6553196-1948_07_04.jpg
Digital In Arbeit

Erwachen die Pharaonen?

Werbung
Werbung
Werbung

EHe Weltgeschichte wiederholt sich zuweilen. Am Schnittpunkt zweier Kontinente gelegen, durch das Mittel eines der mächtigsten Ströme der Welt Afrika bis zum Äquator erschließend, fand das erwachende moderne Ägypten dieselbe unvergleichliche Gunst der Lage vor, welche die Flotten der Pharaonen nach dem Somaliland, ihre Heere über die schmale Landbrücke nach Syrien und die angrenzende Cyrenaika, unter den Ptolemäern, in den ägyptischen Herrschaftsbereich geführt hatte. Der unerschöpfliche Reichtum des Nillandes, seine dichte und rasch wachsende Bevölkerung mußten ihm die Anwartschaft und die Grundlage zur Vorherrschaft im nordafrikanischen Raum sichern, sobald einmal die Statik dieses Gebietes gebrochen war und eine weltpolitische Umbildung Räume in seiner Umgebung freigesetzt hatte. Beides ist nun wieder eingetreten und die Ziele Ägyptens sind die gleichen wie vor zwei- und dreitausend Jahren.

Die treibende Kraft, deren sich das heutige Ägypten bei seiner Expansion bedient, ist die panarabische Bewegung, das Wieder- erwachen der moslemitischen Gemeinschaft in Nordafrika. Diese mächtige, von Suez bis Casablanca wirksame geistige und politische Strömung unterhöhlt in rastloser Minierarbeit die europäischen Kolonialländer am Südufer des Mittelmeers. Eben jetzt wird bekannt, daß Abd el Krim in Kairo ein „Komitee zur Befreiung Nordwestafrikas“ gegründet hat, das 25 Millionen Menschen politisch erfassen und einen soll.

Ägyptens ältestes und nächstes Ziel ist der Sudan. Den Weg dahin, zur „Einheit des Niltiles", konnte es sich aber bisher nicht eröffnen. Nach dem Scheitern der direkten anglo-ägyptischen Verhandlungen hatte Premierminister Nokrashy Pascha das Sudanproblem vor die Vereinten Nationen gebracht. Ägypten appellierte damals geschickt an das Freiheitsbewußtsein der amerikanischen Presse, indem es die Schlagworte von der kolonialen Unterdrückung gebrauchte, wiewohl es sich einfach um die Abänderung eines von Ägypten erst 1936, also nach Erlangung seiner staatsrechtlichen Unabhängigkeit abgeschlossenen Vertrages handelt. Hiebei bestreitet Ägypten dem Sudan das Recht auf Selbstbestimmung — das es für sich selbst England gegenüber in der Suezkanalfrage in Anspruch nimmt —, so daß der Sudan Gefahr läuft, die lockere britische Lenkung — im ganzen Lande stehen nur zwei englische Bataillone — gegen eine effektive ägyptische Herrschaft zu tauschen. Die UN erkannte die Doppelgeleisigkeit des ägyptischen Konzepts und wollte sich auch von der Last, ein so dorniges Problem lösen zu müssen, befreien. So stellte sie fest, daß noch nicht alle Möglichkeiten einer direkten Einigung der Streitteile erschöpft seien. Die Lage schien zunächst gespannt, zumal Rußland in Lake Success für die ägyptischen Ansprüche eingetreten war und man sich in Kairo nun eines mächtigen Gönners sicher hoffte. Aber Rußland verlor die in Ägypten eben erworbene Sympathie mit einem Schlag durch sein Eintreten für die Teilung Palästinas, die bekanntlich auf den schärfsten Widerstand der von Ägypten geführten Arabischen Liga stößt. Die ägyptische Regierung, realpolitisch denkend, lenkte nun ein und schlug dem Foreign Office vor, eine von England, Ägypten und dem Sudan beschickte Dreierkommission mit der Um gestaltung des Regimes im Sudan zu betrauen. Audi in England melden sich versöhnliche Stimmen, zumal auch der Vertrag von 1936 die ägyptische Oberhoheit über den Sudan anerkannte. Ägypten wurde sich auch allmählich bewußt, daß die hinter dem Begriff „Einheit des Niltales“ stehenden großen wirtschaftlichen Ziele, die gemeinsame Verwertung und Verwaltung des befruchtenden Nilwassers, so weit über sein heutiges Territorium hinausgreifen, daß sie keinesfalls gegen den Willen Englands erreicht werden können. Ägypten rechnet mämlich für 1980 mit einer Bevölkerung von 26 Millionen und will für sie einige Millionen Hektar Land neu in Bebauung nehmen können.

