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Gelehrter, Abenteurer, Hofrat

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Johannes von Müller. Briefe in Auswahl. Herausgegeben von Professor Dr. Edgar Bonjour. Benno Schwabe & Co. Verlag, Basel. 395 Seiten. Preis 19 sfr.

Professor Dr. Edgar Bonjour hat den bisher erschienenen Sammlungen von Briefen des seinerzeit hochgeschätzten Schweizer Historikers Johannes von Müller eine neue angereiht, welche diesmal sein Leben und Wirken verfolgen läßt. So manche seiner deutschen Zeitgenossen haben den 1752 Geborenen die Wandlungen, häufig nur ein zeitbedingtes Revidieren seiner Anschauungen, verargt, ohne den das alte Europa erschütternden Ereignissen Rechnung zu tragen. Sie bedachten nicht, daß der dem deutschen und französischen Kulturkreis gleicherweise angehörende Schweizer in keinem Teil des Heiligen Römischen Reiches beheimatet war. internationaler als seine Antagonisten sein durfte, ohne daß ihm daraus ein Vorwurf erwachsen konnte. War es überdies nicht schon seit Jahrhunderten gang und gäbe, daß Schweizer in fremde Dienste traten und als Soldaten sogar ihr Leben in Erfüllung beschworener Pflicht einsetzten?

Nach Absolvierung der Göttinger Universität zum Professor der griechischen Sprache ih Schaffhausen ernannt, zog er bald nach Genf, wo er 1780 den ersten Band seines Lebenswerkes „Geschichte der Schweizer" herausgab, der jedoch mit dem falschen Erscheinungsort Boston versehen werden mußte. Durch diese Behinderung seiner Arbeiten angewidert — „Ist’s im Uebrigen der Mühe werth. für diese Leute zu arbeiten", klagt Müller —, faßte er den Entschluß, sich in Preußen niederzulassen. Trotzdem Friedrich II. den jungen Historiker wegen dessen „Essais historiques" zu ich befahl und ihm versprach, sich für seine Aufnahme in den Staatsdienst einzusetzen, fand er in Preußen kein Unterkommen, hingegen einen Förderer, durch den er eine Professur am Collegium Carolinum in Kassel erhielt. Hier verfaßte er in Zusammenhang mit den Reformen Josephs II. die heftig umstrittene Schrift „Reisen der Päpste", in der er „die Hierarchie als Schutzwehr der Völker gegen fürstliche Gewaltherrschaft" pries. Im katholischen Deutschland, selbst in Rom beifällig aufgenommen, erregte sie anderseits den Unwillen der protestantischen Kreise gegen den sich zur helvetischen Konfession bekennenden Autor.

Seine Abhängigkeit von den Schweizer Archiven bewog Müller, schon nach zwei Jahren sich in Genf und hierauf in Bern niederzulassen. Inzwischen war er ein so allgemein geschätzter Schriftsteller geworden, daß der Kurfürst und Etzbischof von Mainz, Karl Josef von Erthal, trotz seinem Glauben, ihn zum Hofrat und Bibliothekar ernannte, ihn sogar wegen der Wahl Dalbergs zum Koadjutor nach Rom sandte. Als Müller wegen zahlreicher Differenzen mit dem Hofkanzler Albini seine Entlassung nehmpn wollte und die Höfe von Wien und Berlin ihn zu gewinnen suchten, ernannte ihn der Kurfürst zum Geheimen Staatsrat und ließ ihn durch Kaiser Leopold II. in den Reichsritterstand erheben. Diese Gunstbezeugungen hinderten Müller, der ein größeres Betätigungsfeld anstrebte, keineswegs, in Wien selbst nach einer Stelle Umschau zu halten. Er wurde bald wegen der Besetzung von Mainz durch die Franzosen in seinem Entschluß bestärkt und kehrte als Geheimer Hofrat nach Wien zurück. In den elf hier verbrachten Jahren hat er die Politik des Wiener Kabinetts in vielbeachteten Schriften gerechtfertigt. Er erhielt die Stelle des ersten Kustos der Hofbibliothek, die ihm Zeit und Muße ließ, seine Arbeiten fortzusetzen. Allein das Verbot, die weiteren Bände seines Lebenswerkes sogar im Ausland erscheinen zu lassen, und daß ihm die durch den Tod van Swietens erledigte Präfektur nicht übertragen wurde, bestimmte ihn, in preußische Dienste überzutreten.

