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Glaube an Wunder und magische Kulte

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Die Verehrung der Heiligen begann im zweiten Jahrhundert-bei den Märtyrern. In Rom wurden über ihren Gräbern Basiliken errichtet, über dem Petrusgrab die des Vatikan. Mit der Überführung von Märtyrer-Gebeinen beziehungsweise Reliquien in eine Kirche und der Neubestattung beim Altar erhielten bestehende Altäre Reliquien, bald wurde ihre Präsenz auch vorgeschrieben. Nach dem Ausbleiben neuer Martyrien setzte die Verehrung von Bischöfen und Asketen ein.

Gegenstände, die Heilige berührt hatten, wurden seit dem dritten Jahrhundert verehrt. Sie wurden geteilt, da ihnen die gleiche „Kraft" zugeschrieben wurde, was zur unbeschränkten Vervielfältigung führte. Im Westen wurde lange die Berührung und Teilung heiliger Gebeine abgelehnt. Selbst kaiserliche Bittsteller erhielten unter Papst Gregor dem Großen nur die neben Heilige gelegten Tücher. Die anwachsende Bilderverehrung verstärkte die Lösung des Kultes vom Grab und die Verehrung der Reliquien Zweiter Ordnung, also von Heiligen berührte, mit seinem Grab beziehungsweise seinen Gebeinen in Berührung gekommene Gegenstände.

Bei zahlreichen Heiligen hat nach der Feststellung der Unversehrtheit (Apg. 13,35 „du läßt deinen Frommen die Verwesung nicht schauen") die Verehrung erst eingesetzt. Erst um die Jahrtausendwende begann die Teilung der Reliquien von unversehrten Heiligen, zum Beispiel bei der heiligen Elisabeth von Thüringen wurde auf Wunsch von Kaiser Friedrich II. ein Kopfreliquiar hergestellt. Das Haupt hatte einen Ehren-rang erlangt. Die Forderung, daß alle Glieder des Leibes zusammengehören, war der Vorstellung gewichen, daß in jedem Teil des Leichnams der Heilige virtuell anwesend und volle Gnade gegenwärtig ist.

Das Sammeln von Reliquien, um mehr Fürsprecher zu erhalten, wurde immer beliebter. Das 4. Laterankonzil 1215 bestimmte, Reliquien in Behältern zu zeigen und neue erst nach päpstlicher Bestätigung zur Verehrung zuzulassen. Im 14. Jahrhundert wurden Reliquienschreine geöffnet, Metallwände durch Glas ersetzt, Schaugefäße und Monstranzen kamen auf. Auch des eucharistischen Christus wollten die Gläubigen durch Schauen teilhaftig werden. Berühren, Küssen wurde zu einem wichtigen Moment der Andacht.

Im Mittelalter war man Reliquien gegenüber keineswegs leichtgläubig. Kritik fragte nicht sosehr nach der Echtheit, sondern danach, ob die Reliquie „an der Wahrheit der göttlichen Offenbarung und kirchlichen Lehre teilhatte". Im Zweifelsfall brachten Gottesurteile, Wunder und Heilungen letzte Bestätigung. Handel und Gewinnsucht führte aber auch zu Betrügereien. Schließlich fand man in der Intention einen Ansatz, der die Sicht nicht mehr allein auf das Objekt richtete, sondern in den Gläubigen verlegte.

Die größten Reliquiensammlungen entstanden im Spätmittelalter. Rurfürst Friedrich der Weise in Wittenberg und Erzbischof Albrecht von Brandenburg in Halle verfügten 1520 über Sammlungen von je etwa 20.000 Reliquien mit einer genau berechneten Summe von Ablaßjahren. Zuvor schon hatten die Humanisten mehr Innerlichkeit und die Ausrichtung des Lebens nach sittlichen Grundsätzen gefordert. Die Ablaßpraxis mit ihrem Handel war einer der Hauptkritikpunkte von Martin Luthers.

Mit zunehmender Christusanbetung rückten die Reliquien des Herrn in die Mitte. Christus überragt unvergleichlich die Gemeinschaft aller Heiligen. Durch die Auferstehung konnten keine Körperreliquien, sondern nur jene Gegenstände, die mit dem Leiden und Tod Jesu in Verbindung zu bringen sind, verehrt werden. Das von Kaiserin Helena aufgefundene Kreuz Jesu kam durch Kaiser Heraklius 634 nach Konstantinopel. Kreuzpartikel hatten im Mittelalter die meisten Kirchen von Rang.

Die 1239 vom französischen König erworbene Dornenkrone Christi wurde im gotischen. Prachtbau der Saint Chapelle zu Paris aufbewahrt. König Heinrich I. erwarb die heute noch in der Wiener Schatzkammer befindliche, angebliche Longinus-Lanze, mit der Jesus die Seite geöffnet worden ist. Die heilige Stiege (Scala santa) bei der Lateranbasilika, über die Jesus nach der Geißelung und Dornenkrö-nung zu Pontius Pilatus geführt worden ist, wurde 326 nach Rom gebracht. Bis heute berühren die Pilger die Stufen aus Ehrfurcht nur- kniend und betend.

Dem Mittelalter bedeutungsvoll erschien das leibliche Blut Christi, so-daß an vielen Orten Ampullen mit dem Blut Jesu verehrt worden sind. Damit hing auch die Vorstellung vom Gral als einem wunderbaren Edelstein in Form einer Schale zusammen, die Christus beim letzten Abendmahl verwendete und in der Joseph von Arimathia das Blut Jesu als Reliquie des letzten Abendmahls und der Passion aufbewahrte. In der Kathedrale von Valencia wird ein solcher Achatkelch verehrt. Spätmittelalterliche Frömmigkeit wandte sich den Passionsreliquien zu und verbindlichte diese, es waren dies die „arma Christi", die „Waffen" sind zugleich auch das Wappen Christi. Die Kirche S. Croce in Gerusaleme in Rom ist das Zentrum dieser Verehrung. Gewisse Entwicklungen in der Reliquienverehrung fanden schon im Mittelalter Kritik: Die Verehrung gebührt der Person Jesu Christi und nicht dem stofflichen, von Jesus berührten Gewebe, sie stellen nur die geschichtliche Beziehung her.

Heute ist der Blick auf Reliquien weitgehend frei von magisch-fetischistischen Vorstellungen und, nach einigen Verlusten von Reliquiaren durch Unkenntnis anläßlich von Altarumbauten, ihre Verehrung wieder näher ihrer ursprünglichen Bedeutung als Symbole und Zeichen des Heils im Blick auf Christus und seine Menschwerdung sowie der beispielhaften Nachfolge Christi durch die Heiligen in ihrer ganzen Vielfalt.

Der Autor ist

Assistenz-Professor am Institut für Kirchengeschichte der Universität Graz.

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