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Franz Joseph Ritter v. Büß

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Mitten im kältereichen Winter 1848/49 reiste ein Abgeordneter der Frankfurter Nationalversammlung nach Wien und an den Kaiserhof nach Olmütz, um Oesterreich und seinen jungen Kaiser Franz Joseph in letzter Stunde noch für seinen „deutschen Beruf“ zu gewinnen. Es war der Freiburger Universitätsprofessor und badische Hofrat Franz Joseph Büß, dessen Geburtstag sich am 23. März zum 150. Male jährt, eine der „markantesten Persönlichkeiten“ der erwachten katholischen Bewegung in Deutschland, Vertreter eines eigenartigen politischen und gesellschaftlichen Programms zwischen der „äußersten Rechten und der Linken“, das uns auch heute noch manches zu sagen hätte.

1837 hatte er als jüngster Abgeordneter Im badischen Landtag zum ersten Male in einem deutschen Parlament ein Arbeiterschutzgesetz verlangt (aber gleichzeitig auch auf den notwendigen Schutz des Gewerbes und des Bauernstandes als den tragenden Säulen des Volkes hingewiesen), um dem angehenden kapitalistischen Zeitalter energisch Zügel anzulegen. Seit 1846 kämpfte er als einziger bewußt-katholischer Abgeordneter im badischen Landtag für die Freiheit der im Staatskirch en-tum gefesselten katholischen Kirche, für die von den Liberalen heftigst bekämpfte Niederlassung der Barmherzigen Schwestern in Baden und für die Idee einer katholischen Universität. Er stammte aus einer kinderreichen, kleinbürgerlichen Schneiderfamilie aus Zell am Harmersbach (im Kinzigtal), einer jener kleinen “südwestdeutschen freien Reichsstädte, in denen noch der Gedanke an das Reich und an den Kaiser lebendig war, und er hatte im ehemaligen vorderösterreichischen Breisgau noch vielerlei Erinnerungen an die jahrhundertelange, segensreiche Herrschaft des Hauses Habsburg angetroffen. Im Oktober 1848, als er auf der Katholikenversammlung in Mainz von der Gründung seiner 400 badischen katholischen Vereine berichtete, wurde er spontan zum Präsidenten dieses ersten deutschen Katholikentages ausgerufen. Dort im ganzen katholischen Deutschland bekannt geworden, brachte ihn eine Nachricht in Bayern und Westfalen zugleich noch am 2. Dezember 1848 nach Frankfurt ins Parlament, wo er 'sich in den gerade anhebenden Vorbesprechungen um die Gestaltung des Reiches und der Reichsspitze als der entschiedenste Großdeutsche erwies.

Am 15. Dezember mußte der Oesterreicher v. Schmerling als Leiter des Frankfurter „Reichsministeriums“ gehen und Heinrich von Gagern Platz machen, der offen einem preußischen Erbkaisertum zustrebte. Oesterreich, das zu Beginn des „tollen Jahres“ durch die Revolutionen in Ungarn, Italien und Prag aufs heftigste erschüttert wurde, hatte sich unter Fürst Schwarzenberg wieder gefaßt und seine äußere und innere Freiheit wiederhergestellt, Schwarzenberg suchte für Deutschland eine große, mitteleuropäische Lösung, in der Oesterreich die führende Rolle zukam. Die nationale Bewegung der Männer der Paulskirche aber wollte nur die rein deutschen Kronländer aufnehmen, die mit nichtdeutschen Ländern nur in loser „Personalunion“ verbunden sein durften, was geradezu zur Sprengung des österreichischen Vielvölkerstaates geworden wäre. Für diesen Vielvölkerstaat, den Europa heute in bitteren Wehen erstrebt, hatte das Jahrhundert des Nationalismus kein Verständnis.

Damals, um die Wende 1848/49. begann sich die „kleindeutsche Lösung“ — das Wort wurde erstmals gebraucht — abzuzeichnen. Da entschloß sich der glühende großdeutsche Patriot Büß, der schon im Sommer bei seinen Versammlungen unter den Bauern im Hauenstein den jungen Franz Joseph als den künftigen Kaiser bezeichnet hatte, sich auf den Weg zu machen. Kurz nach Weihnachten jagte seine Kutsche im Eiltempo durch Oesterreich.

In Wien blieb Büß nur 24 Stunden, um alte

Freunde zu treffen. Gleich reiste er welter, um in Olmütz, wo sich der Hof aufhielt, den Fürsten Schwarzenberg und den jungen Kaiser zu sprechen.

