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Gustav Riehl

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Oesterreich, das sich so gerne, wenn es gilt, die Aufmerksamkeit fremder Staaten zu erregen, auf seine kulturelle Bedeutung für die ganze Welt beruft, beginnt nunmehr seinen Worten auch Taten folgen zu lassen. Und so dürfte gerade jetzt der Zeitpunkt gekommen sein, sich auch der Männer, denen unser Land seine so beachtenswerte kulturelle Stellung verdankt, zu erinnern, und dies ganz besonders, wenn Gedenktage uns das Wirken dieser Männer ins Gedächtnis rufen.

In diesen Tagen, am 10. Februar, feiern wir den 100. Geburtstag eines Gelehrten, Hofrat Professor Dr. Gustav Riehls, der für das von ihm vertretene Fach der Haut- und Geschlechtskrankheiten auf wissenschaftlichem Gebiet, aber darüber hinaus auch für die gesamte Volksgesundheit von maßgeblichem Einfluß war.

Gustav Riehl, dessen Vater, ein angesehener Rechtsanwalt in Wiener Neustadt, Mitglied des Frankfurter Parlaments war, schloß seine medizinischen Studien an der Wiener Universität mit seiner Promotion im Jahre 1879 ab. Es war dies die Zeit der ausklingenden 2. medizinischen Schule, die vor allem durch Rokitansky, Skoda und Hebra, das sogenannte „Dreigestirn“, verkörpert wurde.

Teilweise noch als Student, dann später als junger Arzt, kam er mit diesen seinen Lehrern in nähere Berührung, vor allem auch mit dem 1868 nach Wien berufenen neuen Stern der Wiener Fakultät, Theodor Billroth. Noch unter Hebra hatte sich Riehl die Hautkrankheiten als Spezialfach gewählt, in dem er sehr bald, nach mehrjähriger Assistenzeit unter Kaposi, sich habilitierte. Dann wurde er Primararzt an dem nunmehr vor dem Abbruch stehenden Wiedner Krankenhaus und übernahm 1896 die dermatologische Klinik in Leipzig. 1902 wurde er zur Leitung der Hebra-Kaposischen Klinik nach Wien zurückberufen. Damit hatte seine wissenschaftliche Laufbahn ihren Höhepunkt erreicht. Fast ein Vierteljahrhundert an dieser ehrwürdigen Stätte mit größtem Erfolg wirkend, schied er 1926 mit erreichter Altersgrenze von seinem Lehramt und verschied 1943.

Riehl war aber keineswegs der trockene Gelehrte, wie man aus diesen kurzen biographischen Daten vielleicht vermuten könnte. Anlage und Lebenslauf führten ihn ins praktische Leben. Durch eine besondere Beobachtungsgabe ausgezeichnet und seit seiner Jugend mit der Natur verbunden, besonders durch die Jagd, der er bis ins späte Alter huldigte, war er auch ein besonderer Liebhaber der bildenden Künste, wofür seine an Kunstwerken reiche Wohnung Zeugnis ablegte.

Seine ärztliche Tätigkeit brachte ihn mit ungezählten Kranken des In- und Auslandes in seinem langen Leben in Verbindung, und durch die von ihm so meisterhaft beherrschte Therapie der Hautkrankheiten wurde er oftmals der letzte Helfer bei jahrelangen quälenden Schmerzen.

