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Giraffe vor Paganini

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NACHMITTAGS FÜHRTE DER KAISER - so schrieb Graf Khevenhüller, der damalige Obersthofmeister im Jahre 1752 — „abermalen einige Zuseher in die auf seine eigenen Kosten in dem Schönbrunner Park erbaute und nun meistens schon zustand gebrachte Menagerie, allwo eben vorgestern verschiedene aus Holland anhero verschriebene Tiere (welche aber noch dermalen meistens in Geflügelwerk bestehen) in seiner Gegenwart placiert worden waren und hatte der Herr die Gedult, das Mehreste Selbsten anzuordnen und fünf ganze Stunden damit zuzubringen; gehet wqhl auch zweimal des Tages dahin, weillen er ein ganz besonderes Amusement dabei findet.” Die Errichtung einer Menagerie war eine Lieblingsidee von Franz L, des Gemahls der Maria Theresia, und anläßlich der Neugestaltung des Schlosses von Schönbrunn war der Augenblick gekommen, diese Lieblingsidee in die Praxis umzusetzen. „Ein ganz besonderes Amüsement” und, das muß hinzugesetzt werden, ein durchaus persönliches. Der Tiergarten trug seinen Namen k. k. Menagerie nicht umsonst; er wurde, obschon er jedermann zugängig war, als Privatvergnügen des Herrschers angesehen und dieser trug aus seiner Schatulle auch die Kosten. Jene Kosten, die im Laufe der Jahrzehnte, je nach der Teilnahme und dem Interesse des Herrschers, sich aufwärts oder abwärts bewegten. In der ersten Zeit mögen es so an die sechs- bis siebenhundert Tiere, davon ein Drittel gewöhnliche Haushühner, gewesen sein, welche die Menagerie bevölkerten. Die erste lebende Giraffe kam im Jahre 1828 als vielbestauntes und kostbares Geschenk des Vizekönigs Mehemed Ali von Aegypten nach Schönbrunn. Nach zehn Monaten ging das Tier ein. Die Reise dieser Giraffe war für die Wiener von damals eine derartig wichtige Sache, daß sich — merkwürdigerweise die „Theaterzeitung” von Adolf Bäuerle in drei Nummern mit dem Ereignis befaßte, die Wiener Damen eine „Coiffüre ä la Giraffe” wählten, und Maestro Paganini von einem Geigenkonzert absehen mußte, weil alles zur Giraffe drängte.

DER VIZEKÖNIG VON ÄGYPTEN war nur einer in der Reihe der vielen Spender, denen die Menagerie Zuwachs verdankte (Mehemed Ali zählte übrigens zu den eifrigsten Spendern bis ins Jahr 1872 schickte er Tiere). Andere gekrönte Häupter stehen dem Aegypter zur Seite: vor allem der König von Siam, der König von Italien, der Kaiser Menelik von Abessinien, König Georg III. von England, der Zar Nikolaus I. zur Zeit der „Heiligen Allianz” — aber auch noch 1903 der Zar Nikolaus II. Viel kam vom Adel, wo man unter den Spendern die bekanntesten Namen findet: die Fürsten Lobkowitz, Metternich, Liechtenstein, Schwarzenberg, Khevenhüller, Montenuovo, Auersperg, Taxis, Salm und so fort; natürlich auch die Erzherzoge, darunter Rudolf, der Kronprinz (175 Tiere schenkte er zwischen 1871 und 18 85). Die Beziehungen Oesterreichs zur Welt sind zum Gutteil aus Gastgeschenken für Schönbrunn abzulesen, aber auch die Geltung und die Wirksamkeit des alten Reiches. Mit der Gründung der Wiener Orientalischen Handelskompanie (1667, neu 1719) trat Oesterreich erfolgreich in den Levantehandel ein. Das Netz der diplomatischen Vertretungen verdichtete sich zusehends. Geschenke für den Schönbrunner Tiergarten kamen nicht bloß von unseren Marineuren, sowohl der Kriegs-, als auch der Handelsflotte, sondern auch von den Konsulaten: aus Tripolis, Sansibar, Chartum, Kalkutta, Colombo. Bombay und so fort — überall, wo damals die österreichische Flagge wehte. Wer heute durch den Tiergarten geht, weiß als „Eingeborener” davon nichts mehr und für die vielen Fremden ist die Menagerie ein Zoo wie andere in der Welt. Vielleicht wird diesen Fremden vom Reiseleiter gesagt, daß es sich um den ältesten Tiergarten der Welt handelt. Vielleicht. Wenn noch Zeit ist bis zur Jause.

