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Eine neue Väterausgabe

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Es ist erfreulich, zu sehen, wie intensiv nicht nur die wirtschaftliche, sondern auch die intellektuelle Erholung des befreundeten Belgien ist. Wir wundern uns daher nicht, wenn die flämische Abtei Steenbrugge mit Weitblick und Wagemut ein Unternehmen anzeigt, wie es seit Jahrhunderten, abgesehen von der P a 1 e o- graphie musicale der Benediktiner von Solesmes, im Orden des hl. Benedikt nicht mehr angegangen wurde. Die Tage scheinen wiedergekehrt, in denen ein Nicolaus Hugo Menard, ein Lucas D’Achery und Johannes Mabillon, ein Edmund Martine und Thierry Ruinart, um nur die Fürsten im Reiche patristischer Wissenschaft in der Kongregation von Saint-Maur im 17. und 18. Jahrhundert zu nennen, ihre monumentalen Werke schufen. Es geht ja doch den Mönchen von St. Peter in Steenbrugge um nichts Geringeres als die Patrologia Graeca et Latina des Abb6 Migne durch eine den heutigen Anforderungen und dem heutigen Wissen entsprechende Sammlung der Kirchenväter zu ersetzen. Nur eine Gemeinschaft, die damit rechnen kann, daß die nachfolgenden Generationen den gleichen Eifer für eine solche Aufgabe aufbringen werden, kann es wagen, ein so großes Unternehmen zu beginnen.

Daß ein zwingender Anlaß für ein derartiges Werk besteht, muß nicht erst bewiesen werden. Ein äußerer und ein innerer Grund nötigen da- zu. Einmal sind die Bibliotheken, neue und alte, nach der Zerstörung von zwei Kriegen nicht mehr in der Lage, ihre Bestände aus den vorhandenen Büchern zu ergänzen. Und dann hat die Handschriftenforschung seit dem Erscheinen des Migne soviel Neues in besseren Ausgaben zutage gefördert, daß es an der Zeit ist, diese neuen Texte und verbesserten Ausgaben in einem Corpus Christianorum, wie die Herausgeber die Sammlung nennen wollen, zu vereinigen.

Die Grundsätze, nach denen die Mönche von Steenbrugge ihr Werk durchführen wollen, sind in einem einführenden Aufsatz „A proposed new editjon of early Christian texts" im ersten Band des neuerscheinenden „Jaarboek vor Godsdienstwetenschappen. Sacris Erudiri“, Steenbrugge 1948, dargelegt. Es ist beachtenswert, daß die Ankündigung tn englischer Sprache erfolgt, wohl mit Rücksicht auf die Vereinigten Staaten, in denen heute die patristischen Studien stärker als bisher gepflegt werden. Von katholischer Seite sind nicht weniger als zwei Sammlungen von Vätertexten in englischer Übersetzung im letzten Jahr begonnen worden: die eine, Ancient Christian Writers, herausgegeben von Johannes Quasten und Josef C. Plumpe von der katholischen Universität in Washington, die andere, The Fathers of the Church, als deren Herausgeber Dr. Ludwig Schopp in New York zeichnet, in dessen Verlag auch das angesehene Jahrbuch „Traditio“, in dem ein großer Teil der Studien dem christlichen Altertum gewidmet ist, erscheint. Aber nicht nur die Neue, sondern auch die Alte Welt wird freudig vernehmen, daß nur die besten Ausgaben in die Sammlung aufgenommen werden sollen. Im Gegensatz aber zu Migne werden die umfangreichen Einführungen und Kommentare reduziert werden. Mit Recht sagen die Ankündiger, daß gerade diese Anhänge am ehesten veralten. Eine lateinische Einführung wird nur das Notwendigste über den Autor und den Text eines Buches oder einer Schrift bringen. Eine ausgewählte Bibliographie soll den Gebrauch der Sammlung erleichtern. Auch heidnische Autoren sollen Aufnahme finden, wenn und soweit ihre Schriften für das Christentum von Bedeutung sind. Eine lateinische Übersetzung oder auch eine in einer der internationalen Sprachen wird den griechischen Texten beigegeben werden. Eine griechische den lateinischen, falls eine solche von früh her existiert.

Der gesamten Ausgabe wird eine „m a n u- ductio ad litteraturam patrist i- c a m“ vorausgeschickt werden, in der die besten Ausgaben aller Schriften aus dem christlichen Altertum und die kritischen Studien, die zur Verbesserung eines Textes beitrugen, angeführt werden soläen. Wir hoffen und wünschen, daß diese manuductio in nicht zu ferner Zeit erscheinen möge. Sie wird das Studium der Väterzeit und ihrer in der Kirche fortlebenden Werke zu einer Freude für jeden machen, dem mehr als je in unseren, dem christlichen Humanismus nicht zu förderlichen Tagen die klassische Mahnung Leitstern ist: sit aput te antiquitati h o n o s perialismus“. Was aber bedeutet das für das Commonwealth?

