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Habent sua fata ossa

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Am 31. X. 1968 wurde der Hochaltar der St-Laurenz-Kirche in Lorch-Enns durch den Linzer Bischof DT. Zauner nach umfangreichen RenovierungBarbeiten der Kirche komsekriert. Dieses Gotteshaus auf dem Boden der Römerstadt Laureacum ist die älteste Kultstätte Österreichs, die als solche mindestens seit dem 3. Jahrhundert nach Christus bis heute benützt wird; sie birgt als kostbarsten Schatz die Reliquien der Gefährten des heiligen Florian.

Florian, der Schutzpatron gegen Feuersnot, wird meist als römischer Offizier dargestellt. Doch nach den ältesten Quellen war er Beamter der Zivilverwaltung in Ruhestand, der — vielleicht um seines christlichen Glaubens willen zwangsweise — pensionierte Amtsvorstand des Statthalteramtes von Ufernoricum, mit dem Amtssitz in Laureacum.

Um 304 ließ im Zuge der diokletia- nischen Verfolgung der Statthalter Aquilinius dort 40 Christen nach vielen Martern in den Kerker werfen. Florian, der seit seiner Pensionierung in Cetium (St. Pölten) lebte, kam nach der Legende freiwillig nach Laureacum und bekannte sich als Christ. Doch da es, wie wir aus echten Märtyrerakten wissen, nicht üblich war, daß Christen sich selbst den Verfolgern stellten, ist eher anzunehmen, daß er wieder nach Laureacum gebracht wurde, weil eben dort der Statthalter amtierte. Florian wurde mit einem Stein um den Hals in die Enns geworfen. Über seinem mutmaßlichen Grab steht heute das Stift St. Florian.

Die 40 Christen, die damals in Laureacum eingekerkert waren, starben nach der Legende im Gefängnis. Sie werden in einer gefälschten Urkunde des Bischofs Pilgrim von Passau um 937 beiläufig erwähnt, auch ein Stiftungsbrief aus dem Jahr 1332 weiß noch von ihnen. eMn te;vurde,)ęs umjI .Nur im, .Festkalender der Diözese Linz wurden sie bis ins vorige Jahrhundert am 4. Mai neben dem heiligen Florian erwähnt, doch nähere Anhaltspunkte gab es nicht. Zudem 1st die Zahl 40 als „runde“ Zahl, die in Legenden und Märchen gern verwendet wird, verdächtig.

Eines allerdings war merkwürdig: die Kirche von Lorch, eineinhalb Kilometer außerhalb von Enns (!) blieb bis 1553 Pfarrkirche dieser Stadt. Die Lokaltradition mußte ihr also besondere Bedeutung beimessen, auch wenn man nicht mehr recht wußte, warum. Kirchenpatron ist wohl von altersher der Diakon Laurentius — spielte für diese Wahl der Gleichklang mit Laureacum eine Rolle? —, und wahrscheinlich hatte dieser berühmte stadtrömische Märtyrer die namenlosen Glaubenszeugen aus der Provinz so weit „überspielt“, daß man sie allmählich vergaß.

Am 12. Oktober 1900 entfernte man bei Renovierungsarbeiten in der Kirche die schadhafte Verkleidung des Hochaltars und fand im Inneren des Alters eine schmucklose Steinkiste im Ausmaß von

75 X 74 X 43 cm, die von Fachleuten eindeutig als ein aus der Römerzeit stammender Sarg erkannt wurde. Bedeckt war er mit einer Granitplatte mit den Maßen

76 X 88 X 12 cm, deren Inschrift übersetzt lautet: „Dem Schutzgeist der 2. Italienischen Legion, der pflichttreuen, (gewidmet von) Marcus Gavius Firmus, dem ersten Hauptmann, aus der Tribus Vellina, aus Firmium Picenum stammend. Die Weihe vollzog Gaius Memmlus Fidus Iulius Albius, designierter Konsul und kaiserlicher Statthalter, am 18. September, unter dem Konsulat des Apronian und des Bradua.“ Nach dieser Datierung stammte der Stein aus dem Jahr 191.

In Gegenwart des Dechants von Enns, V. Willnauer, und des Obmanns des Ennser Musealvereins, Oberingenieur G. Eckl, hob man den Stein ab. Man fand in dem Sarg, in ein vermorschtes Tuch gehüllt, eine Menge menschlicher Gebeine. Der Weihestein stand mit diesen Überresten ‘ in keinem ersichtlichen Zusammenhang, sondern war wohl nur irgendwann wegen seiner eini germaßen passenden Größe als Dek- kel verwendet worden.

Am 26. Oktober 1900 kam Bischof Doppelbauer mit einer Kommission von Sachverständigen nach Lorch, ließ den Sarg nochmals öffnen und die Knochen untersuchen. Sie rührten nach Ansicht der Ärzte größtenteils von erwachsenen Männern her. Doch auch Gebeine von Kindern, Jugendlichen oder Frauen fand man. Ein Teil der Knochen wies Brandspuren auf. Das Alter der Gebeine erklärten die Ärzte für unbestimmbar. Einige Knochen wurden — weil von Tieren stammend — zur weiteren Untersuchung entnommen. Der Bischof ließ hierauf den Sarg verschließen und fragte in Rom an, was damit geschehen solle. Da die Gebeine im Altar bestattet waren, lag die Vermutung nahe, daß es sich um Reliquien von Märtyrern handle, anderseits stimmten ihn die Tierknochen bedenklich.

