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Eine weltliche Liturgie

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Wie in der liturgischen Handlung liegt der Sinn in der Wiederholung, die menschlichen Abweichungen fallen kaum ins Gewicht. Die nächste Szene im Vorhof des Bahnhofs, die beiden Nationalhymnen, Applaus der ausländischen Kolonie, Meldung des lackbestiefelten Offiziers in der Sprache des Gastlandes, die Ehrengarde sei zur Inspektion bereit. Aber nur für Staatsoberhaupt und Prinzgemahl. Den Damen bleibt diese Zeremonie erspart. Dann die Vorfahrt der leicht knarrenden Staatskarossen mit livrierten Lakaien. Spannungsmoment: Werden die Pferde sich protokollarisch benehmen? Abfahrt hinter der berittenen Garde, angeführt von einem einsamen Polizeioffizier zu Pferd — durch die menschenumsäumte Victoria Street, an der Westminster Abbey vorbei, Whitehall, Trafalgar Square, durch den Torbogen des Marineministeriums in die Mall, Londons Champs-Elysées, zum Buckingham-Palast, wo die leutselig grüßenden Herrschaften in der Hofeinfahrt verschwinden. Die Straßen sind mit Fahnen geschmückt, die Mall ist ein rotweißrotes und blauweißrotes Meer, die Polizisten tragen die viktorianischen Parade uniformen, die an die Dreigroschenoper erinnern, pelzbemützte Gardesoldaten bilden scharlachrotes Ehnenspalier. In dier Mittagspause der Büroangestellten genießen viele das großartige Schauspiel unter strahlender Maisonne. Es wird heutzutage nicht mehr viel gejubelt und nachher fragt man sich immer, ob die vereinzelten Hurrarufe und das Winken der Königin oder den fremden Gästen gegolten hätten. Bei exotischen Staatsbesuchern wie der Königin von Tonga mag der Volksphantasie ja mehr Anregung geboten werden, aber wer ist eigentlich dieser würdige ältere Herr mit weißen Haaren neben Her Königin? Little Austria? „A charming coun- try, such a musical people.” — „Uuien, Uuien, du bist allein”, zitiert der Speaker des Unterhauses später aus dem Gedächtnis in seiner Ansprache an den Bundespräsidenten. Und wenn der Lord Mayor von London beim Festbankett in der Guild- hall sich dreimal verhaspelt und statt von „Austria” vom „schönen Australia” spricht, darf man wohl auch in die Volksbegeisterung nicht mehr hineinzuverlegen suchen, als die Höflichkeit und die gutwetter- lichie Stimmung bewirkt.

Nach dem Auftakt am Abend das Staatsbankett im Schloß. Laute Enttäuschungsausbrüche des ausländischen Presse- und Filmaufgebots, dem der Pressereferent der Königin wieder einmal zu erklären hat, daß das britische Protokoll der Presse keinen Zutritt zum Buckingham- Palast gestattet. „Warum san ma eigentlich hergekommen?” Commander Colville bleibt ungerührt. Allein drei Vertretern wird erlaubt, die gedeckte königliche Festtafel vorher zu inspizieren. Die dürfen dann den Kollegen und der Welt berichten. Nur Menü und Ansprachen werden mitgeteilt.

Strenges Protokoll beherrscht die weiteren Phasen des Aufenthaltes: Kranzniederlegung am Grabe des Unbekannten Soldaten in der Westminster Abbey, Austausch von Geschenken und Orden — der Bundespräsident beglückt die pferdeliebende englische Königin mit entsprechendem Augartenporzellan —, Entgegennahme der Ansprachen der Stadtbehörden, Empfang der Diplomaten im St. James Palace, das prunkvolle Bankett in der City, das Essen, das der Staatsgast für die Königin in seiner Botschaft gibt, ein Unterhausempfang der an dem Gastland interessierten Parlamen tarier, ein großer Empfang für Landsleute und Freunde des Landes in einem großen Londoner Hotel, ein letzter vom britischen Außenminister im Schloß von Hampton Court gegebener Empfang. Dazwischen einige Besichtigungen, die sich der Staatsgast aussuchen darf. Bundespräsident Jonas bekundet ein städtisches Interesse für die Neustadt Harlow, für Birmingham und Coventry, für die Londoner Nationalgalerie und — seinem alten Beruf getreu — für einen großen Londoner Druckereibetrieb.

