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Gaste und Feste im Streicherhof

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(Fortsetzung und Schluß.) Mein Wissen über die Begebenheiten in der weiteren Familie danke ich zum großen Teile dem Tagebuche meiner Urgroßmutter Nanette und dem meines Großvaters J. B. Streicher. Diese Tagebücher nebst dem Großteil seiner inhaltreichen Autographensammlung schenkte Großvater meinem Vater Im Jahre 1870, also ein Jahr vor seinem Ableben. Es war eine Entschädigung dafür, weil nicht er, sondern sein jüngerer Bruder Emil, der die Klavierfabrik nach Großvaters Tod weiterführen sollte, deshalb von diesem zum Universalerben eingesetzt worden war.

Großvater nahm aus der Sammlung nur einige Autogramme heraus, die dem Universalerben Emil verblieben. Es waren einige eigenhändig gesdiriebene Briefe Schillers an Andreas Streicher, Briefe von Schillers Schwester und Sohn, Briefe von Mozarts Witwe und Mozarts Söhnen, von Theodor Körners Vater, von Robert und Clara Schumann, von Mendelssohn, Brahms und Liszt, endlich ein Briefwechsel zwischen Wien und London über Beethovens Tod.

Diese Sammlung kaufte die Wiener Nationalbibliothek anfangs 1923, 52 Jahre nach Großvaters Tod.

Und nun zum Schicksal des größeren Teiles der Sammlung, die meinem Vater zufiel. Er hütete sie wie seinen Augapfel. Verwahrt in einer großen Wertheimkassa neben seinen Wertpapieren, zeigte er die Sammlung niemals Verwandten oder Freunden. Es war allen Familienmitgliedern strengstens untersagt, zu irgend jemand über die Sammlung zu sprechen. Vater fürchtete in seiner Menschenscheu, von Interessenten überlaufen zu werden. Mich und meine Geschwister interessierte die Autographensammlung nicht so sehr. Am mejsten imponierte uns noch eine Partitur von einer unbekannten Mozart-Oper, vom Meister selbst geschrieben. Ein dickes Konvolut von Notenpapier, ganz voll von Notenköpfen und unzählige Male ausgebessert. Es war uns ein Rätsel, wie man das spielen und, singen sollte. Es war einem Fürsten gewidmet„ dessen Name auf der' ersten Seite stand. Leider habe ich ihn vergessen.

Diese Autqgraphensammlung enthielt Kostbarkeiten, die heute mit Gold aufgewogen würden. Es waren Briefe von den meisten europäischen Potentaten darunter. So zum Beispiel von Louis XVI. und Maria Antoi-nette und vom Kaiser Maximilian von Mexiko!

Viele Politiker waren mit Briefen vertreten: Fürst Kaunitz, Metternich, Bismarck usw. Auch viele berühmte Generäle: zum Beispiel Gneisenau, Radetzky und Moltke.

Die größte Mappe enthielt Briefe von Dichtern und Musikern. Zwei Briefe Theodor Körners • an seine Braut, die Burgschauspielerin Adamberger, die nach Körners Soldatentod Herrn von Arneth heiratete. Aus dieser Ehe ging der bekannte Historiker und Direktor des Hof- und Staatsarchivs Exzellenz Freiherr von Arneth hervor, der Biograph der Kaiserin Maria Theresia. Die Sammlung enthielt auch viele Briefe Beethovens, namentlich seine zahlreichen Laufzettel mit Notrufen an meine Urgroßmutter Nanette Streicher.

Leider ging diese wertvolle und unersetzliche Autographensammlung von vielen hun-derten Briefen interessanter Menschen im Jahre 1884 in Flammen auf, da sie mein armer Vater in geistiger Umnachtung nebst seinem Besitz an Wertpapieren verbrannte. Diese wurden teilweise durch Amortisation gerettet, während die Briefe und die beiden Tagebücher von meiner Urgroßmutter Nanette und von meinem Großvater, die mitver-brannten, endgültig verloren waren. Das wenige, was ich noch aus letzteren in Erinnerung habe, ist zum Teil in diesen Blättern enthalten.