DIESER ÄLTESTE TIERGARTEN der Welt trug die Schicksale des alten Reiches ebenso mit wie die anderen Zier- und Prunkbauten, und die herbeh Eingriffe schon während und nach dem ersten Weltkrieg langten den Wienern ans Herz. Was waren aber die Nöte jener Jahre gegen den zweiten Weltkrieg! Was war die Kontinentalsperre Napoleons gegen die Absperrung seit 1939! Allein vom Jänner dieses Jahres bis zum gleichen Monat 1945 sank der Tierstand von 2200 auf 1300 Köpfe, nach zwei vernichtenden Luftangriffen am 19. und hauptsächlich am 21. Februar 1945 auf einige hundert. Schließlich stand der Tiergarten sogar unter direktem Artilleriebeschuß und die Zerstörung hatte erst ein Ende, als am 9. April die ersten russischen Soldaten aus der Richtung der Gloriette her in den Tiergarten kamen. Was dann in der Folgezeit an Improvisation und ölt an unbelohnter Aufopferung durch Arbeiter und Angestellte draußen in Schönbrunn geleistet wurde, ist nur wenigen im ganzen Umfange bekanntgeworden. Wer denkt heute, im Glanze der Wohlfahrt daran, daß im August 1945 ein Dutzend Kamele erworben worden waren, die schließlich, als dann und wann einfach kein Fleisch aufzutreiben war, die „eiserne Reserve” für die anderen Tiere darstellten und so allmählich ein Stück nach dem anderen verfüttert wurde; auf diese Weise erhielt man damals den Raubtierbestand. Darüber gibt es keine Anekdoten. Alles war zu traurig und die alten Wärter haben mehr als einmal von ihren kärglichen „Kalorien” alles Verwendbare für ihre Schützlinge gegeben. Die Namen dieser Männer stehen freilich nicht in den historischen Schenkungsverzeichnissen. Der Adel des Namens ging ihtferf’Wi’ Aber den .

NACH DEM LETZTEN AUSBAU beträgt die Gesamtfläche des Schönbrunner Tiergartens 115.000 Quadratmeter. Im sogenannten „historischen Teil” (das sind etwa 65.000 Quadratmeter rund um den Barockpavillon, den Jean Nicolas Jadot de Ville-Issey 1752 erbaute), liegen heute 52 Tierhäuser, im neuen Teil gegen den Neptunbrunnen zu sechs Hirschhäuser mit Ausläufen als Freisichtanlagen. Viel davon ist nach den Verheerungen der rund 50 schweren Bomben, die im Gebiet des Tiergartens fielen (269 trafen das gesamte Areal von Schönbrunn), in zweckmäßigerer Form wiedererstanden. Im historischen Teil kamen als neue Gebäude der Wirtschaftshof mit sieben Objekten dazu, ferner acht andere Bauten. Wenn man Gelegenheit hat, den Wirtschaftshof zu besehen, glaubt. ifiW’buf eineih Mustergut zu sein.’ Auf fast 17ÖÖ1 Quadratmeter”Fläche”fänden wir Bassins für Futterfische. Obstkeller, Kartoffel- und Rübenkeller, eine vollständige Fleischhauerei mit entsprechenden Kühlräumen, sechs Silos für die Lagerung von Hafer, Mais, Mischfutter, Hirse und Kernfutter mit einem Fassungsraum für 5000 Kilogramm, ein Magazin für 250.000 Kilogramm Heu, eine eigene Zuchtanlage für Ratten und Meerschweinchen (als Futter), eine Brückenwaage, Zentraltrafostation, Küche und noch andere Räume. Hier wird über den Speisezettel gewacht. Das ist weder in den Zeiten großer Kälte einfach, noch gar in den Zeiten abnormaler Hitze wie zum Beginn des Juli 1957. Versteht sich, daß man auf dem Wirtschaftshof ebenso Professiomsten begegnet: da gehen Tischler, Schlosser und Mechaniker aus und ein. Die Menagerie stünde schön da, müßte sie für jede Reparatur um Handwerker telephonieren. Für das nächste Frühjahr wird uns .ver- heißen: im historischen Teil das Aquarien- und Terrarienhaus, im neuen Teil Gehege für Mufflons, Wasserbüffel, Wisente — alles mit Ausläufen als Freigehege. Was bisher verbaut wurde, macht die beachtliche Summe von rund l 8 Millionen Schilling aus. Das ist natürlich nur ein Teil der noch nötigen Beträge. Im endgültigen Bauzustand soll der Schönbrunner Tiergarten seine zwei baulich völlig getrennten Teile behalten, es werden noch Objekte für Raubkatzen, Robben, Pinguine, Bisons, Antilopen und Bären geplant, zudem denkt man an zuständiger Stelle an die Schaffung eines sogenannten Kinderzoos und — beim Schauen werden die Leute hungrig — an ein Restaurant.

GRILLPARZER UND RAIMUND versetzte die Legende vor das alte Affenhaus. Als ein besonders talentierter Akrobat sich in den sonderbarsten Verrenkungen erging, soll Raimund gesagt haben: „Sie, Grillparzer, wissen S’, das ist schwer!” Aber der Herr Hofrat gab zurück: „Schafft’s ihm wer an?” Wer schaffte und schafft den Zweibeinern aber das Verfüttern von Groschenstücken und das Verteilen von Spiegeln an? Man wird Philosoph draußen in Schönbrunn und fragt sich, wer hinter den Gittern lebt, welche Welt die wirkliche ist. Es dürfte da ein kleines Mißverständnis walten, der Art, da ein französischer Diplomat zu seinem Begleiter mit Hinweis auf den Bären sagte: „II s’ėlėve!” Und der Wiener sagte eilfertig-zuvorkommend: „Entschuldigen schon, das is ka Löw, das is a Bär.”

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