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Gotisches Herz von Augsburg

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„Von Nürnberg ist die Reise nach Augsburg ganz ruhig. Augsburg selbst ist wohl eine der prächtigsten Reichsstädte wegen den prächtigen und reichen Kirchen und Palästen. Von den Kirchen ist besonders der Dom oder die sogenannte Kreuzkirche die größte, aber in der Pracht, glaube ich, übertraf sie die von St. Virich. — Ich werde noch einige Tage in Augsburg bleiben, denn es kommt mir hier der Wohlgeruch der Freyheit, das heißt der größten Constitutionellen Eingeschränktheit entgegen...“

Der diese Worte im März 1790 schrieb, hieß Johann Wolfgang von Goethe. Wie viele haben vor und nach diesem berühmten Dichter Augsburg besucht und bewundert! „... splendissima Rhaetiae provinciae Colonia...“: „... die glanzvolle Hauptstadt Rhätiens...“ so beschrieb Tacitus um das Jahr 90 nach Christus das damalige „Augusta Vindelicorum“, von dem — mitten in der Stadt Augsburg — noch heute immer wieder neue wertvolle Bruchstücke gefunden werden.

Abseits vom Fremdenverkehrstrubel

Immer wieder, wenn Besucher und Einheimische von Augsburg sprechen, nennen sie „den Dom“. Er besitzt nicht die Weltberühmtheit des Ulmer Münsters mit seinem „höchsten Kirchturm der Welt“. Kölner Dom oder Straßburger Münster mögen fast jedem Kunstfreund vertrauter sein. Aber der Dom zu Augsburg besitzt den Vorzug der lebenerfüllten Stille. Noch muß man sich „auf den Weg zu ihm“ machen, obwohl er mitten im Herzen Augsburgs liegt. Seine Schönheit ist nicht so augenfällig und fällt niemandem ohne Mühe in den Schoß. Aber wenn man sich Zeit für ihn nimmt, wenn man, abseits vom Fremden Verkehrstrubel, das ungestörte Erlebnis mit der Majestät eines gewaltigen Kirchenbaues sucht, dann wird man in Augsr'mrgs Dom nicht enttäuscht.

1965 begeht Augsburg festlich die 900-Jahr-Feier seines „Frauenmünsters“: so nannte man den Dom im Mittelalter. In jenem 11. Jahrhundert, in dem die Kreuzzüge begannen, in dem in Deutschland die Mönchdichtung in Blüte stand und der mit dem päpstlichen Bann belegte Kaiser Heinrich IV. (1056 bis 1105) regierte, in diesem Jahrhunderl entstand „das Herz der Stadt“, dei jetzige Dombau.

Am 28. September 1065 beging man die festliche Weihe. Lombardisch geschulte Werkleute hatten der machtvollen Bau an der Stelle errichtet an der seit der Christanisiesierung des Landes ein Zentrum früher abendländischer Kultur seine geistige Strahlkraft weit ins Land getragen hatte. Man vermutet zwar bereits im späten 6. Jahrhundert einen Dombau zu Augsburg. Man weiß von einem 807 unter dem Augsburger Bischof St. Simpert geweihten und von den Ungarn beschädigten, von St. Ulrich aber erneuerten Dom. Doch eine ununterbrochene Linie zum heutigen Dombauwerk läßt sich von jenem Augsburger Dom verfolgen, dessen Langhaus am 28. September 1065 durch Bischof Embriko seine Weihe erhielt.

Der Augsburger Dom macht es dem Christen nicht schwer, ihn als Kirche zu empfinden. Die erste Impression, die den Eintretenden erwartet ist Stille und Weiträumigkeit. Draußen lärmte der Autoverkehr den hohen Weg entlang. Straßenbahnen kreischten in der weiten Kurve, mit der sie den Ostchorumgang des Domes umrunden. Das massive Bauwerk schirmt die Geräusche ab. Die Fenster vermitteln dem Gesamtraum nur die nötigste Lichtmenge. Der Dom zu Augsburg ist kein Museum; er blieb, wozu voi über 900 Jahren der Grundstein gelegt wurde: Gebetsraum.