Den Inhalt der Sammlung weiß ich deshalb noch so ziemlich genau, weil ich nach -dem Tode meines Vaters, mit Hilfe meiner Mutter und meiner älteren Geschwister eine Liste der verbrannten Schätze nach dem Gedäditnis anlegte und mich bei einem Fachmann, einem Antiquaren, nach dem beiläufigen Wert dieser Schriften erkundigte. Besser wäre gewesen, ich hätte es nicht getan. Eine so große Summe durch den Verlust der Wertpapiere verlorenging — der Verlust, den wir durch die Vernichtung der Autogramm erlitten, war noch viel größer. Der Antiquar sagte, Großvater müsse Tausende für diese Sammlung geopfert haben. Nun aber war Großvater tatsächlich sehr sparsam und wollte seinen Kindern immer ein gutes Beispiel geben. Deshalb be'trieb er wohl die Ankäufe für seine Sammlung ziemlich geheim und sprach nie darüber. In der Familie war auch kaum je davon die Rede.

Nun aber weiter zu den Persönlichkeiten, die im Streidierhof verkehrten.

Der bekannte Burgschauspieler LaToche war ein alter Freund meines Großvaters und kam daher häufig zu Besuch. Er war, wie Großvater stets betonte, hochgebildet und zeichnete sich durch besondere Liebenswürdigkeit aus.

Bürgtheaterdirektor Heinrich Laube, der Autor der „Karlsschüler“, die im Burg-t'neater wiederholt aufgeführt wurden, erschien oft im Streicherhof. Mein Urgroßvater Andreas kam in dem Stück als Schillers Jugendfreund vor. Es ist daher möglich, daß Laube ich von Großvater verschiedene Informationen holte. i

Ein einziges Mal war Grillparzer im Streicberhof. Das Buch von Andreas Streidier über „Schillers Flucht von Stuttgart nach Mannheim“ war ihm in die Hand gekommen, und er wollte mit Großvater über verschiedene Episoden, die in diesem Heftchen geschildert wurden, sprechen. Grillnarzer war ein sehr ernster alter Herr über Mittelgröße und von auffallender Magerkeit. Er unterhielt sich über eine Stunde mit Großvater, der ihm alle Reliquien, die er von Schiller besaß, zeigen mußte. Großvater freute sich sehr über Grillparzers Besach, den er als einen der hervorragendsten Dichter hoch einsdiätfte.

Gelegentlich sprach Großvater im Kreise der Familie über die Besucher des Hauses Streicher und erwähnte, daß in seiner Jugendzeit Beethoven hier aus- und eingegangen sei wie ein Familienmitglied. Und wie er uns jetzt von diesem erzählte, habe ihm sein Vater von Mozart und von dessen Sorgen und Schwierigkeiten im Leben beriditet. Audi Haydn, Salieri, Chopin, Gounod usw. haben im Hause verkehrt. Er selbst mußte als Knabe wiederholt die von seiner Mutter *Nanette gestopfte Wäsche zu Beethoven tragen, immer wieder an eine andere Adresse, da dieser fortwährend die Wohnung wechselte. Beethoven hielt ihn immer auf und ließ ihn nicht fortgehen, da er ihm zum Dank ein kleines Geschenk machen wollte, wahrscheinlich Süßigkeiten. Er suchte in allen Kasten, fand aber nie etwas. Darüber war er scheinbar betrübt und streichelte Großvater, gleichsam tröstend, Haare und Wangen. So entstand eine peinliche Situation. Großvater wußte nicht, ob er gehen oder bleiben sollte, da er sidi mit Beethoven, bei dessen Schwerhörigkeit, kaum verständigen konnte. 'Er bat seine Mutter, ihn nicht mehr zu Beethoven zu schicken, was er später, nach des Titanen Tod, sehr bereute.

