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Eine Welt versank....

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Kairo, Juni 1953

Wäre ich noch vor zwei Jahren nach der bedeutsamsten Stätte Kairos gefragt worden, ich hätte ohne Zögern geantwortet: das ist Shepheards Hotel beim Ezbekiya Park. Das berühmteste Hotel der Welt, das in den Nachmittagsstunden des 26. Jänner 1952 der Volkswut zum Opfer fiel und bis auf die Grundmauern in Schutt und Asche sank. Wie ein Symbol wirkt der Untergang dieser historischen Stätte, denn in denselben Stunden fand auch eine geschichtliche Epoche ihr Ende, die dem weltberühmten „Shepheard“ seinen Glanz und seine besondere Note verlieh.

An historischer Stelle erbaut, wurde es durch seine Gäste selbst zu einer Stätte der neueren Geschichte. Dort, wo in der Halle die beiden großen Säulen standen, hatte einst Napoleon Bonaparte bei seinem unglücklichen ägyptischen Feldzug sein Feldherrnzelt aufgeschlagen, und unter einem alten, verwitterten Ahornbaum im Hotelpark fand, 1800, nach seinem großen Sieg in Heliopolis, Napoleons General Jean Baptiste Kleber durch den Dolch eines Mamelucken sein Ende. Vom Shepheards Hotel aus spann der sagenumwobene Oberst Lawrence seine Fäden nach den Ländern des Orients, und an einem der Tische in der berühmten Bar schrieb er seine Geschichte machenden Berichte an die Londoner Regierung. Zwischen denselben Mauern entwarf Lord Kitchener seine Memoranden über die Organisation des englischen Heeres, deren Grundgedanken er später als Kriegsminister Wirklichkeit werden ließ. Und in den gleichen Räumen wurden die Grundzüge des englisch-ägyptischen Vertrages von 1936 ausgeheckt. Hier trafen sich Mitte der dreißiger Jahre die Vertreter amerikanischer Oelmagnaten mit den Abgesandten Ibn Sauds, um die erste Fühlung zu nehmen, die später zu den wichtigsten Konzessionsverträgen zwischen dem Fürsten Saudi Arabiens und der mächtigen Aramco führen sollten. Männer im Dienste des Nationalsozialismus, Vertrauensleute westlicher Regierungen und großer Industriegesellschaften, Leute im Solde des einstigen Herrn vom Palazzo Chigi, schöne und gefährliche Frauen der internationalen Gesellschaft und des Films, glitten einst über das glatte, seither verkohlte Parkett dieses Luxushotels im Herzen der Neophara-onenstadt. Wer immer in der Geschichte des englischen Empires einen Namen hatte, zählte zu seinen Gästen. Gekrönte Häupter, Staatsund Ministerpräsidenten, Politiker und Staatsmänner aller Schattierungen, hohe und höchste Militärs, Generale und Feldmarschälle, Industriemagnaten aus aller Welt, die mächtigen Herren der größten Panzergewölbe der Erde, namhafte Forscher und Wissenschaftler, Nachrichtenoffiziere,- Agenten und Spione, berühmte Künstler und unzählige Diener der Weltmacht Presse bevölkerten einst die luxuriösen Säle, die gediegen-vornehme Bar, den schattigen, verschwiegenen Park mit den alten Bäumen und hochstrebenden Palmen.

Im Frieden wie im Krieg spannen sich von hier aus wirtschaftliche Intrigen, weltpolitische Fäden in alle Welt. In einer der weitflüchtigen Etagen würde der Wüstenfuchs Rommel sein Hauptquartier aufgeschlagen haben, hätte nicht sein Gegenspieler Montgomery gerade in diesen Mauern den Entschluß zu seiner Siegesoffensive gefaßt, die ihn nach El Alamein führen und das endgültige Schicksal des deutschen Afrikakorps besiegeln sollte. So wenigstens ist das behauptet worden und es würde weder dem entscheidenden Sieg der Briten bei El Alamein abträglich sein, noch dem Ruhm und Glanz dieser versunkenen heilig-unheiligen Hallen, wenn diese Behauptung nicht ganz wörtlich zu nehmen wäre.