Seine besondere ärztliche Sorge galt neben den Hautkrankheiten den durch Verbrennungen Verunglückten, die fast seit 100 Jahren immer auf die Hautklinik eingeliefert wurden. Schon Hebra, der ja als der Begründer der wissenschaftlichen Dermatologie in Oesterreich und darüber hinaus in ganz Europa bezeichnet werden kann, hatte sich mit diesen so oft tödlichen und dabei auch außerordentlich schmerzhaften Unglücksfällen beschäftigt und die Wasserbettbehandlung in ihre Therapie eingeführt. Diese Behandlungsmethode, bei der der liegende Kranke auf einem in der Höhe verstellbaren Einsatz für Stunden, Tage, ja auch für Wochen und Monate in einen viereckigen, mi warmem Wasser gefüllten Behälter eingebrach* wird, hat sich in zweifacher Hinsicht bewährt zur leichteren Abstoßung und Entfernung de; durch die Hitze abgestorbenen (nekrotischen) Gewebsanteile, dann aber zur weitgehenden Linderung der quälenden Schmerzen bei erfahrungsgemäß durch die Ausdehnung der Verbrennung verlorenen Patienten. Die langjährige Betreuung dieser Unglücklichen, verbunden mit der Feststellung, daß bei bestimmter Ausdehnung und Tiefe des Verbrennungsschadens schon in Stunden nach dem Unfall der Tod eintritt, war für Riehl die Veranlassung, die verschiedensten therapeutischen Maßnahmen in Verwendung zu nehmen. Dabei wurde auch die Bluttransfusion, die seit der Entdeckung der Blutgruppen durch den österreichischen Nobelpreisträger Landsteiner sich bei großen Blutverlusten sehr segensreich erwies, herangezogen. Schon die ersten Versuche brachten einen überraschenden Erfolg, und so wurde nach Sammlung einer größeren Erfahrung die Bluttransfusion bei vielen Verbrennungen eine heute nicht mehr zu entbehrende Behandlungsmethode.

Das Riehl innewohnende Bedürfnis nach Hilfeleistung, verbunden mit einer ganz besonders ausgeprägten Beobachtungsgabe, führte ihn auch zum Studium anderer, mit der fortschreitenden Mechanisierung unseres Lebens zusammenhängenden Unglücksfälle. Die Einführung der elektrischen Energie mit ihrer noch lange nicht abgeschlossenen Ausbreitung, vorerst in Industrie und Gewerbe, später dann auch in der Landwirtschaft und im Haushalt, brachte auch zahlreiche, durch Stromeinwirkung Verunglückte auf die Hautklinik. Dies deshalb, weil die sichtbaren Hautveränderungen sich vielfach unter dem Bilde einer Verbrennung repräsentieren. Die klinische Beobachtung ergab jedoch bei einer Reihe von Verunglückten, daß oft auch ganz geringe, zuerst als Verbrennungsschäden angesprochene Veränderungen tödlich verliefen, was wieder mit dem Verlauf der Verbrennungen durch Flammenwirkung nicht übereinstimmte. Diese bewies, daß noch ein zweiter Schaden beim elektrischen Unfall mitspielen müsse, der im elektrischen Strom selbst gelegen ist. Ein heute über 80 Jahre alter österreichischer Arzt, Professor Stefan J e 11 i n e k, hatte sich schon seit Jahren mit den Stromschäden befaßt und durch die Schaffung eines Museums, das durch Krankengeschichten, Gegenstände, Bilder usw. für das Zustandekommen solcher Unfälle die Unterlagen lieferte, die Elektropathologie in Wien begründet. Riehl, in seiner Aufgeschlossenheit sich auch für physikalische Probleme interessierend, gewährte dieser neuen Wissenschaft an seiner Klinik eine Heimstätte. Bald wurden in gemeinsamer Arbeit auch die sogenannten Strommarken, oft nur linsengroße, meist derb sich anfühlende Flecke, bei sonst mit keinerlei sichtbaren Veränderungen einhergehenden elektrischen Unfällen entdeckt. Mit ihrer Hilfe konnte oft bei plötzlichen Todesfällen, mit deren Aufklärung der gerichtliche Mediziner betraut ist, der Schleier über ihr Zustandekommen gelüftet werden.