Großvater erzählte auch wiederholt und schrieb in seinem Tagebudi darüber, wie sehr sich sein Vater aufgeregt und gekränkt habe, daß sich Beethoven während seiner Todeskrankheit nach England um finanzielle Hilfe gewandt habe. Er hätte mit Beethoven das letzte Stück Brot geteilt, wenn er erfahren hätte, daß sich dieser in Not befände. Er habe aber bestimmt gewußt, daß dies nicht der Fall sein könne, da ihm Beethoven sffest wiederholt Andeutungen über sein kleines Vermögen, gemacht hatte. Er wisse also, daß dieses beiläufig zehntausend Gulden betragen haben müsse. Auch davon war mein -Urgroßvater überzeugt, daß Beethoven sich niemals selbst nadi England gewendet hat, das müsse ein anderer in seinem Namen und ohne sein Wissen gemacht haben. Er konnte aber nie herausbringen, wer' es gewesen ist.

Diese Angaben meines Urgroßvaters haben sich naditräglich als richtig herausgestellt. Bei der Hinterlassenschaftsaufnahme wurde ermittelt, daß Beethoven über 8000 Gulden Conventionsmünze in Wertpapieren und etwa 100 Gulden, Bargeld hinterlassen hat. Somit konnte von einer Notlage Beethovens keifte iRede sein.

Auch mit Franz Schubert hatte mein Großvater anfangs der 1820er Jahre eine Begegnung. Er erzählte darüber folgendes: Er war allein im Hause, sein Vater hatte auswärts zu tun. Da ging die Türe auf, ein schüchterner junger Mann mittlerer Größe mit rundem, freundlichem Gesicht, das von einem gewaltigen Haarwald umrahmt war, trat ein und fragte, ob er Herrn Streicher sprechen könne. Auf Großvaters Antwort, daß er das selbst sei, stellte sich Schubert vor und sagte, er möchte gerne einen Liederabend im Hause veranstalten, ob das wohl möglich sei. Großvater bejahte, sagte aber Schubert, daß er das Nähere mit seinem . Vater, der aber nicht zu Hause sei, abmachen müsse. Dann sah Schubert die Klaviere sehnsüchtig an und.fragte ängstlich, ob es wohl erlaubt wäre, eines derselben zn versuchen? Großvater stellte ihm all zur Verfügung und Schubert setzte sich hin und phantasierte eine 'Weile. Er hatte kurze, dicke Finger, spielte aber unendlich zart und gefühlvoll. Endlich erhob er sich, lobte das Klavier und sagte seufzend: „Ein schönes Instrument, wenn man sich das kaufen könnte!“ „Das können Sie gewiß, Herr Sdiubert“, sagte Großvater. „Wenn Sie morgen mit meinem Vater über den Liederabend sprechen werden, sagen Sie ihm auch, daß Sie ein Klavier zu erwerben Wünschen. Er wird Ihnen gewiß derartig entgegenkommen, daß der Kauf zustandekommt.“

Großvater reiste am nächsten Tag von Wien ab und blieb fast zwei Jahre in Paris, wo er bei „Erard“ arbeitete und den Betrieb gründlich kennenlernte. Das Konzert von Sdiubert kam aber später zustande. Er begleitete selbst am Klavier seine Lieder, und gesungen hat ein Baron, dessen Name mir entfallen ist.

Interessant ist noch der Umstand, daß Großvater von seinem Vater tausend Gulden Zehrgeld auf die Reise mitbekam. Bei seiner Rückkehr nach zwei Jahren legte er die tausend Gulden wieder vor seinem Vater auf den Tisch. Er hatte sich durch seine Arbeit selbst erhalten. Gewiß ein Zeichen von großer Tüchtigkeit.

* Professor Freiherr von Rokitansky, eine Leuchte der Wiener medizinischen Fakultät, kam audi manchmal in die Ungargasse 27. Einmal fragte ihn Großvater, als er wiederholt von seinen Söhnen sprach, welchen Beruf die Söhne ausübten. Rokitansky antwortete: „Der eine heilt, der andere heult.“ Als ich das hörte, fragte ich vorlaut: „Hat er schlechte Noten bekommen, daß er weint?“ — Rokitansky sagte lachend: „Ach nein, so ist das nicht, mein Kind. Er hat nur gute Noten, sonst würde er ja falsch singen. Mit heulen habe ich singen gemeint. Der eine Sohn ist Sänger, der andere Arzt.“ In diesem Augenblick kam ein großer, starker Mann bei der Türe herein und grüßte in tiefstem Baß. Es war der singende Sohn Rokitanskys. Er soll die tiefste Stimme gehabt haben, die je in der Oper gehört wurde.