Noch wenige Tage, ja nur Stunden vor seinem erschütternden Untergang an jenem denkwürdigen 26. Jänner 1952, gab sich die Weltpresse zum allerletzten Male ein Stelldichein in der historischen Bar. Die ersten Berichte über die heraufziehenden Schrecknisse jenes schwarzen Tages wurden hier in fliegender Hast zu Papier gebracht; aber, als sie druckfeucht den Menschen in den Großstädten der aufhorchenden Welt das Unglaubliche entgegenschrien, stand auch das berühmteste Luxushotel der Welt in Rauch und Flammen, und als zwei Tage später der Orkan verebbte, zeugten nur noch rußige, rauchende Mauerreste von dem einstigen Glanz.

Seither hat sich vieles geändert unter dem blauen Himmel über dem Nildelta. Der gold-

beschlagene Thron im Abdin-Palast ist verwaist und läuft Gefahr, zum Museumsstück herabzusinken. Ein König floh, Minister verschwanden in der Versenkung und hinter Gittern, Offiziere nahmen die Zügel des herrenlosen Reiches in die Hand und versuchen“ zu retten, was noch zu retten ist. Eine Dynastie wurde gestürzt, die Republik ausgerufen.

Die lebensprühende Sorglosigkeit des europäischen Viertels hat einer ernsten, wachsamen Stimmung Platz gemacht. Häufiger als früher rattern heute Panzerautos und Tanks durch die Straßen; die Bevölkerung soll sich täglich an die Wachsamkeit der Armee erinnern, die doch in jenen Tagen vor einem Jahre so schmählich versagte, als die „soziale Revolution“ mit Mord und Brand ihren Anfang nahm. Das Bild in den reichen Vierteln zwischen der Nilinsel Gezira und Ezbekiya Garden ist reichlich martialisch geworden. Vor den Amtsgebäuden, vor den fremden Vertretungen, vor den großen Banken und ausländischen Geschäftshäusern, nicht selten auch vor den Villen und Palästen der reichen Herren patrouillieren Posten, die einem die unbehagliche Situation augenfällig zum Bewußtsein bringen. Das öffentliche Leben in der ägyptischen Metropole hat seit einem Jahr sein Gesicht gewandelt, und die Menschen gerade in den reichen, europäisierten Quartieren, lassen sich von der beruhigten Oberfläche nicht täuschen: noch brodelt es im Untergrund und jedermann weiß, daß die soziale Revolution noch lange nicht beendet ist, sondern kaum erst ihren Anfang genommen hat.

Im Herzen Kairos liegt Ezbekiya Garden, einer der schönsten, kunstvoll angelegten Parks, umgeben von bedeutenden Buildings, wie dem Hauptpostamt, dem Mixed Tribu-

nal, dem Bristol-Hotel, der amerikanischen Mission, der American Express Company, dem Continental-Savoy-Hotel, dem Credit Lyonnais und den Ruinen des „Shepheards“. Genau in der Mitte der Westfront von Ezbekiya Garden steht die American Express, und hier nimmt eine der vornehmsten und eindrucksvollsten Straßen Kairos ihren Anfang, die Fuad el Auwal Avenue, die westwärts hinüberführt zum Nil und über die Fuad. Bridge auf die Parkinsel Gezira. Man darf sie wohl als die vornehmste, eleganteste Straße der ägyptischen Hauptstadt bezeichnen, aber ihre wirkliche Bedeutung erschöpft sich in der Repräsentation.

Weniger vornehm, weniger elegant, eher nüchtern und kalt, aber von großer wirtschaftlicher, sozialer und politischer Bedeutung ist eine andere der Hauptstraßen dieser Metropole: Kasr el Nil. Direkt vor dem Opernhaus zweigt sie, nur wenige Schritte von Ezbekiya Garden und vom Midan Ibrahim Pascha, in südwestlicher Richtung ab. Die riesigen Paläste der großen Banken, Tourists Offices, der Messageries maritimes, großer Industriegesellschaften, verleihen Kasr el Nil etwas Imposantes, Wirkungsvolles, ein besonderes, wenn auch nüchtern-kaltes Gepräge. Sie ist, vor allem in ihrem östlichen Teilstück, die ausgesprochene Straße der großen Tresore: Credit Foncier (Bodenkreditbank), die vor einem Jahr den Flammen zum Opfer gefallene Barclays Bank, Mortgage-Bank, Athens Bank, die Italienisch-ägyptische Bank, die Aegyptische Nationalbank haben hier ihren Sitz, das Department of Commerce and Industries, das Metropolitan-Hotel, der Italienische Club, die Französische Gesandtschaft und eine Reihe internationaler Industriegesellschaften und weltbekannter Handelshäuser. Hier werden

