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Ein Weg zur Verständigung

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KAISERADLER ÜBER DEM APENNIN. Die Österreicher in Italien 1700 bis 1866. Von Heinrich Benedikt. Verlag Herold, Wien—M iinchen, 1964. 480 Seiten, 24 Abbildungen auf 24 Tafeln. Preis 240 S.

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KAISERADLER ÜBER DEM APENNIN. Die Österreicher in Italien 1700 bis 1866. Von Heinrich Benedikt. Verlag Herold, Wien—M iinchen, 1964. 480 Seiten, 24 Abbildungen auf 24 Tafeln. Preis 240 S.

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In einer Abhandlung über neuere Geschichtswerke hat jüngst Emilio Bussi (Modena) bemerkt, daß wohl der Herold-Verlag Schriften über Tegetthoff, Schwarzenberg, Radetzky, Benedek und Conrad herausgebracht hat, daß es aber in Italien an ähnlicher Literatur fehle. Diese gerühmte Rührigkeit österreichischer Geschichtsschreibung wird bestätigt durch das eben erschienene Werk Benedikts über „Die Österreicher in Italien“, zwar kein Feldherrenbuch, aber doch ein Streifzug durch eine waff enklirrende Epoche in der vorzüglich Generäle das Geschehen bestimmten. Die so häufig parallel verlaufende Geschichte Österreichs und Italiens wird überhaupt in letzter Zeit bevorzugt bearbeitet, nicht nur in Österreich, wie von Wandruszka (18. Jahrhundert) und besonders von Hans Kramer (Risorgiments), sondern auch in Italien, wie unter anderem von Angelo Filipuzzi.

Kaiseradler kreisten schon seit Karl dem Großen über Italien, und dieser metternichsche „Geographische Begriff“ war das wichtigste Element der mittelalterlichen Kaiseridee. Seit dem 15. Jahrhundert gab es den Doppeladler, und viele Teile der apenninischen Halbinsel gehörten zum Heiligen Römischen Reich, so im 16. Jahrhundert Savoyen, Genua, Mailand, Mantua, Parma, Lucca, Modena und Toskana. Wie der Schutzumschlag zeigt, soll aber doch nur der habsburgische Kaiseradler für 1700 bis 1866 als das Sinnbild mehrfacher Beherrschung italienischer Staaten gelten. Es sind dies 166 Jahre und „mit Ausnahme des Kirchenstaates, Piemonts und einiger kleiner Gebiete, gibt es keinen Teil Italiens, über dem nicht längere oder kürzere Zeit einmal Österreich herrschte“. Nicht wenige große Kriege, der spanische, polnische und österreichische Erbfolgekrieg, die Kriege gegen Frankreich, Sardinien, Preußen und Italien begleiteten diesen Zeitraum.

Heinrich Benedikt führt den Leser durch alle Teile Italiens, wo einst Österreicher nicht nur kämpften, sondern auch mit Erfolg regierten. Aufgabe eines solchen Rückblickes kann es im vorliegenden Fall natürlich nicht sein, den auch schon in Italien vielfach überwundenen Standpunkt, es habe nur blutrünstige Unterdrückung gegeben, zu wiederholen, .da , haben ä)ider£vgenügend oft und ‘reichlich getan,’ nun gilt es einmal die positiven Ergebnisse der langen gemeinsamen Geschichte von dies- und jenseits der Alpen zusammenzufassen. Über Mailand berichtet der Verfasser: „Nirgends in Europa werden so viele Häuser, Paläste und Villen gebaut wie in Mailand und den anderen Städten des Königreiches, welches das am besten verwaltete, am besten geordnete und blühendste Land Italiens sei.“ (Jacob Bartholdy

1817) „Die glücklichste Leistung der österreichischen Verwaltung ist der theresianische Kataster, das Vorbild für die weite Welt.“ „Alle vernünftigen Menschen segnen die väterlichen Maßregeln der österreichischen Regierung.“ (Foscolo) „Mailand ist eine der glücklichsten Städte der Welt. Die österreichischen Staatsmänner sind von Geist, und was mit der Strenge nicht gelang, versuchen sie mit der Verführung.“ (Stendhal 1829) „Für die österreichische Zeit galt der Satz, den Leopard! schrieb: ,Milano nel materiale e nel morale e tutta un giar- dino delle Tuileries.“ “ „Nirgends in Italien gab es eine bessere Rechtsprechung als im Lombardo-vene- tianischen Königreich.“ „Unter dem Doppeladler war die Lombardei zum gesegneten Land der Wirtschaft erblüht und was Österreich hier geleistet hat, sollte nie vergessen werden es war das fortgeschrittenste Land Italiens.“ Ganz ähnlich sind die Urteile über Venetien: „Wir fanden ein ausgezeichnet verwaltetes Land und machten die Erfahrung, daß Österreich keineswegs so unbeliebt war, als man uns glauben ließ, ja bei der Landbevölkerung ausgesprochene Sympathie genoß.“ (Per- signy 1859.)