Büß legte Schwarzenberg seinen bis Ins einzelnste ausgearbeiteten Plan über die Verbindung Deutschlands und Oesterreichs vor, und ging Artikel für Artikel mit ihm durch. „Den Grundgedanken fand der Fürst ganz praktisch, schon bei der zweiten Zusammenkunft waren wir über die Hauptpunkte einig“, schrieb Büß nach Hause. Fürst Schwarzenberg trug ihm auf, ein großes Expose für ihn auszuarbeiten. (Es scheint noch in einem dei österreichischen Archive zu schlummern.) Di« Grundkonzeption kennen wir aus anderen Reden und Schriften von Büß. Er hatte auch

Audienz bei der Kaiserinmutter Sophie, die er mit sicherem Blick „als den bedeutendsten Staatsmann bei Hofe“ erkannte, „die mehr Staatsblick und Mut habe, als mancher Minister“.

Zuletzt hatte er Gelegenheit, Kaiser Franz Joseph in seinem Kabinett eineinviertel Stunden allein zu sprechen. Er beschwor ihn, Deutschland nicht zu verlassen und den großen Augenblick nicht zu versäumen. Er bewunderte den jungen Kaiser, der die lange Rede „scharf auffaßte“. Büß wurde zur Hoftafel zugezogen und schrieb auf Ansuchen des Kaisers die Rede auf, um sie ihm ebenfalls schriftlich überreichen zu lassen. (Auch diese Rede müßte noch gefunden werden.) Schwarzenberg gab Büß wohl diplomatisch verbindliche Worte der Anerkennung, die aber keine Festlegung bedeuteten. Wir wissen heute, daß Schwarzenberg noch im Dezember geheime Verbindung mit Friedrich Wilhelm IV. führte, der zum letzten Male (gegen sein eigenes Ministerium) „die alte legitime, seit 1806 ruhende Krone teutscher Nation“ dem Habsburger zudachte und die Idee der Reichskreise und Wehrberz'vnutrier wieder aufgenommen hatte, aber sich als Rück-zugslinie doch die Erbkaiserkrone Preußens dachte. Aber die Kaiserkrone lockte Schwarzenberg nicht, zumal sie nicht ohne den berühmten Tropfen .demokratischen Oeles“ (wie Unland sagte) von seiten der Frankfurter Nationalversammlung zu erhalten war. Nur wenige Wochen später (4. Februar 1849) wird Schwarzenberg zum württembergischen Gesandten sagen: „Der Kaiser Franz Joseph hat seine Krone, er wünscht keine andere. Würde sie ihm angeboten, entstünde nur Verlegenheit; der Kaiser hat genug für sich zu tun.“ Freilich fügte er zugleich hinzu: „Allein, wenn die deutsche Kaiserwürde einem anderen Monarchen übertragen würde, so könnten wir dies nicht annehmen, hinauswerfen aus Deutschland lassen wir uns nicht,“ Damals hatte er noch seinen mitteleuropäischen Plan. Dieses Mitteleuropa, Deutschland genannt, wird außer Oesterreich in sechs Reichskreise geteilt, an deren Spitze ein siebenköpfiges Direktorium unter dem ständigen Vorsitz Oesterreichs steht, mit neun Stimmen, von denen Oesterreich und Preußen über je zwei, und Bayern über eine verfügte. In manchem deckte sich dieser Plan mit dem von Büß, und so konnte Büß vielleicht doch mit einem gewissen Recht sagen, er habe Schwarzenberg in seiner Kreiseinteilung bestärkt. Aber im Entscheidenden, der deutschen Kaiserwürde, wich der Plan von Büß ab.

Büß reiste nach Frankfurt zurück, nicht ohne in Prag sich noch mit den Böhmen, „den Hauptgegnern der deutschen Kaiserwürde Oesterreichs“, zu besprechen, und gab in Frankfurt der österreichischen Partei.„Mut und Richtung“.

Aber schon trieb die Frankfurter Nationalversammlung der entgegengesetzten Entscheidung zu. Die mitteleuropäische Politik Schwarzenbergs fand in Frankfurt keinen Boden, aber Büß suchte unentwegt zu intervenieren, um trotz aller Schwierigkeiten eine Zulassung Oesterreichs an führender Stelle zu erwirken. Als einziger hat er noch a.n 26. fänner 1849 gewagt, sich für die Erblichkeit der österreichischen Kaiserkrone einzusetzen, so stark behaupteten die „preußischen Erbkaiserlichen das Feld, und als endlich beschlossen wurde, die WaM des Reichsiber-hauptes einem regierenden Fürsten zu übertragen (gegen die Stimmen aller Großdeutschen, die ja wußten, daß damit nur der

