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Gibt es den „Wiener“ Fasching?

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AUSLÄNDER FREUEN SICH auf den Wiener Fasching. Sie haben schon so viel gehört über die Wiener Gemütlichkeit, den Einfallsreichtum der Bewohner, über die gute Wiener Küche und die schöne Musik. Sind sie dann aber in der mit Romantik umgebenen Stadt, greift leichte Enttäuschung um sich. Das freundliche Wienerherz und die gepriesene Urwüchsigkeit findet man nicht mehr. Das moderne Leben hat die Wesenszüge unserer Stadt scheinbar verschlungen.

Man muß etwas länger die Atmosphäre dieser Metropole atmen, um festzustellen, daß noch viele Gesten aus der alten Zeit vorhanden sind, verpackt in die rauhe Schale einer neuen Wirklichkeit.

Es gibt ihn noch, diesen typischen Fasching in Wien. Vielleicht haben wir eine falsche Vorstellung von ihm. Erzählungen aus vergangenen Jahrzehnten, Erlebnisse aus Mainz oder gar Berichte aus Rio erzeugen Unzufriedenheit mit gegebenen Verhältnissen. Warum?

Jede Epoche hat ihren Ausdruck, ihre Richtung. So findet man im Wiener Fasching heute keine turbulenten Straßenszenen mehr — schon lange nicht mehr.

Das erste Mal wurde das öffentliche Maskentreiben im 17. Jahrhundert verboten, als die Pest in Wien wütete und die Ansteckungsgefahr zu groß war. Als Parodie darauf hat aber gerade damals die Stadt die Gestalt des „lieben Augustin“ hervorgebracht, der sich um die drastischen Sterilisationsmaßnahmen — einer Verbannung von der Straße — nicht kümmerte, bis er schließlich mit seinem Dudelsack und großem Rausch in einer Pestgrube landete. Zum Glück war sie über Nacht nicht zugeschüttet worden, da sie noch mehr Material fassen mußte. Ohne Schaden hatte er diese grauenhafte Stätte wieder verlassen, und so konnte wenigstens einer seinen Fasching in alter herumziehender Weise feiern.

Wenige Jahre darnach lebten die Faschingsumzüge wieder auf, bis sie erneut zu Beginn des 18. Jahrhunderts von der Straße verdrängt wurden, da „das laute Blasen, Lärmen, und unziemliche Gebärden“ Ärgernis erregten. So war also der Mummenschanz für immer in die Häuser verlegt worden. Die Lustbarkeiten wurden auf drei größere Tanzsäle beschränkt. Man erlaubte nur noch, im Hofballhaus, in der Wohnung des kaiserlichen Theaterdirektors und auf der Mehlgrube das Erscheinen in Masken. Dies bewirkte, daß nur noch ganz wenige private Stände, vor allem der Adel,

Zutritt zu diesen Vergnügungen hatte.

Später traf das Volk in milieubedingten Tanzlokalen zusammen: beim „Schwarzen Mohren“ in der Leopoldstadt, im „Goldenen Einhorn“ am Hundsturm und im Bevierschen Haus auf der Laimgrube. Die Unterhaltung in diesen Stätten war so lärmend, daß die Behörden einschreiten mußten.

Die höhere Gesellschaft vergnügte sich auf ihre Weise, hatte aber auf die volkstümlichen Elemente nicht verzichtet.

Die Faschingsbelustigungen bei Hof wurden „Wirtschaften“ genannt, da der Kaiser und die Kaiserin meist als „Wirt und Wirtin vom ,Schwarzen Adler'“ die in Bauerntracht geladenen Gäste reich bewirteten. Sehr beliebt war es, eine Bauernhochzeit darzustellen. Es erschienen Kalendermacher mit Bauernpraktika, Pfeifer aus der Steiermark, Hafner aus Hafnerzell, Zitherschlager aus der Stadt Tulln, Schiffsleute aus dem Strudengau, Gärtner vom Bisamberg, Jäger aus Eisenerz, Bäcker aus Mödling, Stundenrufer, Strohschneider, Lebzelter aus Nürnberg und Schalmaier aus der Walachei.

Man stellte also auch einen Markt dar, wo die Hofdamen als Verkäuferinnen auftraten, und inszenierte einen Ball unter dem Motto „Die originellsten Trachten Europas“.

DIE FREUDE AM SPIEL wurde auch in den sogenannten „Edelknabenkomödien“ ausgedrückt. Der Kaiser veranlaßte seine Familie und den Hofstaat zu den reizvollsten Formen theatralischer Kunst. Die Söhne berühmter Adelsfamilien, Knaben im Alter von 14 bis 18 Jahren, die zur Ausbildung am Hof weilten und zu persönlichen Diensten der kaiserlichen Herrschaft herangezogen' wurden, mußten in der „Commedia dell' arte“ mitwirken. Aus den Handlungsskizzen zu diesen Aufführungen läßt sich erkennen, daß italienische, französische und spanische Klassiker des 16. und 17. Jahrhunderts „verarbeitet“ wurden.

