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Eine Entdeckung, die umwälzend war

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Vor 200 Jahren legte der Apotheker Andreas Sigismund Markgraf der Är- liner Akademie der Wissenschaften einen Bericht über Untersuchungen vor, in denen er den Nachweis des Vorhandenseins von Zucker im Saft einiger einheimischer Pflanzen erbrachte: Markgraf konnte eindeutig feststellen, daß der rote Mangold, die Runkelrübe und eine unter der Bezeichnung „Zuckerwurzel“ bekannte Gartenpflanze 0,5 bis 1,6 Prozent Zucker enthalten, und zwar, wie er ausdrücklich betonte, nicht etwa „einen zuckerähnlichen Stoff, sondern einen wahren, der gebräuchlichen aus Zuckerrohr bereiteten Ware vollkommen gleichen Zucker".

Diese Entdeckung, die in mehrfacher Hinsicht außerordentlich bedeutsam war und schließlich zum Ausgang der Rübenzuckererzeugung wurde, wurde jedoch merkwürdigerweise von den Zeitgenossen Markgrafs überhaupt nicht beachtet: niemand erkannte ihre Wichtigkeit für die europäische Landwirtschaft und die Volksernährung, niemand dachte auch nur daran, sie praktisch auszuwerten.

Die Ursache, warum die Entdeckung Markgrafs durch ein halbes Jahrhundert hindurch völlig unbeachtet blieb, liegt wohl einerseits in dem niedrigen Zuckergehalt der genannten Pflanzen begründet, der eine Gewinnung des Zuckers nicht lohnend erscheinen ließ, andererseits in dem geringen Verlangen der Bevölkerung jener Zeit nach Zucker, das mit dem heimischen Honig und einer — an den heutigen Verhältnissen gemessen — lächerlich bescheidenen Einfuhr von Rohrzucker aus Übersee leicht befriedigt werden konnte. Diese Feststellung kann durch einen kurzen Hinweis auf die im 18. Jahrhundert übliche Art der Ernährung, bei der neben Fleisch vorwiegend nur breiartige Speisen genossen wurden, teilweise erklärt und durch Anführung einiger Angaben über die Höhe der Einfuhr von Rohrzucker nach dem europäischen Festland ergänzt werden: nach ziemlich verläßlichen Mitteilungen erfolgte die erste nennenswerte Einfuhr von Zucker auf venezianischen Schiffen — es handelte sich um etwa fünf Tonnen — im Jahre 1319. Erst im 18. Jahrhundert, als die Schiffahrt leistungsfähiger und die Seefrachten billiger geworden waren, kamen größere Mengen Rohrzucker nach Europa, im Jahre 1730 etwa 120.000, im Jahre 1770 240.000 und um die Jahrhundertwende rund 300.000 Tonnen, das ist etwa um 30 Prozent mehr, als Österreich vor dem zweiten Weltkrieg erzeugte.

Nach dem Tode Markgrafs, der am 7. August 1782, 73jährig, verschied, griff dessen Schüler und Nachfolger in der Lei-

tung der physikalisch-mathematischen Klasse der Berliner Akademie der Wissenschaften, Franz Karl A c h a r d, die fast vergessene Entdeckung wieder auf. Achard, der am 28. April 1753 in Berlin geboren worden war, erkannte richtig, daß einer wirtschaftlichen Ausnützung des Zuckergehaltes der Rüben eine Steigerung der Zuckermenge in der Rübe vorangehen müsse. Er begann daher im Jahre 1786 mit großer Beharrlichkeit möglichst zuckerreiche Rüben auf seinem Gute Caulsdorff auszulesen und diese dann planmäßig zu vermehren.

Seine Bemühungen waren erfolgversprechend. Schon am 14. Jänner 1799 konnte er dem König Friedrich Wilhelm III. die Ergebnisse seiner Arbeiten vorlegen. An den Bericht knüpfte Achard, der nicht nur ein hervorragender Gelehrter, sondern im Gegensatz zu Markgraf, auch ein tüchtiger Geschäftsmann war, die Bitte, der König möge ihm ein größeres, für die Weiterführung seiner Arbeiten geeignetes Gut schenken und ihm das Privileg für die ausschließliche Erzeugung von Zucker in den nächsten zehn Jahren verleihen.

In seiner Eingabe führte er aus, daß es nach dem Ergebnis seiner Berechnungen wohl möglich sein müsse, durch die Einführung des Zuckerrübenbaues und die Herstellung von Zucker aus den gewonnenen Rüben Nahrungsmittel im Werte von Millionen zu gewinnen und die Einfuhr von Rohrzucker vollständig überflüssig zu machen, ohne eine Verringerung der Erzeugung von Getreide und anderen Ackerfrüchten befürchten zu müssen: Achard sah, richtig vorausblickend, in der Intensivierung des landwirtschaftlichen Betriebes, die mit der Einführung des Rübenbaues Hand in Hand gehen muß, die später tatsächlich eingetretene wesentliche Produktionssteigerung voraus, die es erst mit sich brachte, daß trotz der nun erfolgten räumlichen Einschränkung des Halmfruchtbaues eine sehr beachtliche Vergrößerung der Erzeugung von Brotfrucht eintrat. Auch die Voraussage, daß der heimische Rübenzucker die Einfuhr von Rohrzucker in normalen Zeitläuften überflüssig machen wird, hat sich, obwohl der Zuckerverbrauch außerordentlich angestiegen ist, als richtig erwiesen.