König von Preußen gemeint war), stellte Buß den fast abenteuerlichen, aber in seinem Sinne konsequenten Antrag, den deutschen Kaiser am 1. Mai durch eine Abstimmung des ganzen Volkes wählen zu lassen, denn er, der die Bauern des Schwarzwaldes genau kannte, wußte, daß nur ein Habsburger-Kaisertum .im Gemüte des Volkes liege“, und diese Ueberzeugung hat er bewahrt, auch nachdem das Spiel in Frankfurt längst aus war. Noch einmal, am 20. März, hielt er eine große Rede für Oesterreich, sprach von der deutschen Gesinnung Oesterreichs, wie er sie auf der ganzen Reise getroffen hatte“, und von den großen Vorteilen, die Gesamtösterreich Deutschland bieten würde. Es m ü ß t e einfach eine Lösung aus der unlösbar scheinenden Spannung gefunden werden.

König Friedrich Wilhelm IV. wurde zum deutschen Erbkaiser gewählt, aber er nahm die Krone aus den Händen des souveränen Parlaments schließlich doch nicht an.

Buß hielt bis zuletzt in Frankfurt aus und schrieb schließlich, in seine Heimat zurückgekehrt, eine auch heute noch interessante Broschüre „Die Ternsche Einheit und die Preußenliebe“ (Stuttgart 1849). gegen Pfizer. Dort heißt es: „Das deutsche Kaisertum Oesterreichs hat in der großdeutschen Partei, soviel ich weiß, niemand von der Rednertribüne verlangt als ich. Ich aber habe es gewollt, einmal, weil ich weiß, daß das Kaisertum die dem Volk liebe Form der nationalen Regierung ist, während das Direktorium als eine zusammengesetzte und künstliche Verfassungsform die Neigung der Nation nicht gewinnen kann, sodann, weil ich weiß, daß die Mehrheit der Deutschen das deutsche Kaisertum Oesterreichs will, ... auch aus dem weiteren Grunde, weil die deutsche Kaiserwürde nun einmal dem österreichischen Kaiserhause gebührt, und zwar von Rechts wegen.“

Friedrich Wilhelm IV. und die Erbkaiserlichen (die „Gothaer“) verfolgten ihren Plan eines deutschen Bundesstaates ohne Oesterreich weiter im Erfurter „Unionsparlament“. Wieder wird Buß als Abgeordneter seines westfälischen Kreises dahin gesandt und war mit dem Rheinländer August Reichensperger der Führer der hoffnungslosen Minorität von nur 13 großdeutschen Abgeordneten, die noch nicht einmal stark genug waren, um als Fraktion das Recht zur Stellung eines Antrages zu haben. Natürlich wurden die Großdeutschen im Erfurter Parlament restlos überstimmt, Buß hat trotzdem noch einmal eine tapfere Rede für Oesterreich gehalten und eine zweite, da ihm das Wort weiterhin abgeschnitten war, wenigstens in einer Schrift an seine westfälischen Wähler veröffentlicht. Der Sieg der „Gothaer“ in Erfurt war übrigens umsonst; das staatsmännische Geschick Schwarzenbergs zwang mit Hilfe Rußlands Friedrich Wilhelm zur Konvention von Olmütz. Vieles wäre noch zu berichten von Büß“ treuer Freundschaft zu Oesterreich, die sich in schriftstellerischer Tätigkeit, in Sammlungen für Notleidende u. a. schönstens äußerte.

So ist es nicht verwunderlich, daß Kaiser Franz Joseph den treuen Mann, dem er schon 1860 den Orden der Eisernen Krone verliehen, am 1. Oktober 1863 als Ritter v. Büß in den erblichen Adelsstand erhob.

Das Jahr 1866, der unglückselige „Bruderkrieg“, der endgültig das Uebergewicht Preußens und das Ausscheiden Oesterreichs brachte, sah Buß am Grabe seiner Hoffnungen. Er konnte es einfach nicht begreifen, daß die deutsche Geschichte so enden sollte, und fiel in eine langjährige tiefe Schwermut, von der er sich nie mehr ganz erholte.

Aber was heißt „endgültig“ in der Geschichte? Buß vertraute auf die gesunden Kräfte des Volkstums, er gehörte (nach Schnabel) zu den Volkskonservativen, konservativ nicht im Sinne der Erhaltung überlebter Formen, sondern konservativ aus dem unerschütterlichen Glauben an die Grundkräfte der Nation: Heimat,' Volkstum und Religion. Mochte er damals in der Tagespolitik der achtundvierziger Jahre scheitern, so bleibt seine glühende Liebe zu Kirche und Volk und seine Idee vom organischen Aufbau des deutschen Reiches '«vergänglich auch heute.

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