Herbst aber mit einer Feier ihren Erneuerer ehren.

2.

Im späteren 15. Jahrhundert muß die Bevölkerung von Rom überaus gemischt gewesen sein, denn jeden Kardinal umdrängten seine engeren Landsleute. Die Kurie selbst war ja keineswegs vorwiegend mit Italienern besetzt, und in vielen Berufen überwogen Ausländer. Deutsche — darunter verstand man alle, die aus den Ländern des römischen Kaisertums stammten — gab es vor allem unter den päpstlichen Soldaten, aber auch in vielen Handwerkszweigen, besonders unter Bäckern und Herbergswirten. Ein Soldat des päpstlichen Heeres, Jan Peter von Dordrecht, und seine Frau Katherina aus dem Bistum Utrecht, hatten 1386 mehrere Häuser in der Via Mallini der Kirche „Unsere Liebe Frau der Deutschen”, Beata Maria Teutonicorum, gestiftet. Mit der päpstlichen Bestätigung am 9. November 1399 war sozusagen der Grundstein für die deutsche Nationalkirche der Anima gelegt. Was später dazutrat, war nur die Weiterführung und Vervollkommnung dieser ersten Stiftung. Die tatkräftige Persönlichkeit des Kurialprälaten Dietrich von Niem aus der Diözese Paderborn erlangte am 20. Juni 1406 die Erhebung der Privatstiftung des Dordrechters zu einer allgemeinen deutschen Nationalanstalt unter dem besonderen Schutz des Apostolischen Stuhles.

Das lebhafte Interesse der Heimat und der in Rom lebenden Deutschen führte bald zur Errichtung einer gotischen Kirche an Stelle der bisherigen Kapelle — ehr als 3000 Unterschriften im Bruderschaftsbuch der Anima zeugen von der Opferfreudigkeit —, und dank der Baulust der Renaissance kam es dann zum Bau der heutigen, in der Barockzeit umgeformten Kirche. Der Zeremonienmeister des Papstes, Burckhardt von Straßburg, der auch die Leitung des Nationalhospizes damals hatte, faßte mit den führenden Persönlichkeiten der deutschen Kolonie an 24. September 1499 den Beschluß zum Neubau Zu dessen Förderern zählten jene, deren Grab mäler wir erwähnt haben, aber auch die reichs unmittelbare Abtei Farfa, der Deutsche Ritter orden, Fürstbischof Melchior Copis von Brixei und viele andere. „Templum beatae virginis di Anima hospitalis Teutonicorum” steht seit 1514 an der Fassade und bringt mit voller Deutlich keit den nationalen Charakter des Gotteshaus zum Ausdruck.

Eine schwere Schädigung für Kirche und Stif tung brachte die Besetzung Roms 1798 in dei napoleonischen Zeit durch französische Soldaten In der Folgezeit waren mehr die dort lebenden italienischen Kleriker Nutznießer, und 1849 verfügte die römische republikanische Regierung die Schließung der Anima. Erst die Drohung des württembergischen Geschäftsträgers von Kolb mit der Intervention der 32 Staaten des Deutschen Bundes ermöglichte ihre Wiedereröffnung. Die unerläßliche Reform der Stiftung aber erfolgte erst, nachdem Kaiser Franz Joseph als Patronatsherr den Tiroler Alois Für 185 3 zum Rektor der Anima bestellt hatte.

3.

Wer war dieser Alois Für? Er war einer jener überragenden Persönlichkeiten, an denen Tirol im vorigen Jahrhundert so reich war und die das Interesse auf dieses Bergland im Herzen Europas damals so lenkten wie vorher 1809 der Freiheitskampf unter Andreas Hofer und heute die Schönheit der Landschaft und sein Beitrag zur Freiheit durch das Ringen um die Autonomie.

Im Landecker Ortsteil Angedair wurde Alois Für am 7. Oktober 1805 geboren. Seine Kinderjahre fielen in die erregende Zeit des Tiroler Freiheitsstrebens. Im Geburtsjahr wurde Tirol nach 442 Jahren Zugehörigkeit vom Haus Oesterreich getrennt, im Heldenjahr .1809 wurde Fürs Familie durch den Tod der Mutter schwer betroffen, der Volksschüler erlebte 1813 das Ende der Fremdherrschaft und die Heimkehr und Wiedervereinigung Tirols. Dieses nationale Erlebnis hat seine deutsche Gesinnung zeitlebens mitbestimmt. Erst im Herbst 1820 fand der Fünfzehnjährige Aufnahme im Benediktinergymnasium Meran, wo er aber wegen einer Rauferei das Consilium abeundi erhielt und in Brixen den Schulbesuch fortsetzen mußte. Den Primus seiner Klasse führte dann der Studiengang 1824 ans Lyzeum in Innsbruck. Hier fand er Anschluß an die literarischen und strebsamen Kreise des jungen Ti ol und machte selbst dichterische Versuche. Als er 1826 das Studium abschloß, machte ihm die Berufswahl Schwierigkeiten. Er nahm eine Hofmeisterstelle in Wien an und studierte nebenbei Medizin und las vielerlei, besonders alte Sprachen und Philosophie. Am Quatemberfreitag 1829 zeitigte eine Predigt des berühmten Emanuel Veit seinen Entschluß, Priester zu werden. Nachdem er seit Herbst 1829 in Wien mit seinem Freunde Georg Schennach Theologie gehört und auch mit Anton Günther Beziehung angeknüpft hatte, wandte er sich 1831 nach Brixen, wo er am 28. Juli 1833 die Priesterweihe empfing.