Der König bewies ein großes Verständnis für die Vorschläge Achards. Schon vier Tage nach der Vorsprache ordnete er die Durchführung von Anbauversuchen in allen Provinzen Preußens und 'die Veröffentlichung einer Anleitung des Zuckerrübenbaues durch Achard in den amtlichen Blättern an. Diese Veröffentlichung kann auch heute noch im wesentlichen als richtig gelten, ein Beweis dafür, wie sehr Achard die Eigenarten der Rübe und die Notwendigkeiten ihrer besonderen Pflege erkannte.

Die junge Zuckerrübenindustrie erfuhr durch die am 21. November 1806 von Napoleon verfügte Kontinentalsperre eine außerordentliche Förderung. Dadurch, daß die Einfuhr von Rohrzucker durch englische Schiffe wirksam verhindert wurde, wurde der Wettbewerb desselben ausgeschaltet und die sich nun ergebenden hohen Zuckerpreise machten die Erzeugung von Rübenzucker — auch unter den damals bestehenden ungünstigen Produktionsverhältnissen — unbedingt wirtschaftlich, ja sogar sehr gut lohnend: obwohl aus 100 Kilogramm Rüben nur drei Kilogramm Zucker gewonnen werden konnten — heute rechnen wir mit einer fünf- bis sechsmal so hohen Ausbeute —, blühten die neuen „Zuckersiedereien”, die an den verschiedensten Orten entstanden.

Als nach der Auflassung der Kontinentalsperre Überseezucker wieder zu verhältnismäßig günstigen Bedingungen eingeführt werden konnte und der Preis für das Getreide hoch stand, wurden viele der neuen Fabriken notleidend. Besonders jene Werke, die in Gebieten entstanden waren, in welchen für den Rübenbau weniger günstige Voraussetzungen bestanden, mußten geschlossen werden und es schien fast, als würde auf die Entdeckung des Rübenzuckers zum zweiten Male vergessen werden.

Im Gegensatz zu Deutschland, wo der Rübenanbau keinerlei Schutz genoß, entwickelte er sich aber in Frankreich, wo ihm verschiedene Privilegien gewährt wurden, weiter günstig. Es gelang vor allem auch, den Gehalt der Rüben an Zucker erheblich zu steigern und die Verarbeitung derselben in den immer besser ausgestatteten Fabriken wesentlich wirtschaftlicher zu gestalten. Dadurch wurde die Wettbewerbsfähigkeit des Rübenzuckers ausgiebig erhöht. Zu gleicher Zeit stieg auch das Interesse der Landwirte am Rübenanbau, als man den großen Wert der Abfälle der Rüben für die Fütterung der Haustiere erkennen lernte.

Um das Jahr 1830, als die Getreidepreise um die Hälfte fielen und der Halmfruchtbau dadurch seine bisherige Wirtschaftlichkeit verlor, begann man auch in Mitteleuropa wieder Zuckerrüben anzubauen. So erzeugte eine Fabrik in Staatz — nach Blumenbach, Neueste Landeskunde von Österreich unter der Enns, erschienen in Güns im Jahre 1835 —• im Jahre 1832 breits 100 Zentner Zucker, der „für Haus und technische Zwecke tauglich" war. Da man die in Frankreich gemachten Erfahrungen und Fortschritte glücklich verwertete, den Rübenanbau nunmehr vorwiegend nur mehr in Gebieten pflegte, in welchen die klimatischen und Bodenverhältnisse für ihn günstig waren und schließlich die landwirtschaftliche Kultur wesentliche Fortschritte gemacht hatte, waren die Erfolge nunmehr so günstig, daß von da ab der Zuckerrübenanbau eine ständig fortschreitende Entwicklung nahm, die nur durch die beiden Weltkriege unterbrochen wurde.

Diese Entwicklung ist durch drei Umstände bedingt: durch die großen und vielfachen Fortschritte der landwirtschaftlichen Technik und Wissenschaft, die eine erhebliche Steigerung des Zuckergehaltes der Rüben, von rund ein Prozent im Jahre 1747 auf fast 18 Prozent im Jahre 1947 zum deutlichen Ausdruck kommt. Schließlich auch noch durch die unsere vollste Achtung verdienende Verbesserung der Zuckerindustrie, die auf die verständnisvolle Zusammenarbeit von Maschinentechnik und Chemie zurückzuführen ist.

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