Als die Franzosen nach dem Zusammenbruch bei Jena in Berlin einzogen, entschloß sich Müller, hier die Dinge an sich herankommen zu lassen. Dank dem Ansehen, das er hei Napoleon I. genoß, wurde er von den Lasten der Okkupation befreit. Der Kaiser, welcher bereits damals an die Gründung eines westdeutschen Staates dachte, sah in Müller, der in die österreichische und preußische Politik Einblick genommen hatte, den prädestinierten Berater seines Bruders Jérôme. Am 20. November fand die für das Leben Müllers entscheidende Unterredung mit Napoleon statt, die anderthalb Stunden dauerte, wodurch der Beginn des Hofkonzertes verzögert wurde. Der Kaiser, welcher es meisterhaft verstand, seine Gesprächspartner durch anerkennende Worte sofort zu kaptivieren, begann mit der Aufforderung, Müller möge die Geschichte seines Vaterlandes vollenden; auf den vorläufigen Hauptzweck übergehend, gab er seinen „sehr guten Willen zu erkennen", die Beziehungen mit der Schweiz zur beiderseitigen Zufriedenheit zu gestalten, „wenn wir (die Schweizer) uns in nichts Fremdes mischen und im Innern ruhig bleiben Es ist noch sehr viel und in der Tat über fast alle Länder und Nationen gesprochen worden Durch sein Genie und seine unbefangene Güte hat er auch mich erobert."

Die Müller auf Napoleons Befehl eingeränmten Begünstigungen erregten begreiflicherweise den

Neid, seine lange Unterredung vor dem Hofkonzert den Argwohn der in Berlin zurückgebliebenen „gebildeten Welt", deren Angriffe den Schweizer Historiker nach seinem Vortrag „A la gloire de Frédéric" bewogen, aus den preußischen Diensten zu treten. „Diese Frauen und ihnen gleichgesinnten Männer haben mir recht übelgenommen, daß ich französisch vorgeiesen, daß ich Friedrich erhoben, daß ich die Nation der Schonung des Siegers empfohlen, und ein paar, wirklich ganz kleine Weihrauchkörnchen hingeworfen habe.. . Auch bin ich es ganz satt; es kann hier nicht wieder gut -werden."

Friedrich Gentz, der Müller wiegen seiner Zurückhaltung in den damals schwebenden Fragen beargwöhnte, sagte sich nun von ihm in einem von ungerechtfertigten Vorwürfen strotzenden Brief los. „Verleitete Sie irgendein schnödes Interesse, irgendeine niedrige, knechtische Furcht, wider bessere Ueberzeugung zu schreiben?" Vergeblich setzte sich Goethe in der „Jenaischen Allgemeinen Literaturzeitung" für Müller ein: „Die kurze Rede (über Friedrich II.) verdient in der Ursprache und in Uebersetzung von Ausländern und Deutschen gelesen zu werden. Er hat in einer bedenklichen Lage trefflich gesprochen, so daß sein Wort dem Beglückten Ehrfurcht und Schonung, dem Bedrängten Trost und Hoffnung einflößen muß." So blieb Müller nichts anderes übrig, als die Berufung an die Göttinger Universität Mitte September 1807 anzunehmen. Auf dem Wege dorthin erreichte ihn ein Kurier aus Fontainebleau, _der zweite innerhalb dreier Wochen — so groß war das Gewicht, das Napoleon auf seine Mitarbeit legte —, mit der Ernennung zum westfälischen Staatssekretär. Allein schon nach wenigen Tagen erkannte Müller, daß er seine Unabhängigkeit nicht preisgeben dürfe. „Ich schrieb an Minister Maret einen herzlichen Brief, um von der Stelle loszukommen. Er ist nicht beantwortet worden." Friedrich Cotta, der ihn beglückwünschte, klagte er ebenfalls sein Leid: die „intrigenreiche, geräuschvolle Hofatmosphäre" könne ihm nicht behagen.

In sein Schicksal ergeben, trat Müller sein Amt am 20. Dezember 1807 an, dem er sich bereits in den ersten Stunden nicht gewachsen fühlte. Da jedoch Jérôme den von seinem Bruder auf- oktrovierten Ratgeber nicht abzulehnen wagte, ernannte er ihn zum Generaldirektor des Unterrichtswesens, wodurch ihm auch fünf Universitäten unterstanden. Allein als anfangs 1809 die Anzeichen sich mehrten, daß Oesterreich rüste und die Studentenschaft heftig gegen Frankreich demonstrierte, machte ihn Jérôme für diese Bewegung verantwortlich; er bedeutete ihm öffentlich, er verzichte auf Gelehrte; Westfalen benötige nur „Soldaten und Dummköpfe". Diese unverdiente Kränkung und die in Flugschriften enthaltenen Schmähungen schwächten Müllers durch Ueber- arbeitung bereits angegriffene Konstitution derart, daß er diesen Aufregungen am 29. Mai 1809 erlag.

Die vorstehenden biographischen Daten wurden gebracht, um auch weitere Kreise auf die verdienstvolle Arbeit Edgar Bonjours hinzuweisen, die überdies als ein wertvoller Beitrag für die österreichische Geschichte zu werten ist. Aus dem umfangreichen, teilweise unveröffentlichten Material hat der Herausgeber, die in Briefsammlungen so häufigen Wiederholungen vermeidend, den ereignisreichen Lebensweg des von manchen seiner Zeitgenossen verkannten Historikers verfolgen und ihm Gerechtigkeit widerfahren lassen.

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