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Handke hat halb recht

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Das UN-Kriegsverbrechertribunal, lange genug wegen angeblicher Wirkungslosigkeit verlacht, hat die erste Anklage fertiggestellt - und den Beschuldigten außerdem zur Hand. Der bosnisch-serbische General Djordje Djukic, Verantwortlicher für die bestialische Belagerung Sarajewos durch 43 Monate und für Greueltaten bei der Eroberung von Srebrenica, muß sich vor Gericht verantworten. Später Triumph von Recht und Gerechtigkeit, weil ein serbischer Schlächter seinen irdischen Richter finden soll? Offizieller Beweis für die Brandmarkung „der Serben" als Aggressoren in Bosnien? Völkerrechtliche Widerlegung Peter Handkes, der nach einer Reise durch Kern-Serbien am fernen Pariser Schreibtisch „die Serben" gegen ihre internationalen Ankläger verteidigt hat?

Nichts von alledem. Was bewiesen werden soll, ist eine Binsenweisheit, auch wenn sie immer wieder mit Füßen getreten wird: • Schuldig werden können nur Einzelpersonen, nicht ganze Völker, Darin, aber nur darin, hatte Peter Handke recht: Es ist falsch, ungerecht, unmenschlich, alles Übel und Elend dieses schmutzigen Balkan-Krieges „den" Serben anzuhängen. Hunderttausende, wahrscheinlich Millionen von ihnen verabscheuen Krieg, sind durch eine hinterhältige Propaganda ihrer politischen Führer verblendet, aber in ihren Herzen nicht weniger zum Guten fähig als katholische Kroaten oder bosnische Muslime.

Genau so falsch und ungerecht wäre es freilich, und hier liegt zumindest tendenziell das schwere Unrecht des Peter Handke, die Schuldlast „den" Serben abzunehmen und anderen Völkern oder Volksgruppen oder allen jenen aufzubürden, die den völkerrechtlichen Aggressor in Bosnien beim Namen nennen: die selbsternannte Regierung der bosnischen Serben unter Radovan Karadzic1 und den einstigen Armeeführer Ratko Mladic. Auch sie, und sie besonders, gehören vor das internationale Tribunal, und keine politisch-taktische Überlegung reicht aus, sie der Verfolgung zu entziehen.

„Jedes Volk hat seinen Karadzic oder seinen Mladic", hat Vaclav Havel einmal geschrieben, und treffend hinzugefügt: „Solche Individuen fügen allen Leid zu, auch ihrem eigenen Volk, das sie gewöhnlich als erstes vergewaltigen." Das ist der Lernprozeß, den die zivilisierte Welt heute durchzumachen hat: zu erkennen, daß moralische Grenzen nicht zwischen Völkern und Staaten, sondern zwischen (und oft genug durch) Menschen verlaufen. Das gilt in Nordirland wie in Rosnien, in Palästina und Israel wie in Ruanda und Sudan.

Deshalb dürfen aufgeklärte Regierungen nicht zulassen, daß Banditen und Mörder Friedensprozesse in Terror und Krieg zurückbomben können. Politische Verbrecher versuchen stets, ganze Völker in Geiselhaft zu nehmen. Die Völker dürfen solches nicht mehr dulden, und auch nicht ihre Regierungen.

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