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Franz Joseph L — eine Epoche

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Am 18. November 1916 stimmte Das Reicbävolksschulgesetz war wundernswert gehalten haben, be-

Kaiser Franz Joseph dem Vortrag des Außenministers von Bunan über das Friedensangebot der Mittelmächte zu, nachdem er kurz vorher dem Minister von Georgi erklärt hatte: „Drei Monate schaue ich noch zu, dann mache ich aber Schluß!“ Als der Monarch am 21. November, sein Reich mitten im Sieg intakt hinterlassend, die Augen schloß, war der Feldzug gegen Rumänien so gut wie gewonnen, der Überwindung der transsilvani sehen Alpen folgte am 22. November der entscheidende Donauübergang bei Sistow. Ob das Friedensangebot vom 12. Dezember 1916 Erfolg gehabt hätte, wenn noch die Autorität des Kaisers dahinter gestanden wäre, vermag niemand mehr zu beantworten.

68 Jahre vorher bestieg am 2. Dezember 1848 Franz Joseph den Thron, im Schlachtenlärm begann seine Regierung, wie sie bei Kanonendonner endete. Die von 1848 bis 1916 geführten Kriege füllten viereinhalb Jahre mit Kämpfen aus, bei denen aber 1864, 1878 und 1882 nur untergeordnete Kräfte in Verwendung standen. Die übrigen 64 Jahre waren totz öfterer militärischer Vorkehrungen (1850, 1853, 1854, 1887, 1908/09, 1912/13) doch eine lange Friedensepoche, denn der Kaiser wich jederzeit Kriegen aus. Noch am 15. November 1911 bemerkte er zu Conrad: „Meine Politik ist eine Politik des Friedens!“

eine Kulturtat ersten Ranges. Die Mittelschulen Österreichs erhöhten sich von 93 auf 375 und die Hochschulen standen im Zeichen der Vermehrung und einer durchgreifenden Umgestaltung. In Prag wurde eine tschechische, in Lemberg eine polnische Universität eröffnet, Ruthenen und Italiener hatten schon vor 1914 die Zusage für eigene Universitäten. Die Unterrichtsanstalten für Bodenkultur, Welthandel, Montanwesen und Tierarznei gewannen den Charakter vollwertiger Hochschulen, Spezialinstitute sorgten für die meteorologische dann für Geschichts- und Kunstgeschichteforschung, in 3106 Meter Höhe nahm das Sonnblickobservatorium seine Arbeiten auf. Vielfache Sammlungen erfuhren in den Hofmuseen, im Kunstgewerbe- und im Heeres- museum, in Aquincum, Aquileja und Carnuntum systematische Aufstellung.

Die Medizin war unbestritten weltführend, nicht minder die Musik, die sich in der Hofoper, im Konzerthaus und im Musikverein das Weltbürgerrecht sicherte. Von Dichtern und Schriftstellern fanden mehrere den Weg in die Weltliteratur, der das Hofburgtheater eine Heimstätte bot. Neben hochwertiger Bildhauerei hielt die Malerei jeden Vergleich mit dem Ausland aus und zeigte ihre Meisterwerke im Künstlerhaus und in der Sezession, während die Architektur ihre Triumphe in der „Ringstraßensymphonie“ feierte. Alle diese Leistungen, die von der geistigen Schöpferkraft der Völker Franz Joseph Zeugnis geben, sahen ihren Lohn in einer ansehnlichen Zahl von Nobel-Preisen.

Jahre des Friedens

In den Jahren des Friedens erlebte das aus den Trümmern von 1848/49 gerettete Reich eine bemerkenswerte Blüte. Als künstlerische Wahrzeichen des Hofes, der Volksvertretung und der Reichshaupt- und Residenzstadt Wien entstanden die neue Hofburg, das Parlament und das neue Rathaus, wie auch Budapest die neue Königsburg und sein gotisches Parlament errichtete. Wien stieg zur Weltstadt mit mehr als zwei Millionen Einwohnern auf, ihm konnte in den siebziger Jahren der Wienerwald als einzigartige Umrahmung erhalten werden. Ein vorbildliches Beamtentum wuchs heran, Bosnien und die Herzegowina entfalteten sich in drei Jahrzehnten zu einem Kulturland. Neben einer mustergültigen Justiz durfte sich Österreich nach Viktor Adler rühmen, 1891 die beste soziale Gesetzgebung der Welt zu besitzen, und Adolf Schärf hob hervor, „daß die Monarchie schon vor 75 Jahren ein Arbeitnehmergesetz schuf, das heute noch zu würdigen ist“. Wirtschaft und Handel machten Österreich-Ungarn zu einem gesuchten Partner auf dem Weltmarkt, in der Theorie glänzte die österreichische Schule der Nationalökonomie.

