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Gegen Halbbildung und Fanatismu

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Im Rahmen der Kardinal-New-man-Feier, die von der katholischtheologischen Fakultät der Universität Wien aus Anlaß des hundertsten Gedenktages der Konversion des großen englischen Kirchenfürsten veranstaltet wurde, sprach Univ.-Prof. Dr. Alois Dempf über „W i s s e n und B i 1 d u n g“.

Die letzte stille Stunde Europas, bevor der Lärm der Industrialisierung und gar der Kriegslärm unseres armen Jahrhunderts heraufkam, so betonte einleitend Professor Dempf, war die Zeit der Romantik. Aber sdion in ihr drohten von ferne her die Gewitter, die dann wirklich heraufgekommen sind, obwohl sie beschworen wurden von den beiden großen religiösen Reformatoren des 19. Jahrhunderts Sören Kierkegaard und John Henry N e w m a n.

Im D e u t s ch 1 a n d des Vormärz erhöhte Hegel den Staat zur ersten, ja alleinigen Lebensmacht unter dem falschen Titel der „Freiheit des Geistes“ und zu dem Zweck auch den Altprotestantismus umzubilden und umzufälschen, kam er zum Prinzip der freien Forschung statt der positiven Offenbarungsgläubigkeit, zum Prinzip der Arbeit satt der geistlichen Armut und zum Prinzip der Fruchtbarkeit statt der Keuschheit. All das nannte Hegel das „germanische Reich“ im Gegensatz zum Romanismus.

Dieser Liberalisierung des Christentums hat sich der junge Däne Kierkegaard entgegengeworfen. Aber das strenge entschiedene Christentum der Staatskirche seiner Zeit verkündend, brach er unter der Last der Einsamkeit, der Verkennung und Verhöhnung zusammen und starb vierzigjährig 1855. Erst fünfzig Jahre nach seinem Tod, als sein Werk ins Deutsche übersetzt wurde, begann seine große Wirksamkeit auf den deutschen Geist, gerade noch rechtzeitig, nachdem die Auflösung des Protestantismus in bloße Frömmigkeit, und des Pantheismus in reine Gottlosigkeit schon so weit vorgeschritten war, daß im Hitlerreich statt des Kreuzes das weiße Pferd auf westfälischen Altären stand. „Damals“, so führte Prof. Dempf aus, „in der höchsten Not der Selbstauflösung des deutschen Protestantismus, hat mir der Nachfolger Karl Barths gestanden: .Es ist providentiell, daß uns der Kirchenkampf erst 1933 traf, vor zehn Jahren nodi hätten wir ohne Kierkegaard nicht einmal gewußt, was Kirche ist.“ In England siegte der Liberalismus schon 1830. Obwohl in einem reichen und glücklichen Land geistige Bewegungen niemals radikal zu verlaufen pflegen, konnte es auch dort nicht ausbleiben, daß sich in der anglikanischen Kirche Liberalisierungserscheinungen zeigten. Neigung zur Auflösung des Christenglaubens in eine rein innerweltlidie Frömmigkeit, ja gelegentlich ein edles und feines Freimaurertum. Dem warf sich ein Jugendbund entgegen:

Die Oxfordbewegung sind N e w m a n und seine Freunde, wie er sie in der „Apologia pro sua vita“ porträtiert hat. Aber um das zu verstehen, muß man wissen, was Oxford ist: Die Weisheit hat sich da ein Haus gebaut, eine Universitätsstadt, von der wir uns kaum eine ausreichende Vorstellung machen können. Dort bilden 19 Kollegien und sieben Halls mit fünfzig großen Gebäuden eine ganze Stadt, die Universität und die Suburbs verschwinden daneben. Da wachsen unverbrüchliche Jugendbünde fürs ganze Leben, die wie eine geordnete Schlachtreihe sind, wenn es um Oxford geht, geführt von Pädagogen, Tutoren, die ganz anders mit ihren jungen Freunden verwachsen sind, als alte Forscher und Professoren. Meist Theologen, die von Oxford aus die ganze Nation aufrufen können.

In dem Kampf um dogmatische Festigkeit, Gnadenordnung und die sakramentale Lebensform in der anglikanischen Hodi-kirche hat Newman seine philosophische Denkform gefunden, die via media, die Entscheidung für die rechte Mitte ist die Austreibung der falschen Extreme. Via media war damals der Anglikanismus zwischen Luthertum und Papsttum. Der dreißigjährige Newman schenkte seiner Kirche eine neue philosophisch-soziologische Dogmatik im Rückgriff auf die großen Theologen des 17. Jahrhunderts, vor allem aber auf die Väterzeit, wo er mit Recht schon im Arianis-mus die Liberalisierung des Christentums seiner eigenen Zeit vorgebildet fand und im großen Athanasius ihren siegreichen Gegner.