Maler Hans Makart, der FarbenzaubeTer, kam auch einmal zu Besuch. Begleitet wurde er von der Prima-Ballerina der Hofoper namens Linda. Makart war ein kleiner Mann und trug einen schwarzen Voljbart a la

Andreas Hofer. Gesprochen hat damals nur die Linda, wahrscheinlich war es später auch so, nadidem sie mit Makart verheiratet war. Linda war eine der schönsten Frauen Wiens, für die Makart so schwärmte, daß er ie schließlich heiratete.

Der reiche Bierbrauer Dreher besuchte auch manches Mal meinen Großvater. Er war von langer, hagerer Statur und steckte in einer ganz ngen, karierten Pepitahose. Dazu trug er einen lächerlich kurzen, gelben Überzieher und einen sogenannten Stößer. In der

Hand hielt er stets ein dünnes Bambus-stöckchen. Er kam bei unsicherem. Wetter stets mit einem offenen „Neutitscheiner“ und außerdem in einem geschlossenen Coupe. Beide Wagen waren mit prachtvollen „Juckern“ aus Drehers eigenem Gestüt bespannt. Je nach der Wetterlage saß er im offenen Wagen oder im Coupe, der zweit v Wagen mußte leer nachfahren. Er lud um oft ein, mit ihm einmal zum Rennen in die Freudenau zu fahren, aber Großvater lehnt zu meinem Leidwesen stets ab. Dreher kaufte wiederholt gleichzeitig mehrere ganit gleiche Klaviere, die er für seine verschiedenen Etablissements brauchte.

. Als Großvater ihm einmal vorschlug, doch' einen der Flügel, die er kaufte, zu probieren, erwiderte er: „Probieren Sie's Bier, bevor's Ihna a Krügel von mein Bier kaufen? — No schn's, Sie wissen, daß mei Bier gut is und i weiß, daß Ihnere Instrumente gut san. Probieren war — Godigkeif — a Beleidigung!“

Die berühmte Heroine des Burgtheaters Charlotte Wolter, die stets von einem Grafen begleitet wurde, kaufte Großvater auch manches Klavier ab. Sie sagte ihren Besuch immer vorher an, und zwar kam sie immer nur am Abend. Der Saal mußte in voller Beleuchtung erstrahlen. Dann setzte sie sich bald vor ein braunes, bald vor ein schwarzes Klavier und fragte fortwährend den Grafen und wohl auch Großvater, welcfTer Flügel besser zu ihren Haaren und ihrem Teint paßte. Dabei betrachtete sie sich ständig in den Spiegeln, die in die Wände des Saales eingelassen waren. Es dauerte immer eine geraume Zeit, bis ihre Wahl unter den vielen Instrumenten getroffen war. Bei ihrer Wahl kam es auf die Farbe und nicht auf den Ton an.

Eine der besten Kundschaften Großvaters war der Grandseigneur Graf Estcrhazy. Wenn der Graf angesagt war, wurde stets auch der zur damaligen Zeit berühmteste Walzerspieler Wiens, namens Dorner, bestellt. Er mußte auf den verschiedenen Klavieren, die de Graf berechnete, Czardas spielen. Einmal hörte ich wie der Graf zu Herrn Dorner sagte: „Ich bitte sehr, Sie sind ein vortrefflicher Künstler. )di werde-mir erlauben, bitte sehr, Linen einzuladen zu mir nach Ungarn, damit Freinde auch sollen hören, bitte sehr, wie schön Sie spielen Ungarlied.“ Zum Schluß reckte er Herrn Donier immer eine Handvoll Dukaten zu.

Tatsädilidi verbrachte Dorner künftighin einen großen Teil des Jahres in Ungarn, wo er dem Grafen und dessen Freunden „Ungarlied“ vorspielte. Dorner wurde dick und fett und war ein lebender Beweis für den stolzen Spruch: „Extra Hungariam non est vita!“

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