Uber Toskana, dem soeben eine Arbeit über Leopold II. gewidmet wird, und das von 1737 bis 1860 die habsburgische Sekundogenitur bildete, lesen wir: „Unter dem Hause Habsburg-Lothringen wurde die Toskana zum Musterstaat der Aufklärungszeit, in welchem Gesetzgebung und Verwaltung den Ideen der Philosophen folgten Der Großherzog konnte mit Stolz auf seine Verwaltung zurückblicken, es war das fruchtbarste Gefilde Italiens.“ Auch in der Terziogenitur, dem Herzogtum Modena, gab es unter dem Doppeladler einen bemerkenswerten Aufschwung, es war bekanntlich jenes Land, das 1859 als einziger Verbündeter treu zu Österreich hielt. Von Parma, das von 1816 bis 1847 unter der Regierung Maria Luisens stand, erfahren wir, daß nach Übergang zur Republik’ am 7. September 1859 der neue Gewalthaber Luigi Farini in der konstituierenden Versammlung „der Milde und Toleranz Maria Luigias, der Verkörperung der Clementia AustriacäLK öeöaihte.iiäSd .kurz die Österreichische Herrschaft in Neapel- .Sisiliep. wäjirte, sq bewegt war sie, dort. "Auch Korsika und Sardinien sahen österreichische Truppen auf ihrem Boden. Von Neapel schreibt Benedikt, die österreichische Herrschaft habe. ihm den strahlenden Glanz verliehen und es zu dem gemacht, was es heute ist. Der Kirchenstaat hat wohl nie in irgendeiner Art österreichische Herrschaft erlebt, doch besaß die österreichische Armee das Recht, in einigen päpstlichen Legationen Garnisonen zu unterhalten. Auch mit den Ursprün gen der späteren österreichisch-ungarischen Kriegsmarine ist die österreichische Zeit in Italien verknüpft. Karl VI. war es, der 1711 mit dem Bau von Kriegsschiffen begann und Neapel als Kriegshafen und Seearsenal benützte, ohne daß freilich diese erste österreichische Kriegsflotte dauernden Bestand gehabt hätte.

Wie ein roter Faden zieht sich durch die Kapitel über die Geschicke der italienischen Staaten die so oft bewährte habsburgische Heiratspolitik. Die Monarchen und Regenten von Österreich, Sardinien, Toskana, Modena, Lombardo-Vene- tien und Sizilien waren durch nicht weniger als sechs Wechselehen verbunden, ein erprobtes Mittel, dynastischen Familienbeziehungen vor gewaltsamen Auseinandersetzungen den Vorzug zu geben.

Der so reichhaltige und vielfältige Inhalt des „Kaiseradler über dem Apennin“ muß natürlich auch im Lichte des 20. Jahrhunderts betrachtet werden, dann erst gewinnen viele eher weniger erfreuliche Erinnerungen wie zum Beispiel an die Italiener am Spielberg oder an die Inquisition in Neapel ihr richtiges Gesicht. Das Festsetzen Österreichs auf italienischem Boden im 18. und

19. Jahrhundert hatte seine unbestrittene Begründung in der Großmachtstellung, die zwangsläufig nach militärischen Gesichtspunkten nicht nur die Flanke im Norden, in den Niederlanden, sondern auch im Süden, in Italien, als Aggressionsschutz behaupten mußte. Nicht von ungefähr zählen in Europa die Niederlande und Oberitalien die meisten und blutigsten Schlachtfelder auf. Die Habsburger betrachteten niemals die italienischen Gebiete anders als die eigenen Erblande, niemandem wurde die Nation oder die Religion genommen, und den Italienern standen in allen Bereichen von Staat, Wissenschaft und Kunst alle Türen in Österreich weit offen, bewiesen durch das noch heute in Österreich so sorgsam gehütete italienische Kulturerbe.

Benedikt gibt einen Rechen schaftsbericht und eine Bilanz der Österreicher in Italien und zeigt, daß die Verdrängung Österreichs keineswegs nur dem Wunsch nach Beseitigung der Fremdherrschaft an sich, sondern hauptsächlich dem in ganz Europa vehement aufflammenden Nationalismus zuzuschreiben war. Ein Vorzug des Verfassers liegt in seiner Darstellungsmethode. Sosehr er die Geschichte wie nur wenige Historiker universell sieht, löst er sie doch in Atome auf, denn er erkennt als treibende Kräfte der Weltgeschichte das Wirken der Einzelmenschen mit allem Zufälligen und Unwägbaren: „Der Leser wird vielleicht die großen Linien vermissen und nur ein aus sehr kleinen Steinen zusammengesetztes Mosaik im Sinne Stendhals vorfinden: ,Mehr

Einzelheiten, mehr Einzelheiten, ohne Einzelheiten gibt es keine Wahrheit.“ “ Die Wahrheit zu finden ist die Mission der Geschichtsschreiber, und dieser wird der Autor in vollem Maße gerecht. Der in der Wiener Michaelerkirche zur ewigen Ruhe gebettete kaiserliche Hofpoet Metastasio sagt in seiner selbstverfaßten Grabinschrift, er bitte den Allmächtigen, Er möge ihn im Schöße der Wahrheit Frieden finden lassen. Die vom Historiker verkündete Wahrheit vermag zur Versöhnung ehemaliger Gegner wesentlich beizutragen, und so weist auch Heinrich Benedikt mit seinem jüngsten Werk einen empfehlenswerten Weg zur österreichisch-italienischen Verständigung.

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