Mitten im Väterstudium überfiel nun förmlich Newman die folgenschwerste Erkenntnis seines Lebens, daß der Anglikanismus Monophysitentum ist, wie er selbst mit einem einzigen Begriffe ausdrückt. Das zwang ihn schließlich in die katholische Kirche. Der Monophysitismus sieht in Christus nur den Gott, die Ephiphanie von oben, wie der Pelagianismus eine rein ethische Auffassung des Christentums ist und darum in Christus nur den Menschen sieht. So aber ist der Katholizismus die via media, die rechte Mitte zwischen der rein mystischen Gnadenauffassung und der rein ethischen Selbstvollendungsforderung. Die schweren seelischen Erschütterungen, unter denen sich Newman in langjährigem Kampf entschloß, sich vom Jugendbund der Oxfordbewegung zu lösen, schildert die Apologia pro vita sua und menschlich noch ergreifender sein Roman „Gewinn und Verlust“.

Nach sieben Jahren des Schweigens wurde seine gewaltige geistige Kraft von der katholischen Kirche Englands und Irlands für die Erriditung der katholischen Universität für Irland eingesetzt. Newman hat die Aufgabe nicht nur als erster Rektor glänzend in der Praxis gelöst, ihr ist auch sein wichtigstes philosophisches Werk: „Wesen und Wirken der Universität e n“, ru danken, das einzige philo-sophisdie Werk über die Universität. Die Form, in der in diesem Werke die Frage der richtigen Wissensvermittlung und der besten Bildungsverfassung erörtert wird, ist wieder die via media, Aus wägung der Vorteile und Nachteile der

zwei großen Gestaltungsformen des Geistesreiches der Professorenuniversität einerseits und des Pädagogenkollegiums andererseits, wie sie hier sich zuletzt in der deutschen Forscheruniversität und dem englischen Gentlemanbildungscollege gegenübergestanden sind,

vor allem aber die Auffindung ihrer richtigen Verbindung. Es war nach der schöpferischen Übersetzung Shakespeares durdi die Schlegel und Tieck eine Gegengabe des deutschen Geistes an den englischen, daß einer der führenden Männer Oxfords aus dem Ideal der deutschen Forscheruniversität ersah, wie über den Humanismus hinaus die neue irische Universität auf noch etwas anderes gegründet sein müßte, nämlich auf die Universitas magistrarum et studentium.

Geistesgeschichtlich gesehen ist es der genialste Zug am Newmans Werk, daß er aus dem inneren Verständnis der Sache selbst entdeckte, daß Universität ursprünglich nicht Universitas litterarum, sondern Universitats magistrorum et studentium heißt, Innung, Genossenschaft der Lehrer und Schüler, also ein soziologischer Begriff ist. Newman hat dies drastisch so ausgedrückt, daß es beim Lehrer und Schülerverhältnis auch auf Angebot und Nachfrage ankommt. Die Universität ist erst seit dem 15. Jahrhundert eine Institution mit fester Ordnung, seit die Landesherren für die Beamtenausbildung zu sorgen beginnen. In den aufgewühlten Jahrzehnten der Erstgründungen im 12. und 13. Jahrhundert waren die großen Lehrer der neuen scholastischen Methode, der klaren Sentenz und der Lehrentscheidung zwischen Streitfragen die ganze Universität und sie zogen die Scholaren aus allen Ländern des Abendlandes an sich.

Wenn die Universität zu einer geistigen Lebenshaltung und zur Objektivität erziehen soll — fuhr Prof. Dempf fort —, wenn die strenge Wissenschaft wieder geachtet werden soll, dann muß ihr Wert vom Hörer empfunden werden können aus dem Ernst, mit dem Lehrer und Forscher bei der Sache sind; es braucht und soll kein Meister-Jünger-Verhältnis sein, denn es geht nidit um Pathos, aber um das Ethos des Vertrauensverhältnisses, der Gewissenhaftigkeit des Gebens und Nehmens. Der Logos muß aufleuchten, jene hohe Rationalität, die in den Dingen selbst liegt. Und so ist freilich die Universitas litterarum auch vonnöten.

Newman konnte noch nicht ahnen, wie weit sidi die Forscher- und Professorenuniversität in die Spezialisierung verlieren sollte, weil man Forscherakademien und sinnvollen Lehrbetrieb nicht scharf genug trennte, so daß zum Beispiel vier Teile der Logik je in Marburg und Graz, in Freiburg und Wien gelesen wurden, aber die ganze Logik nirgends. Heute aber besteht eine neue Hoffnung auf Klarheit.

Die Wissenschaften nähern sich einander wieder, in der Naturwissenschaft ist es schon so weit, daß eine nüchterne Naturphilosophie nicht mehr halbmythologische Monismen vorzuführen braudit, sondern von der empirischen Forschung her wieder an die letzten Fragen und letzten Dinge rühren kann, an die Zeitlichkeit und Endlichkeit der Welt, ja an die Weltentstehung, daß ihr die Einheit des Lebens nidit mehr ein Götzenbild ist, sondern sinnvoll gefragt werden kann, ob und wie das Leben im Dienst des Menschen steht und Ausdruck und Symbol seines hohen Urbilds ist, daß aber nicht der Mensch nur eine Fehlgeburt der Natur ist.

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