„Bis jetzt bestand das Commonwealth aus Völkern, die durdh die Bande des Blutes oder der Nachbarschaft verbunden waren. Kanada, Australien, Neu-Seeland, Teile von Süd- Afrika sind weitgehend von britischen Auswanderern besiedelt worden; Irland war Großbritanniens nächster Nachbar. Diese verschiedenen Völker verbindet ein mehr oder weniger gemeinsames kulturelles und religiöses Erbe, eine gemeinsame Geschichte, eine gemeinsame Sprache. An Bevölkerung kann sich noch keines von ihnen mit dem .Mutterland’ messen. Wie können Indien, Pakistan und Ceylon in diese Familie passen? England ist nicht ihr .Mutterland’; einige Inder haben liebenswürdig bemerkt, daß England eher wie die sprichwörtliche Stiefmutter war; oder, noch drastischer, daß Indien, mit seiner weit älteren Kultur, als die ,Mutter’ Englands betrachtet werden sollte. Kann man erwarten, daß drei Staaten von grundlegend fremder Kultur, der eine vorwiegend Hindu, der zweite Muslim, der dritte weitgehend buddhistisch, sich in eine ,christliche’ Familie eingliedern und vollgültige Mitglieder werden können? Kann ein Indien von vierhundert Millionen, ein Pakistan von hundert Millionen im Gleichschritt mit der Bevölkerung einer fernen Insel gehen, die. fremd in . Religion, Kultur, Tradition und Sprache, nur fünfundvierzig Millionen zählt? Es klingt absurd. Aber ist es das wirklich?“

Denn auf der anderen Seite müsse gesagt werden, daß die Staatsmänner der „braunen Dominions“ sich weitgehend die hervorstechendsten Eigenschaften des politischen Sinns der Briten zu eigen gemacht haben. Sie sind nicht umsonst durch Oxford und Cambridge gegangen, nicht umsonst mit Shakespeare und Milton, mit Mill und Gladstone erzogen worden.

„Sie nehmen die ganze Auffassung einer freien Gesellschaft wie wir als gegeben an. Ihre politische Haltung einschließlich der Frage der Verbindung mit dem Commonwealth ist wie die unsere vorwiegend empirisch. Sie fragen nicht so sehr: ,Wird es vom Standpunkt der Geographie, der alten Geschichte oder der kulturellen Überlieferung ab- . surd erscheinen?’ als vielmehr: ,Was sind die praktischen Vor- und Nachteile? Wird es funktionieren? Sind die praktischen Gründe, die für die Aufrechterhaltung einer gewissen Verbindung mit den Briten sprechen, trotz der jüngsten Vergangenheit stärker als die Gründe für die Trennung?’ Mit den führenden Staatsmännern von Indien und Pakistan über Politik zu verhandeln, bedeutet eine ver- 11 a u t e Sprache sprechen, ein vertrautes Klima empfinden. Gewiß gibt es Unterschiede. Aber, alles in allem, sind die Unterschiede weniger bemerkenswert als die Gemeinsamkeiten.“

Als weitere Gründe sprechen für die Aufrechterhaltung der Verbindung die Verteidigungsprobleme und das gemeinsame Interesse an der Aufrechterhaltung des Weltfriedens, wobei das von Gandhi zur Freiheit geführte Indien vielleicht als F r i e d e n s v ermittlet noch eine wichtige Rolle spielen könne.

Die katholische Schweizer Studentenzeitschrift „C i v i t a s“ bringt einen Artikel von E. F. J. Müller-Büchi über „Politik und Wissenschaf t“, der, von dem bekannten Bismarck-Wort von der Politik als „K u nrt des M ö g- liehen“ ausgehend, zwei „für die Moderne bedeutsame politische Grundtypen“ feststellt: den utopistischen und den realistischen Politikertypus. Der Typus des utopistischen Politikers, der seit 1789 seinen Siegeslauf durch Europa angetreten habe, sei in der liberal-bürgerlichen Freiheitsbewegung, in der gegen die kapitalistischen Mißstände auftretenden sozialistischen Arbeiterbewegung und schließlich in der c h r i s tl i c h - demokratischen Aktion vor allem vertreten gewesen. Neben diesem Typus aber habe auch der des realistisch-konservativen Politikers seine Berechtigung, da „ein gesunder Staat zu seiner Erhaltung beider Politikertypen bedarf: des utopistischen wie des realistischkonservativen“.

,,So sehr der Staat zu gesundem politischem ‘ Leben beider politischer Grundkräfte bedarf: der in unbestimmtes und schön gedachtes Neuland vorwärts treibenden und der das alte Bewährte erhaltenden und verbessernden — so wenig dürfen die Politiker sich einbilden, sie könnten beides zusammen sein: einmal idealistische Utopisten und dann wieder realistische Konservative. Wer beides sein will, wird zum Typus des .faulen Kompromißlers’. Gerade weil die Politik Können des Möglichen zwischen elementaren Gegensätzlichkeiten ist, muß ja jeder politische Gegensatz im Staate in möglichst reiner Form seine Ausprägung finden.“ Im Zusammenhang damit verweist der Verfasser auf die Grundgedanken über wahre politische Bildung in konservativem Sinne, die Karl Ernst Jarcke „die edle und vergessene Spätfrucht der Romantik und der historischen Rechtsschule“ vor hundert Jahren in Österreich in dem Aufsatz „Über den Zustand, die Mängel und die Reform der Bildung des deutschen, besonders des österreichischen Beamtenstandes’’ dargelegt hat und schließt:

„Das Verhältnis von Politik und Wissenschaft kann in christlidtem Sinne nur auf ernste geistige Anstrengungen und ausdauernde Arbeit gegründet sein. Hüten wir uns davor, große und wichtige Begriffe wie: dtristliche Demokratie, Föderalismus, Vaterland — zu leeren Schlagworten herabsinken zu lassen."

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