Die Ritenkongregation entschied am 9. Februar 1901: „Die Knochen sind aus dem Altar zu entfernen! Die Tierknochen sind auszusondern, die anderen Gebeine außerhalb des Altars zu bestatten. Es darf ihnen keine Verehrung gezollt werden. Der Altar ist in gewohnter Weise mit einer Reliquienkapsel, in der sicher echte Reliquien sind, neu zu konse- krieren.“

Wie wir heute wissen, war das eine Fehlentscheidung, doch der Bischof gehorchte und ließ die Knochen durch den Mesner Anton Peham im Friedhof von Lorch eingraben. Und was das Tragische dabei ist: die „sicher echten“ Reliquien, die man dann im Altar einschloß, sind mindestens zweifelhaft!

Vergessen wurden die Gebeine nun aber nicht mehr. Am 12. April 1944 machte sich der damalige Kirchenrektor von Lorch, der heutig'

Dechant Prof. Dr. Eberhard Markh- gott, mit Erlaubnis Bischof Fließers auf die Suche nach den Reliquien. Zum Glück lebte der Mesner noch, der seinerzeit die Knochen vergraben hatte. Desgleichen stellte ein Sektenbischof namens P. Timotheos, ein anerkannter Reliquienfachmann, seine Kenntnisse zur Verfügung. Und tatsächlich fand man in der Nähe der Sakristeitüre die gesuchten Gebeine, die an verschiedenen Beigaben eindeutig identifiziert werden konnten.

Nach Ansicht des P. Timotheos handelte es sich um Knochen aus römischer Zeit, die später bei einem Brand angekohlt und dann wieder eingesammelt worden waren. Die Tierknochen konnten leicht dazugekommen sein, da sich auf dem fraglichen Gelände auch eine heidnische Opferstätte befunden hatte. Parallelfälle sind aus Trier und Südtirol bekannt. Die neu gefundenen Reliquien wurden nun in einer Seitenkapelle beigesetzt, und zwar in dem ursprünglichen Steinsarg, den man seinerzeit achtlos beiseitegestellt und nun an der Südseite des Turms wieder entdeckt hatte. Der Unterbau des Kirchturms von Lorch ist übrigens ein ehemaliger römischer Wachturm.

Seit 1951 schenkt die Archäologie Laureacum ihre besondere Aufmerksamkeit. Schon 1910 hatte man nördlich der Kirche Altäre der Götter Jupiter, Juno und Minerva gefunden. Das legt den Schluß nahe, daß sich im Bereich der heutigen Kirche das Stadtzentrum von Laureacum befunden hatte, also das Kapitol, auf dem der Statthalter Gericht hielt. Der Friedhof verschloß sich aus Gründen der Pietät den archäologischen Grabungen, doch anläßlich einer weiteren Renovierung der Kirche — wieder auf Initiative Dr. Markhgotts — stieß man 1960 auf höchst bemerkenswerte Baureste.

Älteste Kultstätte von Laureacum war nach diesen Funden ein keltischrömischer Tempel aus dem frühen 3. Jahrhundert nach Christus.

Im 4. Jahrhundert wurde unter weitgehender Verwendung des Tempels eine christliche Basilika errichtet, in deren Apsis bereits ein Bischofsthron nachweisbar ist. Als kulturhistorische Rarität war diese Kirche heizbar ! Die Maße des Altars ergaben eindeutig, daß der Steinsarg mit den Knochen als Altarfuß gedient hatte! Im 5. Jahrhundert wurde die Kirche umgebaut. An Stelle des Steinkistenaltars trat ein Blockaltar. Der Sarg wurde östlich davon in der Apsis versenkt und mit einem Uber-

bau, einer sogenannten Memoria, versehen.

Etwa um 800 wurde die Kirche wieder umgebaut, immer noch unter Benützung der alten Fundamente. Die Reliquienkiste wurde hinter dem Hochaltar erhöht zur Schau gestellt. Dahinter wurde ein Umgang errichtet, von dem aus das Volk die Reliquien verehren konnte. Im 10. Jahrhundert kam es zur nochmaligen Umgestaltung der Kirche, doch erst im 14. Jahrhundert ging man von den römischen Umrissen ab und baute die frühgotische Kirche, wie sie heute noch erhalten ist. Die Reliquien wurden wieder im Hochaltar geborgen.

Die Untersuchung der Gebeine im Jahr 1962 durch den Wiener Anthropologen Dr. E. Breitinger ergab, daß sie yon 3Q bis 40 Personen stammen. Das Leinentuch, in dem sie verpackt waren, wurde mit großer 'Wahrscheinlichkeit als aus dem 4. bis 5. Jahrhundert herrühxend datiert.

Die Tatsache, daß durch alle Jahrhunderte die Gebeine Mittelpunkt der Verehrung waren, ergibt zusammen mit den Aussagen alter Martyrologien, dem historischen Kern der Florian-Legende und den archäologischen und anthropologischen Befunden die historische Gewißheit, daß es sich bei den Lorcher Reliquien um die Überreste der Märtyrer von Laureacum während der diokletiani- schen Verfolgung handeln muß, um die Gefährten des heiligen Florian!

Somit mag es angebracht sein, für diesen Bericht jene Überschrift zu wählen, die Dr. Breitinger seinem Gutachten voranstellte: „Habent sua fata ossa — auch Gebeine haben Ihre Schicksale!“

Neben Dechant Dr. Markhgott hat sich auch Universitätsdozent Doktor W. Neumüller OSB um die Ausgrabungen von Lorch große Verdienste erworben. Der Autor ist beiden Herren zu Dank verpflichtet

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