Die spielbaren Stoffe wurden wiederholt Opern entnommen. Die Balletteinlagen tanzten die Edelknaben selbst, sie mußten aber auch Frauenrollen übernehmen. Kein geringerer als Lodovico Burnacini entwarf die Kostüme.

Die Commedia-dell'arte-Figuren wurden in die reich ausgestaltete Kulissenwelt der Haupt- und Staatsaktionen eingeführt. Die bekanntesten

Gestalten waren der „Arlecchino“, der sehr vielseitig zu sein hatte, der tanzen, fechten und reiten konnte, der den Liebenden half und, wenn es sein mußte, wie ein Rabe stahl. Seine Rolle und die des „Panta-lone“, des stets geprellten Liebhabers, wurde von Berufsschauspielern dargestellt. Dann gab es noch den Capitano, den Schwadroneur, den Dottore u. v. a. Im Lauf der Jahre kritisierten diese Spieler in den ihnen zugedachten Rollen immer mehr das höfische Leben.

AUF PLÄTZEN UND MÄRKTEN, wie auf der Freyung, am Josefsplatz; am Neuen und Hohen Markt fanden sich in der Faschingszeit viele schaulustige Wiener bei den herumziehenden Komödiantenbühnen ein, um den „Hanswurstiaden“ beizuwohnen.

Das fahrende Volk tanzte und sang, veranstaltete reizende Puppenspiele, führte dressierte Affen und Bären vor und zeigte eine Menge verschiedenster Kunststücke. Diese Budenkünstler führten aber auch zahnärztliche und allgemein ärztliche Pseudobehandlungen durch — eine Kuriosität der Wiener Quacksalberei.

Die Erlaubnis, eine Bude eröffnen zu dürfen, war mit einer Prüfung vor einer ärztlichen Kommission verbunden — so humorvoll waren die damaligen Behörden.

Der Kaiser aber huldigte dem Brauch des Krapfenschießens, auf dem Schießstand bei der Bellaria. Das Volk war dabei Zuschauer, ebenso bei den Schlittenfahrten des Adels, die besondere Belustigung erregten, da oft kein Schnee vorhanden war.

ZU BEGINN DES 19. JAHRHUNDERTS konnte man die Wiener nicht mehr vom Faschingstreiben ausschalten. Es entstanden viele Tanzlokale — sie wuchsen schier aus dem Boden —, die von den einzelnen Ständen besucht wurden. Aus diesen Gewohnheiten kristallisierten sich die bekannten Ständebälle.

Damals fanden die Fiaker-, Wäschermädel-, Öbstlerinnen- und Stubenmädchenbälle statt, die sich später zu Maskenbällen in den Trachten dieser Stände entwickelten, obwohl die Träger solcher Kostüme im Laufe der Zeit keine Beziehung mehr zum dargestellten Gewerbe hatten.

Bis heute ist es nicht gelungen, obwohl öfter Versuche unternommen wurden, diese „Trennung der Volksgemeinschaft in verschiedene Tanzsäle“ aufzuheben und durch eine gemeinsame spontane Festfreude einer ganzen Stadt, wie sie etwa nur ein

Faschingszug zum Ausdruck bringen kann, zu ersetzen.

Aber gerade an dieser Eigentümlichkeit erkennen wir den typischen Wiener Fasching.

DURCH DAS EINSTIGE JAHRZEHNTELANGE VERBOT lauter Lustbarkeiten hat der Wiener ein verfeinertes Gefühl für die Festgestaltung entwickelt und gelernt, seinen Freudentaumel „klassisch“ auszudrücken — in der ewig jungen Wiener Musik.

Musik überbrückt vieles. Sie weitet die Herzen und öffnet den Geist, der zugänglicher wird für eine Begegnung mit dem Du. Die Musik tröstet ein bekümmertes Herz und läßt es bei schnellem, frischem Rhythmus höher schlagen — vielleicht in Erinnerung an frohe Tage. Sanfte Melodien breiten einen Schleier über die Seele, der aller Unrast in Mildtätigkeit zumindest für kurze Zeit zudeckt.

Der Wiener Walzer gibt noch mehr. Er reißt den Menschen aus Traurigkeit und Mutlosigkeit und ruft zur Bewegung auf, zum tänzerischen Tun. Sobald der Dreivierteltakt erklingt, möchte man am liebsten springen, lachen und fröhlich sein.

Vielleicht ist es gerade das, was unseren Wiener Fasching so anziehend — aber auch schwerer verständlich macht.

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