Mit den regsamen Kreisen Tirols, besonders Innsbrucks, in enger Fühlung, dichtete und philosophierte er. Noch im letzten theologischen Studienjahr machte er das Examen für die Lehrstelle der klassischen Philosophie und Aesthetik. Zunächst aber arbeitete er bei Dekan Johann Josef Duille und dann als Kaplan in See in Paznaun, aber schon am 7. August 1835 wurde der Dreißigjährige zum Professor der klassischen Philologie und Aesthetik in Innsbruck bestellt. Nachdem er 1838 auch das philosophische Doktorat erworben hatte und seit 1836 auch am Landesmuseum Ferdinandeum als Kustos, Sekretär und seit 1842 als Kurator tätig war, amtete er 1840/41 als Dekan der philosophischen Fakultät und 1842/43 als Rektor magnificus. Neben seinen gehaltvollen Vorlesungen fand er Anerkennung in der Gesellschaft durch seine Vorträge über „Faust” und „Hamlet” und sein historisches Werk „Die Manharter”. Neben seiner Arbeit pflegte er umfangreichen Verkehr mit den Persönlichkeiten seiner Zeit, wirkte als Priester und Seelenberater und akademischer Prediger und übte besonders 184 maßgeblichen Einfluß auf die Studenten aus.

Die Oberinntaler wählten am 10. Mai 1848 den fürstbischöflichen geistlichen Rat und Universitätsprofessor Alois Für zum Abgeordneten in die verfassunggebende deutsche Nationalversammlung zu Frankfurt am Main. Aufsehen erregte seine Predigt am 2. September 1848 im Frankfurter Dom bei dem von Beda Weber zelebrierten Requiem für die in Oberitalien gefallenen Oesterreicher. Nach dem Mißerfolg der Nationalversammlung nahm Flir wieder die Vorlesungen in Innsbruck auf, aber Anfang 1853 mußte der zum k. k. Schulrat ernannte Flir nach Wien, wo er im Auftrag des Ministers Graf Thun einen Bericht über die Reform der Universitäten verfaßte. Die ersehnte Ernennung zum Rektor der Anima in Rom beendet den Wiener Aufenthalt.

4.

Am 7. Oktober 1853 traf Für in Rom ein, am 6. November hielt er seine erste Predigt in Santa, Maria dėll. - seine geistvollen Predigten leben in den Sakramentsbildern Overbecks weiter, die im Magazin der vatikanischen Gemäldesammlung aufbewahrt werden — und war bald der geistige Mittelpunkt der Deutschen in Rom. Der Kunstverein Pantheon ernannte ihn zum Ehrenmitglied, aber neben seinen künstlerischen Neigungen erforderte die Reform der verworrenen Verhältnisse der Anima seinen ganzen Einsatz. Rektor Für wollte der eingerissenen Italienisierung der gesamtdeutschen Stiftung ebenso ein Ende bereiten wie eine Verengung zur bloßen Chiesa austriaca, die dem Botschafter Graf Esterhazy vorschwebte, verhüten. Der aus Köln stammende Anima-Priester Johann Heinrich Bangen, der aus Tirol stammende Beichtvater in St. Peter Franz Joseph Rabanser, ein gebürtiger Bozener, zahlreiche führende deutschsprachige Katholiken Roms hatten Denkschriften zur Aufrechterhaltung und Wiederherstellung des ursprünglichen Stiftungscharakters der Anima ausgearbeitet. Rektor Für zielte darauf, daß die Anima der Mittelpunkt der Deutsch sprechenden Katholiken Roms werde, die Habsburgerdynastie die weltliche Schutzmacht ausübe und neben dem Kolleg der Animakapläne ein Studienkonvikt geschaffen werde.

Kaiser Franz Joseph entschied, daß „die älteste und ansehnlichste deutsche Stiftung nicht fun- dationsmäßig verändert werden dürfte”, es sollte „nach dem ausdrücklichen Wunsch Seiner Majestät” die Anima nicht österreichische, sondern deutsche Nationalkirche heißen und das Kolleg „zum Wohl der ganzen deutschen Nation und ihrer katholischen Interessen” geführt werden. So wurde Alois Für aus Landeck in Tirol, unterstützt vom Kaiser Franz Joseph, dem österreichischen und deutschen Episkopat und vom Kurienkardinal von Reisach, zum Gründer des Priesterkollegs an der Anima und zum Wiederhersteller und Erneuerer der deutschen Nationalkirche und Nationalstiftung Santa Maria dell’Anima in Rom.

Der zum Uditore della sacra rota ernannte Hausprälat Für war nahe daran, zum Kardinal erhoben zu werden, als er unter der Last der Berufsarbeiten am 7. März 1859 starb. Sein Werk aber blühte auf, erfüllt heute alle jene Aufgaben, die Roms Deutsch sprechende Katholiken von ihm erwarten und ist durch seine Konviktoren dem gesamten deutschen Sprachgebiet eng verbunden. Oesterreich aber hat die ehrenvolle Treuhänderschaft über diese Stiftung.

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