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Erzwungene Emigration: „Wie war das mit dem Glück?“

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In „Vier Schwestern“ und „Café Schindler“ spüren Ernst Strouhal und Meriel Schindler der wechselhaften Lebensgeschichte ihrer jüdischen Verwandten im Strudel der Geschichte nach.

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In „Vier Schwestern“ und „Café Schindler“ spüren Ernst Strouhal und Meriel Schindler der wechselhaften Lebensgeschichte ihrer jüdischen Verwandten im Strudel der Geschichte nach.

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Wie aus der Tiefe der Zeit gehoben erzählen zwei neue Bücher vom einstigen Wohlstand und der jähen Vertreibung zweier jüdischer Familien durch die Barbarei der NS-Herrschaft hierzulande. Die Schauplätze sind Wien und Innsbruck, und beide Male riss der Zwang zur Diaspora nicht nur tiefe Wunden in die Lebensgeschichte zweier arrivierter Familien, sondern ließ ihre Wirkungsstätten ärmer geworden zurück.

Die wahren Herren waren die Großväter. In Wien war es der aus Mähren eingewanderte Publizist Moriz Benedikt, der es nach 1900 zum steinreichen Herausgeber, Chefredakteur und alleinigen Besitzer der in der gesamten Monarchie einflussreichen Neuen Freien Presse gebracht hatte. Sein Sohn Ernst, ein feinsinniger Connaisseur und Liebhaber der schönen Künste, führte ab 1920 fünfzehn Jahre lang das liberal-konservative Blatt weiter, das sich früh schon mit dem vehementen Widersacher Karl Kraus konfrontiert sah. Die Benedikts führten ein großes Haus in der Grinzinger Himmelstraße 55, wo die vier Töchter des Zeitungsmagnaten bis 1938 eine turbulente Jugend verbrachten. Illustre Gäste wie Bruno Walter, Arthur Schnitzler, Stefan Zweig, Hermann Broch, Franz Werfel oder Thomas Mann genossen die Gastfreundschaft des Schöngeists Ernst Benedikt, den Karl Kraus verächtlich als „jungen Springinsgeld“ abgeurteilt hatte.

Von Wien in alle Welt

Nach Hitlers Einmarsch in Wien 1938 wurde das gar nicht immer idyllische, weil oft von Spott- und Streitlust geprägte Familienleben der Benedikts jäh zerstört. Die Familie musste fliehen, es zerstreute sie in alle Winde. Zwischen Stockholm, London, Paris, Zürich und New York wurde fortan, oftmals verzweifelt, versucht, den Zusammenhalt durch unzählige Briefe aufrechtzuerhalten. So wurde der Radius der Hauptfiguren – der vier Schwestern Gerda, Friedl, Ilse und Susanne sowie von deren Eltern Ernst und Irma Benedikt – unfreiwillig weit ausgedehnt.

Hier nun setzt die Familienchronik von Ernst Strouhal ein, einem Enkel von Ernst Benedikt und Sohn von dessen drittältester Tochter Ilse, die als Einzige nach dem Krieg nach Wien zurückgekehrt war. Strouhal hat die Vielzahl der Briefe, Notizen und Tagebücher gesammelt und daraus das ebenso fesselnde wie aufrüttelnde Gesamtbild dieser vielfach zersplitterten Lebensgeschichten rekonstruiert.

Im Zentrum steht der Vater, der während des Novemberpogroms verhaftet und fünf Tage lang grässlich misshandelt worden war. In einem erschütternden Brief an seine Töchter berichtete er später in der schwedischen Emigration über die Demütigungen und gewalttätigen Übergriffe, denen er im Zuge des Naziterrors ausgeliefert war. Danach gab es für die Familie in Wien kein Halten mehr, zumal auch die Villa in der Himmelstraße der Skrupellosigkeit von Ariseuren überlassen werden musste.

Die Töchter verschlug es in die unterschiedlichsten Exilorte. Aus der vorgezeichneten Bahn geworfen, hielten sie dank anerzogenen Selbstvertrauens stetig Kurs. Doch alle hatten um ein auskömmliches Leben in der Fremde hart zu kämpfen. Die Sehnsucht nach dem verlorenen Zuhause blieb beständig aufrecht. „Wie war das mit dem Glück?“, fragte sich die als einzige alt gewordene Susanne noch 80 Jahre nach ihrer Kinderzeit in der Himmelstraße.

Gerda, die Älteste, heiratete in den USA einen Wiener Psychoanalytiker und brauchte nach ihrer Trennung selbst eine Analyse. Die Zweitälteste, Friedl, begann bereits in Wien eine Beziehung zu Elias Canetti, der damals Nachbar der Benedikts in der Himmelstraße war, und setzte das prekäre Verhältnis in England jahrelang fort. Unter dem Namen Anna Sebastian etablierte sie sich auf Englisch als Romanautorin.

Ilse hatte in Zürich Medizin studiert und führte als kommunistische Ärztin bis zu ihrem frühen Tod mit nur 50 Jahren im Wiener Goethehof eine vielfrequentierte Praxis. In den frühen 1950er Jahren hatte sie unter mühsamen Umständen erreicht, dass die arisierte Villa restituiert wurde – die indes aus Geldnot gleich wieder verkauft werden musste.

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