In Riehls langjährige ärztliche Tätigkeit fallen auch große medizinische Entdeckungen auf dem Gebiete der Syphilis, einer Erkrankung, die seit alters her immer mit den Hautkrankheiten -wegen ihren so häufigen und auch mannig faltigen Hautveränderungen — in Forschung und Behandlung verbunden war. Riehl stammte noch aus der Zeit der Behandlung dieser Volksseuche mit Quecksilber; da brachte die Ehrlichsche Entdeckung des Salvarsans den großen Umschwung. Wie ja bei allen solchen Neuerungen, wurde sie zuerst als die Therapia magna sterili-sans, die alle im Körper befindlichen Erreger mit einem Male vernichten sollte, gefeiert. Diesen Erfolgen standen wieder beim Patienten auf die neue Therapie zurückgeführte Schäden gegenüber. Im Kampfe pro und kontra vertrat Riehl in weiser Erkenntnis eine mittlere Linie, deren Richtigkeit auch heute noch anerkannt wird: Ein bisher noch niemals erzielter therapeutischer Fortschritt, aber keineswegs die nur mit einer einzigen Behandlung erreichte Heilung.

Riehls vielseitiges Interesse brachte ihn auch in Beziehung zum Radium, dessen Vorkommen in der in Joachimsthal bei Karlsbad gefundenen Pechblende im ersten Dezennium unseres Jahrhunderts entdeckt wurde. Der führende österreichische Internist dieser Zeit, Professor von N e u s s e r, machte als erster Versuche einer Behandlung Kranker mit den bei der Radium-gewinnung zurückbleibenden Rückständen. Da durch wurde Riehls Interesse für das Radium geweckt, und sehr bald wußte er sich im Wege der Obersten Bergbehörde, der damals der Bergbau der Monarchie unterstand, Radium zv beschaffen. Die von ihm im Anhang an seine Klinik im Jahre 1912 ins Leben gerufene Radiumstation, die heute um 15.000 Behandlungen im Jahr durchführt, war die erste Einrichtung in Oesterreich, in der die Grundlagen vorerst für die Therapie des Hautkrebses, geschaffen wurden.

Seine so weitgehenden Interessen machter ihn zu einem Gelehrten, der auch über sein Fach , hinaus für die Lösung verschiedenster Probleme seine Mitarbeit gerne zur Verfügung stellte. So gehörte er durch viele Jahre dem Kunstausschuß der Wiener Universität an, die mit allen einschlägigen Fragen auf dem Gebiete der Hochschule sich zu beschäftigen hatte. Ein brennendes, dabei aber besonders schwieriges Problem war der Bau eines großen Vortragssaales, der den Bedürfnissen des modernen Unterrichtes für eine in die Hunderte gehende Zuhörerschaft entsprechen sollte. Als Rektor der Wiener Universität, welches Amt ihm für das Studienjahr 1921/22 anvertraut war, war er bemüht, eine Lösung zu finden. So wurde vorerst der viel bekämpfte Entschluß gefaßt, einen der Höfe der Universität für diesen Zweck zu verwenden, durch dessen spätere Verbauung das Auditorium maximum geschaffen wurde, das sich im Lehrbetrieb, aber auch für zahlreiche größere Festveranstaltungen außerordentlich bewährte.

Wenn heute, allerdings nach vielen Jahren der Verwirrungen auf der ganzen Welt, Oesterreich wieder seinen Stätten der Kultur nicht nur seine Aufmerksamkeit schenkt, sondern auch die notwendige materielle Unterstützung bereitzustellen beginnt, wie man erfreulicherweise erst kürzlich aus dem Munde des österreichischen Bundeskanzlers hören konnte, dann soll die Oeffentlichkeit auch Kenntnis von jenen Männern erhalten, die in schwerer Zeit nach dem ersten Weltkrieg weit über den engen Rahmen ihrer Pflicht hinaus sich ganz in den Dienst ihrer Wissenschaft für Oesterreich und seine Bevölkerung gestellt haben.

Der 100. Geburtstag Professor Gustav Riehls ist ein willkommener Anlaß, Oesterreichs Volk an die Lebensarbeit eines solchen Mannes zu erinnern; er gibt auch den in seinem Sinne wirkenden Schülern die erwünschte Gelegenheit, ihre tiefe Dankbarkeit an ihren unvergeßlichen Lehrer zum Ausdruck zu bringen.

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