Erstleistungen 1848 bis 1916

Eindrucksvoll sind die Erstleistungen von 1848 bis 1916. In der Luftfahrt begegnen wir dem ersten Flugzeug „schwerer als die Luft“, den Anfängen des Hubschraubers, dann als einer der Voraussetzungen für die moderne Navigation der Mach-Zahl. Im Verkehrswesen sind zu verzeichnen das erste Benzinfahrzeug, schulemachende Konstruktionen im Brücken-, Lokomotiv-, Tunnel- und Schiffbau, die Wiener und Budapester Untergrundbahn, der nach österreichischen Plänen gebaute Suezkanal, die Korrespondenzkarte und die erste Briefmarke. Die Postsparkasse war ein Modellfall wie die internationalen Schweremessungen in der angewandten Geophysik. Als Pioniertaten der Kartographie gelten die Luftbildmessungen, die Stereoauto- graphie, der Farbenatlas und das in der ganzen Welt gepriesene Verfahren der Kartenherstellung. Photographie, Film, Rundfunk und Beleuchtungstechnik verdanken Österreich ihre Vervollkommnung, das auch Urformen der Schreibmaschine und des Elektromotors, die Zeitlupe und die Vererbungslehre lieferte. 1878 verfügte die Wiener Universität über das größte Fernrohr der Welt. Für bedeutende Errungenschaften nach 1916 schufen franzisko-jose- phinische Forscher Grundlagen: für die erste Luftverkehrslinie am Erdball, für die Quantentheorie und den Gedanken der Atomspaltung, für Großturbinen, für die Geometrie des vier dimensionalen Raumes und für den Weltraumflug.

Der oberste Kriegsherr

Franz Joseph trat 13jährig in die Armee, die in der Zukunft dem Thron die Hauptstütze sein sollte und bewies bei Santa Lucia und vor Raab hervorstechende Tapferkeit. Nach der Schlacht bei Magnenta übernahm er pflichtgemäß den Oberbefehl, mußte sich jedoch bei Solfe- rino geschlagen geben. Es spricht für seine hohe Ritterlichkeit und Kameradschaft, daß er nach der Niederlage alle Schuld auf sich nahm und seinen Generalstabschef Hess zum Feldmarschall beförderte. Für die zahlreichen Siege von 1849 bis 1916 beanspruchte der Kaiser als Oberster Kriegsherr keinen Ruhmanteil für sich, seine ausschlaggebende Leistung als Soldat besteht in der Bewahrung des einheitlichen Geistes seiner Wehrmacht und in deren Ausgestaltung bis zu den von den Parlamenten enge abgesteckten Grenzen. Aus dem Berufsheer mit Vorderladern entwickelten sich die Massen der allgemeinen Wehrpflicht mit Maschinenwaffen und Flugzeugen; daß sich Armee und Flotte als Verbündete und Gegner besser gerüsteter Großmächte bis zum Ende be stätigt den richtigen Weg der vom allerhöchsten Oberbefehl ausgewandten Wehrpolitik.

Der Kompromiß

In der Außenpolitik verfolgte Franz Joseph als Hüter der Donaugroßmacht im Bekenntnis zum Heiligen Römischen Reich, zum Deutschen Bund und zu mitteleuropäischer Zusammengehörigkeit die Idee der Mitte, unbeirrt durch den sogenannten Undank nach dem Krimkrieg. Die Balkanfragen diktierte Rußlands Haltung. Im Inneren beeinflußten nach 1848 Sozialismus und Nationalismus, die Auseinandersetzung mit Ungarn und die Sprachenprobleme die Politik, erschwert durch die von außen genährte Propaganda, der Vielvölkerstaat wäre eine Anomalie. Nach dem Zerfall richteten sich schwere Vorwürfe gegen den Kaiser, er habe eine Verfassungsänderung versäumt, sei wirksamen Entscheidungen ausgewichen sei gegen den Fortschritt gewesen und trage die Schuld am Kriege von 1914/18. Man bezog sich auf den „Bruderzwist in Habsburg“, der Matthias sagen läßt, es sei Habsburgs Fluch, „auf halben Wegen und zu halber Tat mit halben Mitteln zauderhaft zu streben“, übersah aber die Worte Rudolfs II., der seinem Hause Bestand prophezeite, „weil es mit eitler Menschenklugheit nicht dem Neuen vorgeht oder es hervorruft, nein, weil es einig mit dem Geist des All, durch Klug und scheinbar Unklug, rasch und zögernd, den Gang nachahmt der ewigen Natur“. Dies war direkt für Franz Joseph geschrieben, der genau wußte, wie ein multinationaler Staat, in welchem noch dazu Ungarn an einer von Österreich abweichenden Nationalitätenordnung festhielt, zu regieren und zu erhalten ist. Er verwarf im Ministerrat vom 12. April 1849 „halbe Maßregeln als unzweckmäßig“ und er zwang 1905 in der berühmten Fünfminutenaudienz die ungarische Opposition zum nachgeben, ganz nach Grillparzers Matthias-Wort: „Ja oder Nein, hier ist kein Mittelweg!“ Auf die Dauer aber mußte der Herrscher doch den Mittelweg, das heißt, den Kompromiß bevorzugen. Daß er aber jeden Fortschritt und Zugeständnisse ablehnte, ist durch den großen Gang der Dinge unter seiner Regierung widerlegt: vom Absolutismus zum Parlamentarismus, von politischer Unmündigkeit zum allgemeinen Wahlrecht in Österreich, von der Zensur zur Pressefreiheit, von der Elle zum Metermaß, vom Papiergulden zur Goldkrone, vom Konkordat zu dessen Aufhebung, von der Vormacht im deutschen und italienischen Raum zur in sich geschlossenen Donaumonarchie, vom Kaisertum Österreich zu Österreich- Ungarn, von der preußisch-italienischen Erbfeindschaft zum Bis- markschen Bündnissystem...

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