Mit den Minuten paßt sich das Auge den neuen Lichtverhältnisser an. Was verschwommen im Halbdunkel stand, erhält Umrisse. Aus dem Alleingelassensein im weiten anoymen Räume, das zum Gebete aufrief, wird der Besucher hingeführt zu den vielen einzelnen Kostbarkeiten, die neun Jahrhunderte hier ansammelte. Oder — man kanr auch sagen: übrigließen, bedenki man die wechselhaften Geschicke die 900 Jahre Augsburger Geschichte bestimmten.

Die Tafelbilder Hans Holbeins

Vielleicht bleibt man vor einen der Tafelbilder des Marienaltan Hans Holbeins d. Ä. (1493) stehen Hier ist ein Stück deutschen Mittelalters mit sprühendem Leben unc Alltag erfüllt: Joachims Opfer -Geburt Mariens — Marias Tempelgang — Beschneidung des Christkindes. — Maria ist überhaupt sehr bewußt ins Zentrum dieses Bauwerke; gestellt; anmutsvoll steht sie als Plastik im Zenith des Südportals vor 1367 — einer anderen Marienplastil im Mittelschiff huldigt ein bandorgelspielender Engel (1480 bis 1490). Dieser Dom ist ja der Heimsuchung Mariens geweiht.

Vom künstlerischen Detail wächst die Sicht auf zum architektonischen Durchblick. Die Grenze zwischen der alten, ehemals romanischen Kirche und dem gotischen Ostchor wird deutlich. Man kann sich anstatt der gotischen Gewölbe im ursprünglichen Räume die romanische Plach-decke vorstellen; wo heute der Westchor liegt, lag auch der flach gedeckte Chor der romanischen Domkirche. Bis 1331 hatte Augsburgs Frauenmünster seine Gestalt von 1063 gewahrt. Dann entschloß sich der damalige Summus Kustos Konrad von Randegg, den Dom zu gotisieren. Ein Jahrhundert später wai diese große Aufgabe abgeschlossen.

Und was ist für uns bewahrt geblieben aus dem ursprünglichen jetzt. 900jährigen romanischen Dom?

Um 1050 entstand ein gemalter Fries, dessen unterer Teil noch heute sichtbar ist. Der obere Teil kam beirr Umbau in den Dachbodenraum oberhalb der gotischen Gewölbe zu liegen. Ferne, schon kaum mehr erreichbare Erhabenheit aus dem Beginn unseres Jahrtausends predig' ein steinerner romanischer Bischofsthron im Westchor. Er stand mi; Sicherheit schon im Dombauweri von 1065 — möglicherweise dientf er bereits in der 807 geweihten Domkirche einem Bischof als Prunksitz

Und: wer könte an den fünf Glasgemälden der Propheten Moses, Oseas, Daniel, Jonas und David, die als die ältesten figürlichen Glasgemälde der Welt gelten, vorübergehen? Sie entstanden gegen 1140.

Ein Tor erzählt

Am Domäußeren aber brilliert das Bronzetor aus dem 11. Jahrhundert. Es wurde aus den gegossenen Bronzebildplatten und Löwenkopf-ringhaltern der ursprünglich zwei gleichartigen Bronzeportale im Jahre 1593 neu zusammengestellt. Der größte Teil (35 von ursprünglich 2 x 24 == 48) der Bildplatten ist im neuen Tor wiederverwendet. Jedes der beiden früheren Tore „erzählte“ das gleiche heilsgeschichtliche Thema aus dem Alten Testament: Siegeshoffnung im Kampfe gegen Satan und Sünde. Durch die neue und willkürliche Aneinanderreihung der zum Teil doppelt vorhandenen Platten isl die thematische Deutung der Bronzebildtafeln nun recht schwierig geworden. „Wieder der Dom“ schreib! Wilhelm Hausenstein, „— wie immei hin und her, von einen zum anderen gezogen, Funken zwischen Polen. Die Bronzetür; wir sehen Bild um Bild Simson mit dem Löwen (oder ist et Herkules?), den Centauren auf den, christlichen Portal, den Baum dei Erkenntnis mit der Schlange, der Mann, der die Taube ißt mit gierii aufgerecktem Maul, die Erschaffunc der Eva aus der Rippe des Mannes ... Bei der alten Residenz dei Fürstbischöfe ist ein Obstgaren, unfertig in seinem vorfrühlungsmäßi-gen Stande, und, eben darum wunderbar schön.“

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