Vor allem aber hatte sich den ägyptischen Staatsmännern ein neuer vielversprechender Weg zur Ausdehnung ihres Herrschaftsbereiches eröffnet: die Aufteilung des italienischen Kolonialbesitzes rückt näher und Ägypten meldet Ansprüche auf diese Erbschaft an. Mögen diese Gebiete in ihrer geographischen Vereinzelung und geringen wirtschaftlichen Stärke gegenwärtig wenig wertvoll erscheinen, im direkten Anschluß an ein bedeutendes Staatswesen, wie es das ägyptisdie ist, gewinnen sie als dessen Abrundung und Außenwerke für dieses erhebliches Gewicht.

Gemäß des Friedensvertrages mit Italien muß über das künftige Schicksal der italienischen Kolonien bis 15. September 1948 entschieden werden. Eine Viermächtekommission bereist gegenwärtig die einzelnen Gebiete und soll ihre Arbeit bis 15. Mai 1948 beenden. Zur Verteilung kommen Libyen, das, mit Ausnahme des von Frankreich besetzten und an Französisch-Nordwestafrika angeschlossenen Fezzan, von den Engländern verwaltet wird, die wieder Tripoli- tanien und die Cyrenaika völlig voneinander getrennt haben, ferner Eritrea und Somaliland, die nur von England administriert werden. Auf diese Gebiete, die nur zu einer unter der Aufsicht der UN stehenden treuhändigen Verwaltung vergeben werden, werden verschiedene, sich kreuzende Ansprüche erhoben. Vor allem bewirbt sich um dieses Mandat Italien selbst, mit der Begründung, daß es sich um Erwerbungen des vorfaschistischen Italiens handelt.

Ägypten fcrd.ert in der Cyrenaika nur kleinere Grenzberichtigungen für sich. Es wünscht ein unabhängiges Libyen und, indem es sich auf seine enge Freundschaft zu den mächtigen, diesen Raum beherrschenden Senussi verläßt, glaubt es die Zeit für sich wirken lassen zu können. Auf alle Fälle hält die von Ägypten geleitete Arabische Liga aber auch Ansprüche bereit, die Treuhänderschaft über Libyen an die Liga zu übertragen.

Direkte Ansprüche hat dagegen Ägypten auf Eritrea angemeldet, da es „eine Verlängerung des Sudans nach dem Meere hin bedeute" und vielerlei Erwägungen dafür sprechen. Äthiopien andererseits fordert Eritrea als Ausgang zum Meer und hat von der vorläufigen britischen Verwaltung wichtige Besatzungsrechte im Hafen von Massaua zugesprochen erhalten. Eritrea hat als Schlüssel zum Roten Meer und Pforte zum Indischen Ozean hohe strategische Bedeutung.

Greift schon der Anspruch auf dieses Land über den Sudan hinaus, so wird sogar eine Ausdehnung bis an den Indisdien Ozean in vorsichtiger Form von Ägypten angedeutet. Es hat nämlich erklärt, das Somaliland sei durch seine arabische Bevölkerung und sonstige Bande eng mit Ägypten verbunden und müsse „unabhängig" werden, wozu dieser unwirtlidie Landstridi gar nicht fähig ist.

Ägypten will seine schwache Armee modernisieren und hat hiefür amerikanischen Rat und Hilfe angesprochen. Dann will es die Bewachung des Suezkanals von England übernehmen. Di USA haben bereits neun kleinere, militärische Seefahrzeuge und einiges Kriegsmaterial an Ägypten geliefert.

Ein neuer Großstaat Beginnt sich am südlichen Mictelmeer und im Nordosten Afrikas abzuzeichnen: die Nachfahren der Pharaonen schidten sich an, ihr Erbe zu gewinnen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung