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Generäle gegen den Bischof

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Zwischen der katholischen Kirche in Brasilien und der Regierung Marschall Castelo Brancos, dessen Machtübernahme vor zwei Jahren von vielen Katholiken lebhaft begrüßt worden war, ist es in jüngster Zeit in zunehmendem Maß zu einem Klima offenkundiger Spannung gekommen. Hauptursache des Konfliktes, der nicht nur in Brasilien selbst hohe Wellen geschlagen hat, ist die Kritik, die von seiten der Hierarchie sowie vieler Priester und Laien an dem ihrer Ansicht nach ungenügenden sozialen Engagement der Regierung geübt wird.

Das Durstquadrat

Die Kritik der Kirche an der Sozialpolitik der Regierung entzündete sich vor allem an der Unzulänglichkeit der bisherigen staatlichen Maßnahmen zur Lösung der Lebensprobleme der Bevölkerung in den notleidenden Nordostprovinzen des Landes. Dieses riesige Gebiet, genannt das Durstquadrat, bildet seit vielen Jahren Brasiliens große Sorge. Die meisten der rund 20 Millionen Einwohner dieses Landstriches leben in unbeschreiblichem Elend. Das Gebiet leidet unter oft jahrelanger Dürre, die die Bewohner zwingt, aus Hunger ihre Behausungen (meist nur Gebilde aus Holzstangen, Ästen, Kartons, mit Dächern aus großen Blättern) zu verlassen und Elendsmärsche in die Städte anzutreten. Zehntausende von Menschen ziehen dahin, Erwachsene und Kinder, mit leeren Tellern oder Blechnäpfen, viele weinen vor Hunger, um Essen bettelnd.

Fast jede brasilianische Regierung der letzten Jahrzehnte versuchte in mehr oder weniger starkem Umfang, gegen das erschütternde Elend im Durstquadrat anzukämpfen. Es gab einige erfolgversprechende Ansätze, doch letztlich scheiterten alle bisherigen Versuche weitgehend. Zu einem nicht unbeträchtlichen Teil mag dazu beigetragen haben, daß riesige Summen aus den Hilfsgeldern immer wieder in den Händen krimineller Beamter und anderer Schmarofeer geblieben sind.

Der „Vater der Hemdlosen"

Auch die Regierung Marschall Brancos befaßte sich schon bald nach ihrem Amtsantritt im April 1964 mit dem Problem des Durstquadrates und zeigte sich entschlossen, den Initiativen zu seiner Lösung größeren Nachdruck als frühere Regime zu verleihen. Pläne zur Förderung der Industrialisierung der Nordostprovinzen, zur Schaffung von Arbeitsplätzen, zu Steuererleichterungen für die Wirtschaft im Durstquadrat wurden entwickelt. Da und dort wurden auch schon Fortschritte spürbar, doch für eine entscheidende Verbesserung des menschenunwürdigen Loses der Bevölkerung dieses Landstriches war all dies viel zuwenig.

Angesichts der erschütternden Lage der Menschen im Durstquadrat versuchte die Kirche, im Rahmen ihrer Möglichkeiten jede erdenkliche Hilfe zu leisten, wenngleich naturgemäß auch das nur Linderung, nicht Lösung bedeuten konnte. Eine derjenigen Persönlichkeiten der Kirche in Brasilien, die sich am selbstlosesten für die Notleidenden aufopfer-

ten, war der als „Vater der Hemd- losen“ weit über die Grenzen dei Landes hinaus bekannt gewordene Erzbischof Dom Helder Camara vor Recife und Oldnda. Dieser brasilianische Bischof hatte schon beim Konzil durch sein Hervortreten in sozialen Fragen die Kirchenversammlung und die Öffentlichkeit aufgerüttelt ' Sein Aufruf, 'die Kirchėh sollten &u: jeden Prunk verzichten und sid durch christliche Schlichtheit auszeichnen, die Prälaten sollten Gleiches tun, keine Ringe tragen unc goldene Brustkreuze durch hölzerne ersetzen, löste ein starkes Echo aus Dieser Erzbischof Helder Camars war es, der sich an die Spitze jener Kritiker der Regierung setzte, di endlich eine entschlossene unc grundlegende Inangriffnahme dei sozialen Probleme des Durstquadrates forderten. Zusammen mit der 14 anderen Bischöfen dieser Provinzen erließ er ein „Manifest an dis Nation“, in dem gegen das Regime mit Nachdruck die Beschuldigung erhoben wird, eine große notleidende Bevölkerungsgruppe ihrem Schicksal zu überlassen. Die Bischöfe bekennen derin ihre Solidarität mit den Armen. Sie betonen, daß sie prinzipiell zwischen Unternehmern und Arbeitern, Geschäftsleuten und Angestellten, Armen und Reichen keinen Unterschied machen wollen, schon gar nicht in geistlichen Dingen, daß aber „die Kirche notwendigerweise jenen helfen muß, die da leiden, die trotz des Schweißes ihres Körpers nicht imstande sind, genug zu verdienen, um sich und ihre Familie zu erhalten, jenen, die zum Steckenbleiben in menschenunwürdigen Lebensbedingungen verurteilt zu sein scheinen“.

Heftige Reaktionen

Die Regierung, so heißt ea weiter in dem Manifest, habe es J„vör- gezdgėn, weit vom Schuß Von jenen zu sein, die Opfer des Elends und der Ungerechtigkeit sind“. Die Bischöfe betonen ausdrücklich den unpolitischen Charakter ihrer Mission, erklären jedoch gleichzeitig,

daß es „das elementare christliche Gewissen“ sei, das ihnen nicht gestatte, „weiterhin zu schweigen angesichts einer Politik, die Misere, Hunger und Ungerechtigkeiten in den Städten wie auch auf dem Lande erzeugt“.

Die Reaktion des Regimes auf diese Anschuldigungen war überaus heftig. Präsident Branco selbst sprach von einer „sterilen Kritik“, die es verabsäume, „eine Lösung für die schwierigen und mannigfaltigen Probleme des Gebietes anzubieten“. Noch schärfer reagierten die Militärbehörden der Nordostprovinzen. Sie beschuldigten die Bischöfe offen „linker Tendenzen“; der Militärkom mandant von Recife warnte sogar in einem geheimen Zirkular an die Priester der Region vor Erzbischof Helder Camara als einem Wegbereiter des Kommunismus! Schließlich griff er, unterstützt vom Militärkommando der Nachbarprovinz Ceara, Helder Samara in einer Presseerklärung Öffentlich an, warf ihm vor, dem internationalen Kommunismus in die Hände zu spielen, die Jugend gegen die Eltern aufzuhetzen sowie den Frieden des christlichen Heimes zu zerstören, und drohte dem Erzbischof sogar mit dem Gefängnis!

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