Heinrich Lammasch - © Foto: picturedesk.com / ÖNB-Bildarchiv

Heinrich Lammasch: Ein Pazifist zwischen allen Stühlen

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Vor hundert Jahren ist der letzte k. k. Ministerpräsident und überzeugte Friedenspolitiker Heinrich Lammasch gestorben. Demnächst wird seiner in Bad Ischl gedacht.

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Vor hundert Jahren ist der letzte k. k. Ministerpräsident und überzeugte Friedenspolitiker Heinrich Lammasch gestorben. Demnächst wird seiner in Bad Ischl gedacht.

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"Ich glaube nicht an den ewigen Frieden. Aber ich möchte alles tun, ihn herbeizuführen.“ Dieser leidenschaftliche, aber nicht utopische Pazifismus prägte das Leben und Wirken von Heinrich Lammasch, dessen Todestag sich im Jänner zum 100. Mal jährte. Alle Bemühungen Lammaschs, dieses international angesehenen Rechtsgelehrten, letzten Ministerpräsidenten der untergehenden Monarchie und Mitglied des Internationalen Schiedshofes in Den Haag, waren von Verantwortungsbewusstsein und tiefer Humanität getragen.

Eine Gesinnung, die sich schon in Lammaschs 1887 erschienener Monografie zum Asylrecht zeigte. Zwei Jahre später wurde er Universitätsprofessor in Wien, dann Mitglied des Herrenhauses – des Oberhauses des österreichischen Reichsrates – und schließlich zur treibenden Kraft bei der Reform des Strafrechts. Der große Karl Kraus hatte die Missstände in diesem Bereich in einigen seiner besten Satiren scharf angeprangert und den „Lichtschein von Sozialpolitik“ gewürdigt, den er Lammasch zuschreibt. Zwischen den beiden sollte sich eine große gegenseitige Wertschätzung entwickeln, die 1899 begann und bis zum Tod von Lammasch 1920 anhielt.

Bereits lange vor dem Ersten Weltkrieg hatte Heinrich Lammasch die Außenpolitik der Monarchie missbilligt. Zu Kriegsbeginn war er nahe daran, als Dissident eingesperrt zu werden. In seiner letzten Friedensrede im Reichsrat am 18. Februar 1918 sprach er sich für einen Verständigungsfrieden ohne Annexionen aus und warnte: „Der sogenannte Siegfriede wäre nur ein fauler Friede, wäre nur ein Waffenstillstand vor einem gewaltigen und entsetzlichen Waffengang. Für eine solche Frucht haben die Nationen nicht ihr Herzblut hergegeben. Der Lohn, den sie erwarten, ist […] ein gesicherter Friede.“ Lammasch wurde dabei niedergeschrien, die öffentliche Meinung war gegen ihn – von der liberalen Neuen Freien Presse bis zur christlich-sozialen Reichspost, deren Chefredakteur Friedrich Funder sich an der Kriegshetze beteiligte. Worunter der gläubige Katholik Lammasch besonders litt.

„Gutgeartetes Österreichertum“

Einer der wenigen, die sich an Lammaschs Seite stellten, war Karl Kraus. Er nennt Lammasch einen Mutigen, der seine Vaterlandsliebe mit seiner Popularität bezahle, einen idealen Realpolitiker, „den einzigen Völkerrechtslehrer, […] dem Wissenschaft und Gewissen vom Einmarsch in Belgien nicht überrannt worden sind“, „den Inbegriff des gutgearteten Österreichertums“, einen Patrioten im tieferen Sinn – während die politische Führung eigentlich Hochverrat begehe. Seine Rede „Für Lammasch“ schließt Kraus mit dem Satz: „So niedrig die Zeit ist, in der er lebt – er lebe hoch!“ In keinem anderen Text wird das „Ja“ dieses Neinsagers so deutlich wie in diesem. Die beiden führten Gespräche, in denen es um die Kriegsschuld des guten alten Kaisers, das „Verdienst“ der Presse am Ausbruch und der Verlängerung des Krieges sowie den Wunsch nach einem internationalen Gerichtshof ging.

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