Ausklang

Dann der etwas klang- und farblose letzte Tag mit dem üblichen Essen im kleineren Kreis in der Botschaft und der von motorisierter Polizei zum Flugplaitz geleiteten schwarzen Wagenkolonne. Auch die vielen Ansprachen und gegenseitigen Sympathiebeteuerungen gehen kaum über das Formelle hinaus. Es werden Hände geschüttelt und Verbeugungen gemacht, man kommentiert das würdevolle Auftreten des Gastes, das gute Aussehen der Königin und ihre herzliche Art, es ihren Gästen „gemütlich” zu machen. Man hat Mitgefühl für das besuchende Staatsoberhaupt unter der Bürde des Programms. Die für die ganze Organisation verantwortlichen Beamten beider Länder atmen sichtlich erleichtert auf, wenn ein weiteres Stadium reibungslos abgelaufen ist.

zukünftigen Besuchen bürgerlicher Staatsoberhäupter Schule machen. Und Großbritannien, das seine demokratischen Anwandlungen, in der Vergangenheit zumindestens, nie in der „reinen” Form Frankreichs oder der Vereinigten Staaten liebte, sondern sie stets mit einem Schuß Aristokratie zu temperieren vorzog, konnte es auch beeindrucken, daß sein Staatsgast nicht nur königlich geehrt, sondern auch von der englischen Druckergewerkschaft zum Ehrenmitglied ernannt wurde. Aus der Geschichte der Staatsbesuche in London erinnert man sich heute noch an den Besuch des österreichischen Generals Baron von Haynau im Jahre 1850, dessen Unterdrückungsmaßnahmen in Italien und Ungarn übel bekannt waren, und der beim Besuch einer Londoner Brauerei von den Bierkutschern verprügelt wurde, was Lord Palmerston insgeheim besonders gefreut haben soll. Ein aus den Reihen des österreichischen Sozialismus hervorgegangener Bundespräsident hatte im sozialistischen Großbritannien des 20. Jahrhunderts nichts dergleichen zu befürchten.

Politische Begleitmusik

Politische Gesichtspunkte sind bei Staatsbesuchen von untergeordneter Bedeutung, doch der Bundespräsident konnte in seiner Ansprache im Empfangsraum des Unterhauses den österreichischen Neutralitätsbegriff umreißen, der „nicht das passive Warten auf außerhalb des Landes getroffene Entscheidungen bedeutet, sondern die aktive Mitarbeit an der Einigung Europas und den Beitrag an internationaler Zusammenarbeit”. Außenminister Toncic-Sorinj gab dann vor dem Forum des Auslandspresseklubs in London einige kluge, juristisch gehaltene Erläuterungen der österreichischen Neutralität, als Beitrag dazu, wie er witzig sagte, um dieses schwierige Problem „wenigstens auf höherer Ebene unverständlich” zu erweisen. „Wir wollen”, sagte der Außenminister, „zwischen dem Brüsseler Himmel der EWG-Mitgliedschaft und der Hölle der völligen Verbannung bleiben.” Und er verwies auf die Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit des kleinen neutralen Österreich mit dem fnächtigen, politisch dynamischen System der europäischen Gemeinschaft. Wie weit vermag die Gemeinschaft von ihrem Prinzip ablassen, wieweit erlaubt seine Neutralität Österreich ein Zusammengehen? Es war nicht die Aufgabe des Staatsbesuches, der Beantwortung dieser Fragen vorzuarbeiten. Bei aller theologischer Problematik des österreichischen Europawegs war wenigstens der englische Himmel seinen Staatsgästen günstig gesinnt.

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