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Goethes Begegnung mit dem Katholizismus

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Bei seinen Kuraufenthalten in Böhmen begegnete der Dichterfürst katholischen Geistlichen und deren Glauben

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Bei seinen Kuraufenthalten in Böhmen begegnete der Dichterfürst katholischen Geistlichen und deren Glauben

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Goethe, Minister eines Kleinstaates, kam mit dem Großstaat Österreich durch etliche Kuraufenthalte in Karlsbad, Franzensbad, Teplitz und Marienbad in enge Fühlung. Wenns man die Tage zusammenzählt, die er dort verbrachte, ergeben sich nahezu drei Jahre seines Lebens. Dort kam der Protestant Goethe mit dem Katholizismus in enge Fühlung. In evangelischen Kreisen Deutschlands und Englands betrachtete man damals den Dichter als Repräsentanten einer „schlechten, formlosen, zügellosen Zeit“, wie zum Beispiel der Pastor Pustkuchen, der Goethes „Wanderjahre“ parodistisch aufs Korn nahm.

Da machte Goethe in katholischen Kreisen Böhmens andere Erfahrungen: Das Verständnis und die Aufgeschlossenheit dortiger Geistlicher wirkte beglückend auf ihn, vor allem die Aufnahme im Prämonstratenser- stift Tepi bei Marienbad und im Zi sterzienserkloster Ossegg bei Dux. Durch seine Begegnungen mit dem Tepler Abt Carl Reiten berger, dem Gründer Marienbads, gewann er Einblicke in die Institutionen der römischen Kirche. 1821 wurde er in Tepi festlich empfangen, bewunderte die Stiftskirche und die große Bibliothek, in welcher der „Codex Te- plenis“ aufbewahrt war, eine vorlutherische deutsche Bibelübersetzung.

Zu seiner Überraschung fand Goethe in Stanislaus Zauper, dem Präfekten und Lehrer an dem vom Tepler Stift betreuten Gymnasium in Pilsen, einen eifrigen Interpreten seiner Dichtungen, Verfasser der „Grundzüge zu einer theoretischen und praktischen Poetik aus Goethes Werken“ (1821), und der ergänzenden „Studien über Goethe als Nachtrag zu obiger Poetik““ (1822). Bald stand der Dichter in regem Briefwechsel mit diesem Geistlichen.

Ähnlich erfreuliche Erfahrungen machte er im Zisterzienserkloster Os- seg bei Dux, dem der Ordenspriester Franz Dittrich angehörte, den er schon in Weimar empfangen hatte. Er bewunderte die Organisation der katholischen Orden, was aus einem Brief an seinen Großherzog Carl August vom Juli 1822 hervorgeht, wo es unter anderem heißt: „Eine geistliche Anstalt wie so ein Stift, wo man unter religiösen Formen hauptsächlich die irdischen Verhältnisse registriert und leitet, ist für uns so gut wie fremd“. Besonders Zauper machte ihn mit der Wesensart katholischer Orden bekannt. Auch den Sinn der „Beichte“ versteht er nun: Sie ist ihm „ein herrliches Auskunftsmittel …, seine Gebrechen und seine Zweifel einem würdigen, eigens dazu bestellten Manne zu vertrauen, der ihn zu beruhigen, zu waren, zu stärken und zuletzt durch völliges Auslöschen seiner Schuld zu beseligen und ihm rein und abgewaschen die Tafel seiner Menschheit wieder zu übergeben weiß“ (Dichtung und Wahrheit).

Goethe besuchte während seiner Karlsbader Kuraufenthalte auch öfter an Sonntagen das Hochamt in der dortigen Stadtpfarrkirche, wobei er den liturgischen Vorgängen aufmerksam folgte, ebenso den Bräuchen an Fronleichnamsfesten in der Bäderstadt wie im Wallfahrtsort Maria Kulm bei Eger. In Karlsbad entstand am 15. Mai 1820 das Gedicht „St. Nepomuks Vorabend“, zur Vorfeier des Landespatrons Johannes von Nepomuk, das er dann an Zelter zu Vertonung sandte.

In einem Gespräch mit Eckermann vom 17. Februar 1832, also kurz vor seinem Tode, sagte Goethe: „Auch das leidige protestantische Sektenwesen wird aufhören, und mit ihm der Haß und feindliches Ansehen zwischen Vater und Sohn, zwischen Bruder und Schwester. Denn sobald man die reine Lehre und Liebe Christi, wie sie ist, wird begriffen und in sich eingelebt haben, so wird man sich als Mensch groß und frei fühlen und auf ein bißchen oder so im äußeren Kultus nicht mehr sonderlichen Wert legen.“

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