Millionen und Milliarden umgesetzt. In den Palästen dieser einen, nicht sehr langen Straße findet die Wirtschaft des ganzen Landes ihren Niederschlag, wird über das Wohl und Wehe von Millionen entschieden, hier wird Besitz gesichert, Besitz verschoben, Existenzen geschaffen und vernichtet. Noch regieren hier die bisherigen Herren Aegyptens: ägyptische und ausländische Fürsten des Grundbesitzes, Baumwollkönige, Handelsund Industriebarone, Hüter des Goldes, die in den Vormittagsstunden mit einem Federstrich Millionen verschieben und nächtlicherweile ihre Unruhe und ihre aufsteigende Angst vor dem drohenden Debakel in den eleganten Vergnügungslokalen zum Schweigen bringen.

Noch hat sich hier in diesem „Ghetto des Scheckbuches“ nur wenig verändert. Die elegantesten Erzeugnisse der internationalen Automobilindustrie, die in den Geschäftsstunden über das Pflaster dieser einen Straße rollen und vor den Marmortreppen der blitzenden Paläste parken, repräsentieren ein Millionenvermögen und sind doch nur ein blasser Abschein, eine leise Andeutung der Milliarden, über die ihre Besitzer mit der Füllfeder ohne Gemütsbewegungverfügen.

Nur die uniformierten, bewaffneten Posten vor den imposanten Portalen zeugen von der Wandlungsfähigkeit der Verhältnisse. Weder die blendenden Premieren in der nahegelegenen Oper, noch die äußerliche Gelassenheit der Herren von Kasr el Nil vermögen darüber hinwegzutäuschen, daß auch in und um die Paläste des Goldes tiefgreifende Veränderungen im Gange sind und bevorstehen. Eine scheinbar festgefügte Welt ist ins Rutschen gekommen und keiner weiß, ob und wann sie plötzlich auseinanderbersten wird. Mit Feuer und Rauch schrieb die Geschichte das erste Mahnzeichen in unmittelbarer Nähe dieser Hochburgen des Goldes in den blauen Himmel Kairos, und die nächtliche Flucht eines Königs war nichts weiter als ein weiteres Vorzeichen für kommende Ereignisse, für eine unabwendbare Entwicklung.

Im westlichen Teilstück von Kasr el Nil aber steht ein großer Gebäudekomplex, spartanisch anmutend im Vergleich zu den imponierenden Palästen im östlichen Straßenviertel. Und in diesem fast kasernenhaften Häuserblock waltet die Zukunft, wächst und erstarkt ein mächtiges Glied der kommenden Epoche ägyptischer Geschichte. Eine zierliche Frau führt das Szepter, die erste Frau Aegyptens: Doria Shaffik, die Schöpferin der „Bent el Nil“, die erste Tochter der „Töchter vom Nil“.

Zwei Extreme, zwei einander spinnefeindliche Gewalten stehen sich hier in derselben Straße gegenüber: die alte, bedrohte Welt der Geldsäcke und die fordernde, geballte Kraft des Volkes und der ägyptischen Frauen. In den Marmorpalästen im oberen Teil der Kasr el Nil das wankende Fundament einer überlebten Epoche, und im unteren Teilstück ein bedeutsames Element der unvermeidlichen „sozialen Revolution“.

Das ist, so scheint uns, was die Kasr el Nil zur bedeutsamsten Straße Kairos, ja ganz Aegyptens stempelt: das Aufeinanderprallen vergehender Vergangenheit und aufstrebender Zukunft.

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